Sack Reis:Mao und der gute Ton

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Ja, man kann auf Chinesisch schnell mal Brusthaar und Pandabär verwechseln. Der Mythos von der Unlernbarkeit der Sprache ist aber Humbug. Einfacher als gesprochenes Chinesisch geht kaum - und unser Kolumnist muss es wissen.

Von Kai Strittmatter

Chinesisch lernen, Mythos und Wirklichkeit. Zuerst der Mythos (in den Worten des Missionars William Milne): Diese Sprache "ist ein Job für Männer mit Lungen aus Stahl, mit Köpfen aus Eichenholz (. . .), mit dem Gedächtnis eines Engels und mit der Lebensspanne eines Methusalem." Und in Wirklichkeit? Hab's sogar ich gelernt. Obwohl die Münchner Sinologie fatalerweise nur wenige Schritte vom Englischen Garten entfernt liegt. Man darf sich bloß keinen Schreck einjagen lassen, von den berüchtigten Tönen etwa. Hier ein besonders gemeines Beispiel:

"Der Dichter Shi lebte in einem steinernen Haus und aß gerne Löwenfleisch, also gelobte er, zehn Löwen zu essen. Er ging oft zum Markt, um Ausschau zu halten, bis er eines Tages um zehn Uhr dort zehn Löwen entdeckte." Das ist der Anfang einer beliebten Lehrbuch-Anekdote, im Original hört sie sich so an:

"shi shi shi shi shi shi, shi shi,

shi shi shi shi.

shi shi shi shi shi shi shi shi, shi shi,

shi shi shi shi shi."

Nein, ein Witz ist das nicht - aber natürlich an den Haaren herbeigezogen. Jedes "shi" in dem Text wird in einem von vier Tönen ausgesprochen und auf dem Papier von unterschiedlichen Schriftzeichen repräsentiert. Schriftzeichen haben sie Zehntausende, aber bei der Aussprache begnügen sich die Chinesen mit knapp 400 Silben, also haben sie zur besseren Unterscheidung jeder Silbe vier verschiedene Töne zugeordnet. Mehrfachbedeutungen sind die Regel. Die Silbe "mao" kann den Vorsitzenden Mao ebenso meinen wie die Feder, den Hut, den Speer oder die Katze. Selbst wenn man den Vorsitzenden Mao korrekt im zweiten Ton ausspricht, ist noch immer nicht klar, ob man nicht vielleicht doch von einem Anker spricht, oder aber, auch das kein Witz, von einer mit einem Yakschwanz verzierten Flagge.

Bloß, glauben Sie mir: Im Kontext des Alltags löst sich das alles aufs Wunderbarste auf. Dafür sorgt schon die Tatsache, dass im modernen Chinesisch die meisten Wörter aus zwei Silben bestehen. Ich bleibe dabei: Einfacher als gesprochenes Chinesisch geht praktisch nicht. Daran ändern auch die Schauergeschichten all jener nichts, denen angeblich "Brusthaar" (xiong1 mao2) herausrutschte als sie "Pandabär" (xiong2 mao1) sagen wollten. Na und? Chinesischlehrer fordern von Erstsemestern gerne Ehrfurcht ein mit der Sentenz "Ma ma ma ma ma?" (Schimpft die pockennarbige Mutter das Pferd?). Aber mal ehrlich: Wie vielen pockennarbigen Pferdebesitzerinnen wird man im Laufe seines Lebens begegnen? Ich nehme mal an, davon gibt es in China eben so viele wie in Deutschland Fischersöhne namens Fritz.

Nein, die Töne sind Scheinriesen, sie werfen lediglich aus der Ferne bedrohliche Schatten. Die Panik, die Überzeugung: Das klappt nie! Führerscheinneulinge kennen das, wenn sie sich am Zusammenspiel von Gaspedal, Bremse und Kupplung versuchen - und dann, plötzlich, macht es Klick. Es gibt ja Leute, die behaupten, man brauche fürs Erlernen des Chinesischen auch eine jener Chinesenzungen, die bei geschlossenem Munde ein Hühnchen blitzeblank von seinen Knochen zu trennen vermögen. Sie pflegen den Mythos von der Unerlernbarkeit der Sprache Chinas so wie den von der Undurchdringlichkeit seiner Kultur. Humbug, beides.

Was mit Dichter Shi passierte? "Er tötete mit Pfeilen zehn Löwen. . ." Sie können's ja eh schon: shi shi shi, shi shi shi. . .

© SZ vom 27.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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