Sack Reis:Lernt Chinesisch!

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Alle Welt sagt, Chinesisch ist eine schwere Sprache. Deshalb lernt es keiner. Alles Unsinn. Chinesisch zu sprechen, ist kinderleicht. Man muss es halt mal irgendwann lernen.

Von Kai Strittmatter

Und ich sag noch: Lernt Chinesisch! Beispiel Dülmen. "Als 'Stadt der Wildpferde' ist Dülmen weit über die Grenzen von Nordrhein-Westfalen bekannt." Sagt Dülmen über Dülmen. Mir war Dülmen bisher nicht bekannt. Das änderte sich diese Woche, mit einem Mal war Dülmen auch in China Topnachricht in der Schmunzelecke des Internets. Erzählt wird die Geschichte so: 31-jähriger Chinese träumt von Eiffelturm und Spanischer Treppe und bucht eine Europareise, stattdessen landet er nicht bloß im westfälischen Dülmen, der Arme, sondern dazu noch als Asylbewerber im dortigen Flüchtlingsheim. Nach zwei Wochen erlöst ihn eine Übersetzungsapp, die den Betreuern seine angeblich wahren Absichten erklärt, nämlich: "Ich möchte im Ausland spazieren gehen."

Tatsächlich lässt die Geschichte einige Fragen offen. Man hätte die Fragen ausräumen und dem Mann sein Dülmen-Trauma ersparen können, aber anscheinend fand sich nicht ein Mensch, der Chinesisch gesprochen hätte. Ich sag das seit Jahren, das mit dem Chinesischlernen. Nicht weil China drauf und dran wäre, die Welt zu schlucken, oder weil man mit Chinesisch ein Vermögen machen könnte, da wäre ich mir gar nicht so sicher. Nein, es ist viel simpler: Das Chinesische eröffnet einem nicht nur ein ganzes Universum an Abenteuern - es ist auch eine der einfachsten Sprachen der Welt. Im Ernst. Jener uralte Glauben, wonach das Chinesische ein Außenseitern niemals zugängliches, mit sieben Siegeln verschlossenes Mysterium ist? Totaler Quatsch. Bei Licht besehen ist Chinesisch einfacher als Englisch. Wohlgemerkt: das gesprochene Chinesisch.

Irgendwann einmal nämlich beschlossen die alten Chinesen, auf große Teile der uns bekannten Grammatik einfach zu verzichten. Es gibt im Chinesischen keine Deklinationen, keine Konjugationen und keine Fälle; es gibt für das Verb nicht einmal Zeiten. Den Satz "Letzte Woche wollte ich in Europa spazieren gehen" würde ein Chinese so sagen: "Letzte Woche ich wollen gehen spazieren Europa". Und das Beste: Es funktioniert! Eigentlich eine erschütternde Erkenntnis: All die Beugungen und Flexionen, all die Modi und Kasus und Tempora, die das Sprachenlernen für uns zu einer solchen Qual machen: Die braucht's überhaupt nicht. Ein wenig fuzzy logic, ein wenig Intuition, ein wenig Kontext, und fertig ist eine Sprache, die ausreicht, Menschen in den Weltraum zu schicken, ein Volk zum größten der Erde zu machen und selbst Menschen wie David Beckham und Sarah Connor die Aura der Weisheit zu verleihen, dann, wenn ein chinesisches Tattoo den Weg zu ihrem Steißbein weist.

Vielleicht auch das ein Grund, Chinesisch zu lernen: Man könnte nicht bloß Touristen vor dem Münsterland retten oder endlich einmal dem Koch im Chinarestaurant an der Straßenecke die Meinung sagen - man könnte auch das Tattoo lesen, von dem einem beim Stechen gesagt wurde, es bedeute "Das Qi des Schicksals vereint Tod und Leben", während da in Wirklichkeit steht (Torsten Frings wusste das) "Ente süß-sauer, 7 Euro 99".

So. Ich weiß, da werden jetzt welche sagen: Aber die Töne, Strittmatter, die Töne! Auf die Schnelle erst einmal so viel: Die Töne, lieber Leser, sind machbar, keine Angst. Eine schlechte Nachricht allerdings habe ich: die Schrift. Chinas Schriftzeichen sind von überirdischer Schönheit. Und zu lernen: die Hölle. Mehr dazu ein andermal.

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