Sack Reis:Vorsicht, Rechnung

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Es dürfte sich rumgesprochen haben, dass in China das Essen eine zentrale Rolle spielt. Was nach dem Essen passiert, ist allerdings noch viel wichtiger. Dann dreht sich alles um die Frage: Wer darf die anderen einladen?

Von Kai Strittmatter

Chinesische Essensetikette. Eigentlich ist alles erlaubt, gerade dem Ausländer, gilt er doch praktisch als Außerirdischer. Die Trinketikette ist traditionell rigoroser und wird dem Gast in Schnellkursen gemeinsam mit dem Baijiu, dem chinesischen Schnaps, direkt in die Blutbahn injiziert. Wirklich ernst, also todernst, wird es gegen Ende des Essens. Dann, wenn der uneingeweihte Außerirdische für gewöhnlich ermattet in seinen Stuhl zurücksinkt. Hat er sich einen Funken Nüchternheit bewahrt, wird er durch den Baijiunebel noch registrieren, dass die Chinesen um ihn herum nun nervös auf ihren Sitzen umherrutschen, einander belauernd. Für ein paar Momente scheint die Szenerie auf Zeitlupe abgebremst zu sein. Bis einer eine Schwäche des Gegenübers wittert. Dann schlägt er zu. Blitzschnell. Mit der Fertigkeit eines Kung-Fu-Jüngers, dessen Schlangenfaust (shequan) nach vorne schnellt. Manche katapultieren sich ganz aus ihren Sitzen, werfen sich mit einem Schrei dem Kellner entgegen - um dann meist in der Luft mit ihren Konkurrenten zu kollidieren und verdattert am Boden zu landen. Runde eins: unentschieden. Mit dem Zücken der Rechnung läutet der Kellner Runde zwei ein. Wildes Ellbogengehacke, bei dem es darum geht, die Arme der anderen abzuwehren, während man selbst den großen Preis erhascht: die Rechnung. Begleitet werden die Kantenschläge von erregtem Geschnatter: "Weg da. Ich mach das!" - "Nichts da, heute zahl ich!" - "Ich!" - "Nein, ich!" - "ICH!" - "Nie im Leben!" - "Willst du mir etwa kein Gesicht geben?" - "Du, du, duuu ...!" usw.

Ein wenig ist es wie die Verfilmung einer von Uderzo gezeichneten Gallier-und Römerschlägerei, einschließlich mit Blitz und Donner gefüllter Sprechblasen. Der Kenner unterscheidet dabei die gewöhnliche Rechnungsrauferei, die Rechnungsrauferei mit Gebrüll und die Rechnungsrauferei unter Betrunkenen. Bei letzterer empfiehlt sich gebührender Abstand.

Ein paar Meldungen aus den Zeitungen der letzten drei Jahre:

"Huaihai. Weil Zhang Chen das Essen nicht bezahlen lassen wollte, zog Chen ihm eine Bierflasche über den Kopf. Nach Chen wird gefahndet."

"Liaoyang. Bei einem Klassentreffen verglichen zwei alte Schulfreunde, Zhou und Chou, wer heute reicher war. Weil Chou am Ende Zhou nicht bezahlen lassen wollte, eskalierte der Konflikt. Zhou trat Chou zu Boden, Chous Eingeweide wurden verletzt." - "Chongqing. Herr He konnte nicht ertragen, dass sein Freund Herr Wang die Rechnung bezahlen wollte. Er zog ein Messer und stach Wang in die Niere. Wang schwebt in Lebensgefahr." - "Peking. Beim Kampf um die Rechnung stieß Zhang einen Feuertopf um, wobei sein Freund Cui schwere Verbrennungen erlitt und einen Monat später verstarb."

Sie können auch anders. In Nanchang zum Beispiel. Herr Huang und Herr Xu sind gute Freunde, die sich zehn Jahre nicht mehr gesehen hatten. Essen. Rechnung. Streit. Hier das Protokoll aus Chinanews: "Herr Xu schlug Herr Huang einen Stuhl über den Kopf und würgte ihn am Hals. Der Arzt stellte bei Huang hernach einen gebrochenen Arm fest, auch fehlte ihm ein Schneidezahn. Als Herr Xu sah, wie Herr Huang blutete, war er jedoch sofort wieder klar im Kopf und bereute sein Tun. Er entschuldigte sich und bezahlte die Arztrechnung. Herr Huang verzieh ihm, heute sind sie so gute Freunde wie eh und je." Happy End.

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