Scheidungsrate in Polen:Ein Land in der Ehekrise

Ehepartner ziehen zum Arbeiten getrennt ins Ausland, der moralische Einfluss der katholischen Kirche sinkt: In Polen steigt die Zahl der Scheidungen explosionsartig an.

Thomas Urban

Oppeln - "Wozu das alles?", fragt Maria Furman stöhnend. Jahrelang hat sie sich abgerackert, um für ein neues Haus beizusteuern. Das Haus nahe der oberschlesischen Bezirkshauptstadt Opole (Oppeln) ist auch sehr schön geworden, doch nun sitzt sie allein darin, denn ihr Mann ist nach 22 Jahren Ehe gegangen. Zu einer jüngeren polnischen Frau, die er aber in Deutschland kennengelernt hat.

brautpaar auf abstand

Brautpaar auf Abstand: Viele Polen haben den Glauben an die Ehe verloren.

(Foto: Foto: iStockphoto)

Diese hat sich vor zwei Jahren ebenfalls scheiden lassen, nach acht Jahren Ehe. Mitschuldig in beiden Fällen war wohl, dass die beiden Ehepaare wegen der wesentlichen höheren Löhne zur Arbeit in die Bundesrepublik gegangen sind. Die Männer arbeiteten auf dem Bau oder in der Landwirtschaft, die Frauen bei Putzfirmen oder in der Altenpflege.

Die Trennung der Furmans war demnach nichts Besonderes, die Eheleute gehörten zu etwa 70.000 polnischen Paaren, die sich im vergangenen Jahr scheiden ließen. Etwa 27 Prozent der Ehen gehen mittlerweile in Polen zu Bruch. Die Zahl der Scheidungen hat damit innerhalb eines Jahrzehnts um mehr als die Hälfte zugenommen.

Als Hauptursache für diese starke Zuwachsrate sehen Soziologen die Arbeitsmigration, wie es in der Fachsprache heißt. Wichtigstes Ziel polnischer Wanderarbeiter war in den neunziger Jahren die Bundesrepublik; nach dem Beitritt Polens zur Europäischen Union 2004 wurden es die Britischen Inseln, da die Regierungen in London und Dublin im Gegensatz zu Deutschland den Arbeitsmarkt ohne Einschränkungen für Bürger aus den neuen EU-Ländern freigaben.

Bei den Furmans wirkte sich die Arbeit im Ausland so aus: Beide Eltern waren von zu Hause weg. Auf die Kinder passten erst die Großeltern auf, dann eine Tante. Aber in Deutschland waren die Ehepartner meist Hunderte Kilometer getrennt voneinander.

Zwar hatten alle in der Familie ein Handy, doch wegen der Kosten kommunizierte man oft lieber knapp - per SMS. Manchmal sahen die Eheleute sich monatelang nicht; nur an großen Feiertagen kam die Familie zusammen. Doch traditionelle Feste bedeuten gerade für die polnischen Frauen enormen Stress: Sie stehen von morgens bis abends in der Küche, tragen zum Essen auf, räumen ab. Und zwischendurch gehen sie natürlich in die Kirche.

Maria Furman sagt rückblickend, dass sie während all dieser Jahre niemals ein tiefergehendes Gespräch mit ihrem Ehemann geführt habe, alles drehte sich nur um die Alltagsorganisation und finanzielle Probleme. Sie sei schon glücklich gewesen, wenn ihr Mann etwas von den schulischen Problemen der Kinder, die sie ja selbst auch nur aus der Ferne wahrnahm, habe hören wollen.

Doch nicht die Wanderarbeit allein rüttelt an den Grundfesten der Institution Ehe in Polen. Mit der Öffnung des Landes zum Westen vor zwei Jahrzehnten änderte sich auch radikal die Lebensweise namentlich der jungen Generation. Wissenschaftler haben herausgefunden, dass nahezu 90 Prozent der jungen Polen sich heute zwar weiter zur katholischen Kirche bekennen, zugleich aber deren moralische Leitlinien immer stärker ignorieren. So unterscheiden sie sich etwa kaum von der jungen Generation in Westeuropa in ihrer Haltung zu vorehelichem Geschlechtsverkehr und Verhütung.

Die Mahnungen der Bischöfe

Auf die rasante Verwestlichung der Gesellschaft fand die Kirche als nach wie vor wichtigste Autorität der Polen bislang nur unzureichende Antworten. Seit dem Tod des polnischen Papstes Johannes Paul II. vor vier Jahren ist die Bischofskonferenz überdies durch interne Kämpfe zwischen Traditionalisten und Reformern gelähmt. Immer weniger Gehör beim Kirchenvolk finden offenbar die Mahnungen der Pfarrer bei der Sonntagspredigt, dass die Ehe ein Sakrament sei und deshalb unauflöslich.

Mehr als 60 Prozent der Polen sehen Umfragen zufolge heute eine Scheidung als "Weg zur Lösung von Eheproblemen" an. Immer weniger beherzigen dagegen die Mahnungen ihrer Bischöfe, das Glück der Familie nicht dem Streben nach materiellen Gütern unterzuordnen: Die Menschen, so der Tenor der Kirchenmänner, sollten sich sehr genau überlegen, ob nicht die Wanderarbeit die eigene Familie schädige oder gar zerstöre.

Die Kirchenpresse sieht einen ersten Erfolg dieser Mahnungen darin, dass die Scheidungszahlen zuletzt wieder leicht zurückgingen. Doch die Soziologen nennen für diese Entwicklung einen viel banaleren Grund: Mit der Wirtschaftskrise verlieren viele der Wanderarbeiter derzeit Brot und Lohn im Ausland.

Sie kehren also zurück und leben wieder mit ihren Familien zusammen - vorübergehend zumindest. Für Maria Furman aber kommt die Wirtschaftskrise ohnehin zu spät. Sie sagt: "Ich hoffe nur, dass meine Kinder nicht dieselben Fehler begehen wie wir." Hoffnung hat sie aber wenig: Zwei der drei Söhne arbeiten bereits im Ausland.

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