Schaufenster-Bummel als Freizeitbeschäftigung:Stehen bleiben!

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Window-Shopping hat sich bei uns nicht als Freizeitbeschäftigung durchgesetzt. Das liegt daran, dass unsere Schaufenster selten so spektakulär inszeniert sind wie in New York, London oder Paris. Ein Plädoyer für Kunst im Fenster.

Antje Wewer

Kürzlich bin ich tatsächlich auf dem Kurfürstendamm spazieren gegangen, um etwas zu zelebrieren, was in Zeiten des Online-Einkaufens fast ausgestorben ist: "Window-Shopping". Ein Begriff, für den es kein neumodisches deutsches Äquivalent gibt. Vermutlich weil uns der Schaufensterbummel, im Gegensatz zu Engländern und Amerikanern, fremd ist.

In Berlin hat die 3-D-Illustratorin Sarah Illenberger für die Auslagen des Modehauses Hermès eine Welt aus Papier gebastelt - über insgesamt zehn Fenster. (Foto: N/A)

Wir schlendern nicht einfach so durch die Stadt, um uns in Schaufenstern zu verlieren. Wer hierzulande zu lange vor den dekorierten Glaskästen stehenbleibt, dem wird rasch die Schaufensterkrankheit unterstellt. In Deutschland gilt: Ein Shoppingtrip hat sich nur dann gelohnt, wenn er mit einer Tüte als Trophäe endet. Dass sich Window-Shopping bei uns noch nicht als beliebte Freizeitbeschäftigung durchgesetzt hat und niemand einen Blog "I do Windows" oder "The Window Shopper" nennt, liegt allerdings auch daran, dass unsere Schaufenster selten so spektakulär inszeniert sind wie die Fenster von Luxuskaufhäusern in New York, London oder Paris.

Die beste Zeit für einen Schaufensterbummel ist dann, wenn die Geschäfte geschlossen haben. Entweder spät in der Nacht oder früh morgens um halb neun. In der einen Hand einen Kaffee, in der anderen ein Croissant, im besten Fall positioniert man sich nicht vor eine Zara-Filiale, weil es da tatsächlich nicht mehr zu sehen gibt als einen camelfarbenen Mantel an einer blassen Schaufensterpuppe.

Am unterhaltsamsten ist es wohl gerade vor den neu gestalteten Hermès-Schaufenstern des KaDeWe in Berlin. Während in Paris Leïla Menchari, die "Grande Dame de Décoration" seit 1978 die Fenster des Mutterhauses in der Rue du Faubourg Saint-Honoré gestaltet, arbeitet das Traditionshaus außerhalb Frankreichs mit Künstlern aus den jeweiligen Ländern zusammen. Manchmal besteht die Schaufensterdekoration aus einer Hightech-Installation und einer einzigen Idee.

In Tokio stellte der Shootingstar der Design-Szene, Tokujin Yoshioka, lediglich ein Video mit einer wunderschönen Frau in die Schaufenster und ließ sie in einer Endlosschleife gegen ein Carré, also eines dieser berüchtigten bedruckten Seidentüchlein, pusten, wobei die Schönheit digital, der Lufthauch und das Tuch aber analog waren. Das ist wohl genau dieser Clash of Cultures, der den Reiz des Schaufensterbummels heute ausmacht: in unserer hoch digitalisierten Zeit tut sich ein analoges Fenster auf, in dem die Welt stillzustehen scheint.

In Berlin hat die 3-D-Illustratorin Sarah Illenberger für die Auslagen des Modehauses Hermès eine Welt aus Papier gebastelt; durch insgesamt zehn Fenster marschieren die berühmtesten Produkte des französischen Traditionshauses. Angeführt wird die Papier-Parade von einem imposanten Pferd aus englischer Wellpappe. Der 6000-Euro-Sattel ist auf einer geflochtenen Origami-Decke gebettet, vor dem Tier tanzen Akkordeon und Gerte, ebenfalls aus Papier, die Handschuhe sind wieder aus Leder.

Dem Pferd folgt eine überdimensionierten Kelly-Bag aus Papierfransen im Stil einer mexikanischen Piñata, eine Rakete (gebaut aus orangefarbenen Hutschachteln) und der Parfümflakon "Un Jardin sur le toit", den Illenberger originalgetreu aus Seidenpapierkügelchen nachgebaut hat. Seidencarrés wurden zu Windrädern umfunktioniert, Krawatten zu Flamingoflügeln - und dem Papierboot hat sie mit einem Dutzend "Chaînes d'Ancre"-Armbändern einen Anker gelegt. Alle Hermès-Klassiker sollten auf überraschende Weise in die Papier-Parade integriert werden. Die 35-jährige Münchnerin hat sich bei ihrer Arbeit von der "Rose Bowl Parade", die jedes Jahr am 1. Januar im kalifornischen Pasadena stattfindet, inspirieren lassen. "Die Herausforderung war für mich die Größenordnung und gleichzeitig die Limitation des Raumes."

