Portia de Rossi im Interview:"Meine erste Liebe war die Magersucht"

Irre attraktiv, unglaublich begabt, heterosexuell - und dünn. So wollte die Australierin Portia de Rossi sein. Für ihre Rolle in "Ally McBeal" hungerte sie sich fast zu Tode. Heute ist die 38-Jährige gesund, mit einer Frau verheiratet und Buchautorin.

Tanja Rest

Wenn Portia de Rossi, 38, von ihren schwärzesten Jahren erzählt, klingt ihre Stimme zugleich emotional und distanziert. Als spräche sie über eine andere junge Frau, die ihr heute schrecklich leid tut. Die australische Schauspielerin war 25 Jahre alt und durch die Serie Ally McBeal zum Star geworden, als der Arzt sie mit der Diagnose konfrontierte: Sie würde an Magersucht sterben, wenn sie ihr Essverhalten nicht von Grund auf ändere. De Rossi entschied sich dafür zu leben. In dem nun auf Deutsch erschienenen Buch Das schwere Los der Leichtigkeit beschreibt sie ihren Leidensweg, ohne irgend etwas zu beschönigen. Portia de Rossi ist heute mit der Moderatorin Ellen DeGeneres verheiratet und lebt in Los Angeles.

PORTIA DE ROSSI, ELLEN DEGENERES

Beinahe wäre sie an ihrer Magersucht gestorben. Heute ist Schauspielerin Portia de Rossi (links) verheiratet: mit der amerikanischen Moderatorin Ellen DeGeneres.

(Foto: AP)

SZ: Mrs. de Rossi, "nichts schmeckt so gut wie dünn zu sein", hat Kate Moss gesagt. Hat sie recht?

Portia de Rossi: Nein. Liebe schmeckt besser.

SZ: Das haben Sie aber nicht immer so gesehen.

Rossi: Ich dachte, wenn ich erst mal dünn wäre, würden sich viele Probleme von selbst erledigen. Stattdessen hatte ich mehr Probleme als je zuvor. Aber hören Sie, ich kannte dieses Statement von Kate Moss überhaupt nicht. Hat sie das wirklich gesagt? Das ist verrückt! Aber auch aufschlussreich. Frauen definieren ihr Selbstwertgefühl ja oft über ihren Körper, Dünnsein ist für viele von uns gleichbedeutend mit Schönheit, Kultiviertheit, Eleganz. Bei mir hat es lange gedauert, bis ich begriffen habe, dass mein Gewicht nichts aussagt über den Menschen, der ich bin.

SZ: Wann fing Ihre Essstörung an?

Rossi: Wer eine Krankheit entwickelt wie Anorexie, Bulimie oder Fettsucht, der hat meist schon ein Leben voller Diäten hinter sich. Mit zwölf habe ich angefangen zu modeln, da schwankte mein Gewicht um bis zu vier Kilogramm wöchentlich. Meine Mutter hat mir beigebracht, wie man Diät hält. Ich habe auch immer meine Eltern bei Tisch beobachtet: Mein Vater aß Brot und Wurst und Butter. Meine Mutter aß Salat. Ich habe damals den Eindruck bekommen, dass Frauen ihrer Figur zuliebe verzichten müssen, während Männer alles essen dürfen, worauf sie Lust haben.

SZ: 1998 bekamen Sie dann die Rolle der Anwältin Nelle Porter in der Erfolgsserie "Ally McBeal", von da an wurde Ihr Essverhalten obsessiv. Warum?

Rossi: Wenn du die Chance bekommst, in der Öffentlichkeit zu stehen, eine Celebrity zu sein wie ich bei "Ally" - dann musst du genau wissen, wer du bist. Du musst dich wohlfühlen mit dem Bild, das du der Welt von dir vermittelst. Aber ich mochte überhaupt nicht, wer ich war. Ständig habe ich mir Sorgen gemacht, dass ich nicht gut genug aussah, nicht in die schmalen Kostüme passen würde, dass ich nicht genug Talent hatte. Ich war außerdem lesbisch und hatte schreckliche Angst, dass es jemand herausfinden könnte.

SZ: Sie wollten unangreifbar sein.

Rossi: Ich dachte, wenn du es als australische Schauspielerin in Hollywood schaffen willst, musst du perfekt sein - die Beste. Irre attraktiv, unglaublich begabt, heterosexuell. Und dünn. So wurde die Magersucht zu meiner ersten Liebe.

"Am Anfang trainierst du einfach mehr und ernährst dich 'gesund'"

SZ: In der Zeit bei "Ally McBeal" haben Sie 22 Kilo abgenommen. Hat Sie nicht mal jemand aus dem Team drauf angesprochen?

