Sack Reis:Make Marx small again

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Na sowas, die Volksrepublik China macht einer deutschen mittelgroßen Stadt ein großzügiges Geschenk, das sogar sehr gut zu dieser Stadt passt. Und eine Stadt gerät wegen einer mehr als sechs Meter großen Karl-Marx-Statue total ins Schwitzen.

Von Kai Strittmatter

Im kleinen Trier ist gerade großes Theater zu bestaunen. Eine Stadt windet sich. Weil sie von einer fremden Nation ein Präsent vor ihre Tore gestellt bekommt. Nein, kein Pferd, eher ein Hirsch. So beschreibt es ein Stadtrat: Stell dir vor, die reiche Erbtante kommt und verkündet, sie werde deiner Familie ein Geschenk machen, nämlich einen röhrenden Hirschen so toll und so groß, wie du noch nie einen Hirschen hast röhren sehen, das Viech aber, klar, soll bitte auch den Ehrenplatz direkt über der Wohnzimmercouch erhalten. So, und jetzt stell dir dein Gesicht vor im Moment der Verkündung der frohen Botschaft, und dann weißt du, welches Gesicht die Trierer machen seit eineinhalb Jahren.

Karl, heißt er, ihr Hirsch, mit Nachnamen Marx, und das allein ginge schon in Ordnung, ist schließlich der größte Sohn der Stadt. Bloß: sooo groß? 6,30 Meter? Puh, Tantchen. Ein Spötter empfahl den Trierern die Umbenennung in "Karl-Marx-Stadt", der Name ist ja seit 1990 wieder zu haben. Dabei hätten sie ein wenig Mitgefühl verdient. Die Erbtante ist ja nicht irgendwer. Ist China. Weia. Schickt viele Touristen, dieses China. Den Trierern haben Pekings Emissäre eingeredet, Marx-Schöpfer Wu Weishan sei ein "weltbekannter" Bildhauer und Chinas "wahrscheinlich populärster Künstler", was eher alternative Fakten sind: Herr Wu ist beamteter Staatskünstler und Kulturbürokrat.

Populär ist er vor allem in den Reihen des Apparates und er ist ungefähr so weltbekannt wie Triers Oberbürgermeister Wolfram Leibe. Aber an Marx hängen sie schon, die Parteichinesen, also: sehr. So sehr, dass die KP unlängst die Rapper auf ihn losließ. "Yeah. You. You. You know. Kommunismus ist süß wie Honig", rappte im letzten Jahr eine Jungpionier-Combo: "Ich bin dein Bruno Mars / Du bist meine Venus, mein geliebter Marx". Die Band hieß übrigens übersetzt Parfüm. Und jetzt feiert die Venus von Trier 200. Geburtstag nächstes Jahr. Mit dem Riesen-Karl samt Schleife lädt China sich selbst zur Party ein.

Was tun? Letzten Montag tagte Triers Stadtrat. Auf der Agenda: die Tankstelle Ostallee und Sechs-Meter-Marx. Der Trierer Volksfreund richtete einen Live-Blog ein: 17.41 Uhr: Erste Tumulte. Ein NPD-Störenfried verlässt den Saal mit dem Ruf "Nie wieder Marxismus". 17.48 Uhr: Erst mal Tankstelle Ostallee. Die CDU will eine Sachdiskussion. Die SPD ist gegen den Pachtvertrag. Die Linke will eine kleinere Tankstelle. Die Piratin sagt, sie persönlich störe die Tankstelle nicht. Die FDP findet Tankstellen gut.

20.47 Uhr: So, Karl Marx. Die AfD hat nachgeschaut: "Marx war ein antidemokratischer Revolutionär." Außerdem: "Zahlreiche Marx-Kolosse stehen heute noch in China. Wir wären in schlechter Gesellschaft." Die Linke ist "erfreut" und ermuntert die Bürger, "in Diskurs mit den Lehren von Marx zu gehen". Der FDP fehlt das gerade noch: "Lehnen Sie dieses vergiftete Geschenk ab!" Die SPD will sich "dem Diskurs stellen". Und zwar so: "Nehmen wir das Geschenk an." Der Grüne möchte lieber mit den Trierern in Diskurs treten als mit den Chinesen, schlägt dann aber einen Salto: "Es bleibt uns nichts anderes übrig. Wir nehmen das Ding an."

Dann nahm der Stadtrat das Ding an. Aber nicht ohne Kleingedrucktes: "Über Standort und Größe wird im weiteren Verfahren entschieden." Make Marx small again. Soll er halt hinten im Flur hängen, der Hirsch.

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