Scheidung im Alter:Das verflixte 25. Jahr

Gemeinsam einsam: Die Zahl der Scheidungen nach der Silberhochzeit steigt rapide. Oft leben sich Paare auseinander, ohne es zu merken.

Claudia Fromme

Der schlimmste Moment war nicht der, als sie mit Klebezetteln durch ihr Haus gingen und sie auf die Möbel pappten. Grün gehörte ihr, gelb ihm. Nicht, als sie den Tag ihrer Silberhochzeit ohne ihn feierte und mit Freunden Wein trank. Nicht, als der Familienrichter die Scheidung vollzog, an einem sonnigen Apriltag.

älteres ehepaar

Wenn alte Paare sich trennen, wird nach wichtigeren Gründen verlangt.

(Foto: Foto: iStockphotos)

Der schlimmste Moment für Emmy, 54, war unspektakulärer. Nicht lang ist das her. Eine Haltestelle in München, die Linie 54. Björn stieg in den Bus, in dem Emmy saß. Er ging an ihr vorbei, wie an einer Fremden. Er sah nicht weg. Er beschleunigte nicht den Schritt. Er sah einfach durch sie durch. Obwohl sie ihr halbes Leben verheiratet gewesen waren.

Da war nichts mehr von der Liebe, die sie vor 26 Jahren besiegelt hatten in einer Kirche im Salzkammergut. Es war kein Schalter, mit dem das Gefühl ausgeknipst wurde, sagt Emmy. Es war eher ein Dimmer, mit dem es ganz langsam heruntergeregelt wurde. Nach und nach ist die Wärme aus der Welt gewichen, die sie sich über all die Jahre aufgebaut hatten. Irgendwann habe sie ihren Mann nur noch als "Eisblock" empfunden.

"Wir waren gemeinsam einsam", sagt Emmy. Sie wurde krank, er arbeitete immer mehr. Die Fassade hielt. Der erfolgreiche Unternehmer und die attraktive Frau, zwei wohlgeratene Töchter. "Das Traumpaar der Reihenhaussiedlung", sagt Emmy. Als sie den Nachbarsfrauen beim Kaffeeklatsch sagt, dass sie die Scheidung eingereicht hat, schweigen alle betreten. Eine sagt: "Mein Gott Emmy, was willst Du? Dein Mann betrügt dich nicht, er schlägt dich nicht, er missbraucht nicht deine Kinder."

Wenn junge Paare sich scheiden lassen, hat es halt nicht gereicht. Wenn alte Paare sich trennen, wird nach wichtigeren Gründen verlangt. "Lange waren Scheidungen im Alter exotische Einzelfälle", sagt Insa Fooken von der Universität Siegen, die das Phänomen der späten Trennung erforscht. Scheidung war früher keine Option, man hielt das aus. Das Tabu bröckelt. Die Zahl der Scheidungen im Alter hat sich seit 1975 verdoppelt, steil steigt die Kurve seit einigen Jahren an. Ließen sich 2001 noch 12494 Paare nach dem 25. Jahr scheiden, waren es 2006 schon 19316 - das sind zehn Prozent aller Scheidungen.

Weiter: Was Paare zusammehält, wenn die Ehe schon längst kaputt ist...

Das verflixte 25. Jahr

Insa Fooken hat 122 Scheidungspaare befragt, die im Schnitt 25 Jahre verheiratet waren. Was Paare zusammenhalte, obwohl die Ehe längst kaputt sei, seien Konventionen: Religion, Besitz, Kinder. Wenn der Alltag aus dem Takt gerät, kriselt es.

Das tue ich mir nicht weiter an...

Die Psychologin sagt, dass es typische Auslöser gebe. Der Renteneintritt, wenn man plötzlich ständig miteinander konfrontiert ist, der Mann ohne Aufgabe dasteht. Wenn Eltern sterben, Kinder ausziehen. Wenn das eigene Leben neu geordnet werden soll - ehe es zu spät ist. "Wer heute 60 ist, wird fast sicher noch 20 Jahre leben. Sagten früher viele: ,Die paar Jahre halte ich noch aus', heißt es heute: ,Das tue ich mir nicht weiter an'." Einen ungeliebten Partner im Alter pflegen zu müssen, sei für viele eine schlimme Vorstellung.

In zwei Dritteln der Fälle reichten Frauen die Scheidung ein. Männer würden sich oft mit einer unerfüllten Ehe arrangieren, ein zweites Leben darin führen. Mit Hobbys, Freunden, Affären. Frauen wollten klare Verhältnisse. Fast alle befragten Männer hätten gesagt: "Ich bin aus allen Wolken gefallen, als sie die Scheidung eingereicht hat." Fooken sagt, dass dazu Wolken da sein müssten. Oft sei da nur dichter Nebel - auch bei der Schuldfrage. Kontaktanzeigen zeigten die unterschiedlichen Sichtweisen.

Die Zeiten ändern sich

"Nach großer Enttäuschung suche ich ein liebevolles Wesen", inserierten oft Männer. Frauen bevorzugten: "Verheiratet war ich, nun suche ich eine gleichberechtigte Partnerschaft." Die hohe Zahl der späten Scheidungen sieht Fooken aber als "Übergangsphänomen". Paare würden sich zukünftig früher trennen, auch seien die Zeiten andere. Früher sei jünger geheiratet worden, man habe vorher nie zusammengewohnt, habe sich finanziell absichern wollen. "Solche Ehen würden heute nicht mehr geschlossen."