Rossi: Nicht wirklich . . . Aber das heißt nicht viel. Wissen Sie, Gewichtsverlust ist eine subtile Sache. Am Anfang trainierst du einfach mehr und ernährst dich "gesund", also Salat ohne Dressing, Hühnchen ohne Haut, Joghurt ohne Fett. An diesem Punkt denken alle, dass du dich voll unter Kontrolle hast, sie bewundern dich für deine Disziplin. Dann kommt der Moment, wo du etwas untergewichtig aussiehst. Nach Fernsehmaßstäben ist "leicht untergewichtig" aber genau der Zustand, auf den man hinarbeitet - weil der Bildschirm etwa fünf Kilo hinzuaddiert. Ich war also ein paar Monate lang ein bisschen untergewichtig, und dann merkte ich, dass meine Ellbogen so weit herausstanden, dass es nicht mehr gut aussah. Deshalb habe ich nur noch langärmelige Oberteile getragen. Ich habe alles getan, um davon abzulenken, wie ausgemergelt ich war.

SZ: Na, ein paar Leute werden die Augen schon zugedrückt haben.

Rossi: Ganz ehrlich - die einzigen, die meinen Körper in dieser Zeit wirklich gesehen haben, waren die Kostümbildnerinnen und meine Trainer im Gym. Deshalb kann ich auch nicht wirklich behaupten, die Filmindustrie hat es verbockt. Wenn mich doch mal jemand vorsichtig drauf angesprochen hat, habe ich das gesagt, was alle sagen: "Oh Gott, ich weiß, ich bin zu dünn, aber ich arbeite einfach unglaublich hart im Moment . . ."

SZ: Können Sie einen normalen Tag aus dieser Lebensphase schildern?

Rossi: Ich bin frühmorgens vor der Arbeit eine Stunde aufs Laufband gestiegen, danach kamen Sit-ups und Leg Lifts, in der Mittagspause bin ich wieder aufs Laufband, ich war eigentlich permanent in Bewegung. Im Bett habe ich noch meine Füße bewegt, um die Kalorienverbrennung zu unterstützen.

SZ: Wie viele Kalorien waren es denn?

Rossi: Ich habe täglich nicht mehr als 300 Kalorien zu mir genommen.

SZ: Das entspricht weniger als 100 Gramm Cornflakes . . .

Rossi: Morgens habe ich eine winzige Portion Eiweiß gegessen, mittags eine winzige Portion Thunfisch, abends gab es entweder einen Hauch gegrilltes Hühnchen mit Salat oder nur Pickle oder nur Senf. Natürlich alles aufs Gramm genau abgewogen.

SZ: Entschuldigung, aber wie hält man das aus?

Rossi: Man hat seine Tricks. Ich hatte immer irgendetwas Kalorienarmes zum Knabbern in der Tasche. Ich habe kleinste Portionen fettfreien Joghurts abgewogen, tiefgefroren und dann gelutscht. Es ging darum, mir das Gefühl zu vermitteln, dass ich mehr aß, als es tatsächlich der Fall war. Aber die Wahrheit ist natürlich: Man hält es nicht aus. An jedem einzelnen Tag hat der Gedanke an Essen und Kalorien und das Wiederabtrainieren von Mahlzeiten meine komplette Energie aufgefressen. Und es wird immer schlimmer, je länger du den Korridor hinunterläufst, der Magersucht in die Arme. Sie betrifft alles. Absolut alles.

SZ: Gab es noch so etwas wie ein soziales Leben für Sie?

Rossi: Ich habe jemanden engagiert, der für mich im Supermarkt eingekauft hat. Damit ich nicht in Versuchung komme. Ich bin auch nicht mehr auf Partys gegangen, aus Angst vor dem Essen und dem Alkohol. Aber was ich eigentlich sagen möchte: Die Diät ist die Einstiegsdroge. Wer erst mal anfängt, Situationen zu meiden, in denen andere essen, der steckt in Schwierigkeiten. Und wenn du magersüchtig bist, willst du nicht einfach nur Diät machen. Du willst der beste Diätmensch in der ganzen Welt sein. Während alle anderen irgendwann doch in den Cupcake beißen, hältst du durch.

SZ: Das hat Ihnen Genugtuung verschafft?

Rossi: Oh, absolut. Das Belohnungssystem war simpel und kalkulierbar: Jedesmal, wenn die Waage ein halbes Kilo weniger anzeigte, fühlte sich das wie ein gewaltiger Erfolg an. Der Beweis, dass die Mühe sich auszahlte.

SZ: Wie verbreitet sind Essstörungen bei Hollywood-Schauspielerinnen?

Rossi: Sehr. Ich glaube ja, dass Essstörungen bei Frauen insgesamt verbreiteter sind, als wir denken. Bei Schauspielerinnen grassieren sie regelrecht. Die meisten gestehen es sich nicht ein, sie glauben, dass ihr Essverhalten zu ihrem Lifestyle dazugehört.

SZ: Lifestyle?

Rossi: Es ist so: Wenn du in Hollywood eine Rolle bekommst und zwei Monate Zeit zur Vorbereitung hast, gehst du auf Diät. Du hungerst, machst Workouts, dann drehst du deinen Film. Aber wenn der letzte Tag am Set gelaufen ist, rennst du zum nächsten McDonald's und kaufst den Cheeseburger. Du isst all das, worauf du die ganze Zeit verzichtet hast. Viele Schauspielerinnen haben enorme Gewichtsschwankungen, dahinter stecken Essstörungen. Aber keine gibt es zu. Es heißt einfach: "Ich bereite mich gerade auf eine Rolle vor."