Schaufenster an Weihnachten
:Das heilige Fest der Dekorateure

Alle Jahre wieder startet das Weihnachts-Wettrüsten: Die Kaufhäuser der Metropolen überbieten sich mit opulenten Schaufensterdekorationen.

in Bildern.

Die Juwelierstochter weiß, dass Schaufenster Sehnsüchte überhaupt erst wecken können. Studiert hat sie Grafikdesign am Central Saint Martins College in London, in der Stadt, in der Kaufhäuser wie Selfridges oder Harvey Nichols versuchen, sich gegenseitig mit noch aufwendiger inszenierten Themen-Fenstern zu übertrumpfen (Alice im Wunderland! Alexander McQueen! Royal Wedding!). Die Preise? Sind in dieser Welt nicht existent. Und trotzdem sind Schaufenster für viele lediglich ein sichtbarer, dreidimensionaler Ausdruck von Konsumkultur.

Berühmte Künstler starteten als Schaufenstergestalter

In England zählt der "Window Dresser" schon lange zum kreativen Establishment. In den 50er Jahren starteten die Künstler Robert Rauschenberg und Jasper Johns ihre Karriere, indem sie Schaufenster gestalteten. Andy Warhol übrigens auch, er redete nur nicht so gern über seine Zeit beim Kaufhaus Bonwit Teller. Obwohl in Amerika Schaufensterdekorateure immer schon eher der Kunst als dem Kommerz zugerechnet werden.

Dem Verlag Assouline waren die "Windows at Bergdorf Goodman" ein limitiertes, 650 US-Dollar teures Buch wert, mit den schönsten Fenstern aus den vergangenen 25 Jahren. Das Luxuskaufhaus an der 58th Street, Ecke 5th Avenue setzt auf das Design-Team David Hoey und Linda Fargo, die seit 15 Jahren für den Look der Fenster verantwortlich sind. "Wir arbeiten mit jedem erdenklichen Material, wie zerbrochenen Regenschirmen, wir entwerfen Schriftzüge aus Rauch, legen ein Mosaik aus Toastbrot, bauen Skulpturen aus Kleiderbügeln. Bei Werbeshootings beschneidet oft der Kunde die Kreativität der Gestalter, interessanterweise werden bei der Schaufensterdekoration selten Limits gesetzt. Meist sind sie nur finanzieller Natur", erklärt David Hoey. Er arbeite im "Überraschungsgeschäft", so nennt er es, und zur Weihnachtszeit sei der Druck ganz besonders groß, die Kunden mit einer noch nie dagewesenen Schaufensterdekoration zu beeindrucken. Woran misst er seinen Erfolg? "An den Gesichtern der Leute."

Ein anderer Deko-Dinosaurier ist Simon Doonan. Seit 25 Jahren ist er Kreativ-Direktor der schicken Kaufhauskette Barneys New York, sein Stil ist eher surrealistisch-ironisch. Der 59-jährige Brite dekorierte zuerst Fenster auf der Londoner Savile Row, dann bei Maxfield in Los Angeles. Mitte der achtziger Jahre bringt er Barneys ins Gespräch, als er spaßige Karikaturen von Prominenten wie Madonna, Margaret Thatcher oder Mutter Teresa in die Fenster stellt. Inzwischen ist er in den USA selbst ein Prominenter, der das macht, was alle Promis machen: Bücher schreiben, die zum Beispiel "Confessions of a Windowdresser" heißen, in Fernsehjurys sitzen, die große Liebe - in seinem Fall den Interior-Designer Jonathan Adler - medienwirksam heiraten. Seine Herangehensweise ist nach wie vor sympathisch demokratisch. "Die Fenster dürfen auf keinen Fall elitär sein, sie sind für alle da, sollen jeden ansprechen und verzaubern. Auch den, der sich Luxus nicht leisten kann oder will."

Den minimalistischen Gegenentwurf erlaubte sich vor einiger Zeit das französische Luxuslabel Louis Vuitton; es überließ dem dänischen Künstler Olafur Eliasson weltweit 350 Fenster. Eliasson kreierte eine Lichtinstallation mit Namen "Eyes see you" - eine Lampe in Form einer Pupille, die reichlich monochromes, gelb-orangefarbenes Licht ausstrahlte. Auf Produkte hatte Louis Vuitton in diesen Schaufenstern verzichtet. Und man hat sie nicht eine Sekunde lang vermisst.

© SZ vom 24.09.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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