Sack Reis:Winter is coming

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Die Stadt Peking schaltet diese Woche endlich die Heizungen an, in München steht am Marienplatz bereits der Christbaum und der Panda verbreitet positive Energie. Aber was hilft das schon, wenn ein Mann in Amerika die Welt untergehen lässt?

Von Kai Strittmatter

Am Donnerstagmorgen aufgewacht, und die Welt war weg. Hatte auf dem Kopfkissen noch zwei, drei leichte Momente, dann traf mich wieder die Erinnerung wie ein Hammer. He who must not be named. Ein Blick aus meinem Pekinger Fenster, dann der Gedanke: Es stimmt nicht. Was Barack Obama sagte. "Egal was passiert, die Sonne wird aufgehen." Es stimmte nicht. Da war keine Sonne. Da war keine Welt. Da war nur mehr dichtes, fahles Grau: ein giftiger Himmel, der ein paar Regentropfen ausspuckte. In der Küche Radio an. Der erste Song, eine Faust in die Magengrube: "Sunny". Mir wurde schlecht.

Ich schleppte mich ins Büro. "Schau mal, was ich ...", sagte der Panda auf meinem Sofa. Er stand auf dem Kopf, streckte alle viere von sich. "Ohne Tatzen!", schnaufte er. "Schnauze!", zischte ich ihn an. Er fiel um. "Autsch". Er schwieg, beleidigt. "Was passiert?", fragte er schließlich. Ich drehte meinen Kopf langsam in seine Richtung. "Ach so", sagte er. "Wegen gestern." Dann hellte sich seine Miene auf. "Wie wär's mit einem Spaziergang? Andere Gedanken ..." Ich deutete wortlos zum Fenster. Er tappte hinüber. "Oha", sagte er. "Die Welt ist weg."

So also sieht das aus, dachte ich plötzlich. Wenn eine Zivilisation sich abschafft. "Sieh's mal so", sagte der Panda: "Die hatten einen guten Lauf, die Amerikaner. 240 Jahre. Besser als manche Dynastien bei uns. Besser als die Yuan, besser als die Sui, viiiiel besser als die Qin. Und eigentlich ..." Er wurde jetzt aufgeregt: "Ist doch super für euch Journalisten. Die letzten Kaiser jeder Dynastie, die verrückten, die schwachen, die bösen, das waren eh immer die unterhaltsamsten." Ich starrte ihn an. "Also, im Nachhinein", fügte er hastig an. Der reißt nicht nur seine Dynastie in den Abgrund, dachte ich, der reißt uns alle mit. "Der ganze Westen", sagte ich: "Am Arsch. All das, was wir der Geschichte an Zivilisiertheit abgerungen haben. Das Ideal einer Öffentlichkeit, die von Anstand, Vernunft, Wahrheit, Toleranz, Humanität, Würde und Empathie geprägt wird."

Der Panda hielt sich die Ohren zu. "Was für eine Schande, was für ein Verbrechen", rief ich. "Jaja, kapiert", sagte er. "Himmel, glaubst du nicht, dass du ein wenig übertreibst?" Ich deutete zum Fenster, wo keine Welt mehr war.

"Mensch!", sagte der Panda schließlich, "wie wär's mit ein wenig positiver Energie?" - "Positive Energie?" - "Klar. So wie unsere Parteiführung das vormacht: jede Woche jauchzen und frohlocken, dass das Leben in dieser Woche ein noch besseres ist als in der vorigen." Er dachte nach. "Zum Beispiel ... weil die Stadt Peking diese Woche die Heizungen angeschaltet hat!" Ich grummelte. Heizung war gut. "Über was hast du dich diese Woche denn besonders gefreut?" Ich überlegte. "Der Christbaum auf dem Münchner Marienplatz", sagte ich. "Der kommt in diesem Jahr aus meinem Heimatdorf. In der SZ stand, wenn ich mich als Westallgäuer zu erkennen gebe, dann kriege ich da den Glühwein zum Vorzugspreis von 2 Euro statt 3,50 Euro." Der Panda klatschte in die Hände: "1,50 Euro gespart!" Beinahe hätte ich mitgeklatscht. Dann traf mich wieder der Hammer.

"Was für eine Riiiiesenscheiße", murmelte ich. "Wunderbar", rief der Panda fröhlich. "Nächste Woche, 19. November, ist Welttoilettentag, dann ham wir schon was zu feiern." Ich blickte aus dem Fenster. Dunkelheit kroch heran. Winter is coming.

© SZ vom 12.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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