Anne, 57, aus Hamburg sagt, dass sie lieber allein bleiben wollte, als weiter mit ihrem Mann zu leben. "Wir hatten uns nichts mehr zu sagen, was auch daran lag, dass wir vorher nicht richtig miteinander geredet haben." Ein Satz, der fast immer fällt, wenn ältere Paare sich trennen.

Seit 34 Jahren ist Anne mit ihrem Mann verheiratet, mit jedem Jahr werden sie sich fremder. Anne bekommt Depressionen, zweifelt an sich. Ihr Mann sucht sich eine halb so alte Freundin, flüchtet sich in Alkohol. Die Wochenenden verbringt er auf seinem Boot, verbietet ihr, mitzukommen. "Wir müssen uns neu finden", fleht Anne ihn an. "Kauf Dir einen Hund, den Du streicheln kannst", sagte ihr Mann nur.

Als ihr Sohn auszieht, stellt sie ihrem Mann ein Ultimatum, ein Jahr, dann soll Schluss sein mit den Alleingängen, mit dem Alkohol, sonst zieht sie aus. "Das machst Du sowieso nicht", sagte er. Vor drei Jahren zog Anne aus, in ein Apartment ein paar Orte weiter. Das Hochzeitsfoto ließ sie zurück. Die Scheidung hat sie längst eingereicht, durch ist sie immer noch nicht. Das Finanzielle ist nicht geregelt, ihr Mann zögert es heraus, gibt vor, nichts zu haben.

Sie lebt von ihrem Lohn als Erzieherin, es gab Monate, da blieben ihr nur 30 Euro. Und doch verliert sie kein böses Wort über ihn. "Ich will mir die guten Jahre nicht kaputt machen lassen", sagt sie. Sie hat einen neuen Partner, besucht Museen mit ihm - und sie reden, reden, reden. Ihr Sohn sagte: "Du hättest Dich viel früher von Papa trennen sollen."

Weiter: Was nach dem Entschluss für die Scheidung kommt...

Das verflixte 25. Jahr

Die freundschaftliche Trennung nach langer Ehe gelingt schwer und doch versucht Harro Graf von Luxburg immer wieder zu vermitteln. Der Münchner Anwalt hat den Verein "Humane Trennung und Scheidung" gegründet und weiß, dass bei älteren Paaren die Fronten oft verhärtet sind. Es werde viel erbitterter um Ansprüche gekämpft.

Scheidungskampf mit harten Bandagen

"Existenzängste spielen eine ganz andere Rolle als bei einem jungen Paar", sagt Luxburg, der mit Sissi Traenkner das Buch "Es lief doch gut, was ging denn schief?" zu späten Scheidungen verfasst hat. Er hat Frauen erlebt, die ihre Männer aus Rache ruiniert und die Kindern gegen sie aufgehetzt haben. Meist seien aber immer noch die Frauen die Verlierer.

"Viele haben ihren Beruf aufgegeben, die Kinder großgezogen. Sie haben alles in die Ehe investiert, nichts in die Alterssicherung." Eine Anwaltskollegin sieht eine neue Entwicklung bei solchen Paaren: Trennung ja, Scheidung nein. Man einigt sich auf Unterhalt, Renten-, Erb- oder Lebensversicherungsansprüche bleiben.

Auch erwachsene Kinder leiden

Wenn eine Ehe geschieden wird, trennen sich nicht nur zwei Menschen, es teilt sich auch eine Welt. Nach 25 Jahren kann diese Welt groß sein. Freunde, Nachbarn, Tennisclub. Sein altes Leben hinter sich zu lassen gelingt fast nie, auch, weil es bei älteren Paaren fast immer Kinder gibt. Die leiden unter der Trennung genauso wie kleine Kinder, sagt Psychologin Fooken: "Sie fühlen sich um ihre Kindheit betrogen, fragen sich: War die glückliche Familie, die ich erlebt habe, nur gespielt?"

August, 51, und Angela, 50, aus München sind zusammen zum Anwalt gegangen. Nach einer Zeit der Funkstille haben sie wieder eine Basis für den Umgang miteinander gefunden - auch wegen ihrer Kinder, die beide studieren. Gemeinsam haben sie ihre Scheidung vorbereitet, nur weil das Recht es so vorsieht, gab es einen zweiten Anwalt.

"Das Recht ist nur auf Rosenkrieg ausgelegt", sagt August. Zu verhandeln gab es nichts groß, sagen beide. Es gibt kein Vermögen, keine Schulden. Er arbeitet als IT-Techniker, sie als Angestellte. Es gab keinen großen Knall, aber viele kleine Explosionen, sagt Angela.

Vor fünf Jahren trennten sie sich, vor vier Monaten war die Scheidung, 24 Jahre wurden in drei Minuten abgehandelt. Angela hat geweint, August sagt, dass er die Scheidung nie wollte. Woran es letztendlich gelegen hat, dass die Ehe zerbrochen ist, wissen beide nicht. "Es gibt wohl immer zwei Wahrheiten", sagt August. Immerhin könne man heute drüber reden.

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