SZ: Auf dem Höhepunkt Ihrer Magersucht, hätte da jemand zu Ihnen durchdringen können? Wäre es möglich gewesen zu helfen?

Rossi: Ehrlich, ich weiß es nicht. Die meisten Leute sagen ja: "Ich mache mir Sorgen um dich, du bist zu dünn." Immer, wenn ich das gehört habe, war ich so froh. Gott sei Dank, ich bin dünn! Auch das Mitgefühl, diese plötzliche Liebe haben mir gut getan. Ich fand das so reizend, dass sich da jemand Sorgen um mich machte und mir helfen wollte. Oder ich dachte: Du bist ja nur neidisch, weil du dicker bist als ich.

SZ: Was hätten Sie denn nicht so gerne gehört?

Rossi: Was mir eher geholfen hätte, wäre gewesen: "Du siehst schrecklich aus. Du siehst schwach aus. Du siehst aus, als ob es dir total dreckig geht." Weil ich ja immer rüberkommen wollte wie jemand, der alles im Griff hat. Mein Bruder hat mich einmal unangemeldet im Fitnessstudio abgeholt und ist vor Entsetzen in Tränen ausgebrochen, als er meinen Körper gesehen hat. Das hat mich schockiert.

SZ: Sie wogen damals bei einer Körpergröße von 1,68 Meter noch 37 Kilogramm.

Rossi: Ja.

SZ: Das ist Wahnsinn.

Rossi: Ich weiß.

"Heute lebe ich meine Homosexualität ganz offen"

SZ: Sie sind schließlich am Set eines Kinofilms kollabiert, nachdem Sie nahezu aufgehört hatten zu essen und Ihre Gelenke nicht mehr bewegen konnten. Wie schwer war es, danach wieder ins Leben zurückzufinden, die ständige Selbstkontrolle aufzugeben?

Rossi: Oh Gott. Es war so unglaublich hart, dass ich leider sagen muss: Einen Großteil meiner Genesung verdanke ich Psychopharmaka. Sie haben mir geholfen, den Kontrollzwang zu brechen, also mehr zu essen, als ich essen wollte. Ich habe diese Medikamente trotzdem genommen, weil ich wusste, dass ich sonst sterben würde. Aber es war immer noch ein elend weiter Weg. Ich hatte furchtbare Fressattacken, habe alles rausgekotzt und weiter gefressen. Ich habe innerhalb weniger Monate mein Körpergewicht verdoppelt, auf 76 Kilogramm, und mich gehasst dafür. Es hat lange gedauert, bis ich wieder ein normales Gewicht hatte, normal essen konnte.

SZ: In Ihrem Buch sprechen Sie nun nicht nur sehr offen über Ihre Magersucht, sondern auch über Ihre Homosexualität. War das schwer?

Rossi: Es brauchte schon Mut. Ich bin aufgewachsen im Bewusstsein, lesbisch zu sein, und habe das lange Zeit als Makel empfunden. Heute lebe ich meine Homosexualität ganz offen, und das verdanke ich zu einem überwältigenden Teil Ellen (DeGeneres). Ich habe ihr die härtesten Passagen meiner Geschichte vorgelesen und dabei ihr Gesicht beobachtet. Als ich wusste, nichts in diesem Buch würde ihr unangenehm sein, solange es nur die Wahrheit wäre, habe ich es veröffentlicht.

SZ: Welche Reaktionen haben Sie bekommen?

Rossi: Eigentlich nur gute . . .

SZ: Aber?

Rossi: Von all den Kollegen, die ich im Buch erwähnt habe, habe ich keine einzige Rückmeldung bekommen. Niemand hat etwas dazu gesagt. Und ich muss zugeben . . . Doch, ich bin überrascht. Dass nicht einer von "Ally McBeal" wenigstens eine kurze E-Mail geschrieben hat. Es gab ein paar Schauspielerinnen, die etwas dazu sagten. In etwa: "Toll, dass du das gemacht hast - aber weißt du, lass uns doch lieber die Frauen feiern, die gesund und talentiert sind, und nicht immer auf die Dünnen schauen."

SZ: Hat Ihr Magersucht-Geständnis Ihrer Karriere geschadet?

Rossi: Na ja, ich habe in einer neuen Fernsehserie mitgespielt, eine Filmrolle bekommen, und ich produziere auch. Gravierender als meine Essstörung ist sicherlich meine Sexualität. Obwohl sie sich für wahnsinnig aufgeklärt halten, haben die Leute in Hollywood ein bisschen daran zu kauen.

SZ: Werden Sie jemals aufhören können, Kalorien zu zählen?

Rossi: Ich habe schon vor Jahren damit aufgehört. Genauso wie mit dem Wiegen. Ich steige auch nicht mehr aufs Laufband. So oft ich kann, fahre ich raus auf meine Farm und reite aus. Allein die Vorstellung, im Gym in den Spiegel zu schauen und das Fett an meinem Körper zu suchen . . . Nein. Das ist vorbei.

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