Sack Reis:Happiness is my blue potato

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Chinesische Tattoos, so ein junger Chinese, seien doof, weil die ja jeder Landsmann gleich verstehe, die mysteriösen englischen hingegen "verleihen mir Persönlichkeit". Ich weiß, was er meint.

Von Kai Strittmatter

Letzten Samstag erwähnte ich kurz die Popularität chinesischer Tattoos im Westen. Ein paar Tage später stolperte ich hier über einen Artikel, der junge, hippe Chinesen befragte, warum sie sich seit ein paar Jahren so gerne Englisches auf die Haut tätowieren ließen. Die Antworten: Weil es etwas "Besonderes" sei, weil sich hinter englischen Wörtern und Abkürzungen oft ein "tieferer Sinn" verstecke. Chinesische Tattoos, so ein junger Chinese, seien doof, weil die ja jeder Landsmann gleich verstehe, die mysteriösen englischen hingegen "verleihen mir Persönlichkeit". Ich weiß, was er meint. Mir fiel jenes Interview ein, das ich einmal in Peking führte mit einer engagierten jungen Mutter, die mir den Irrwitz des chinesischen Bildungssystem erläutern wollte, währenddessen ich mich mehrfach zwingen musste, meinen Blick von ihrem Sweatshirt zu reißen, auf dem in dicken Lettern stand: "Happiness is my blue potato".

Und dann war da jener Tag, an dem ich mein erstes chinesisches Tattoo zu Gesicht bekam. Ich war unterwegs als Teil der "Camel Adventure Tour": Wir waren fünf Studenten, die im Auftrag von Camel die Discos Oberbayerns abgrasten und kostenlos Zigaretten verteilten. Meist wurden wir ausgebuht, wenn der DJ die Musik abdrehte für unser Gewinnspiel. Mit dabei war auch Yvonne, Germanistik drittes Semester, Sommersprossen. Eines Abends sagte sie "Komm!", und schleppte mich zur Damentoilette. Dort ließ sie ihren Camel-Overall zu Boden gleiten, drehte sich um, deutete auf den Ansatz ihrer Pobacke und sagte: "Du kannst doch Chinesisch. Was steht da?" Da stand das Schriftzeichen zhong. Und das heißt: "Zweiter". Yvonne schaute mich verblüfft an. "Echt?", sagte sie. Sie hatte sich eigentlich "Treue" stechen lassen wollen. Auch "zhong", aber ein klein wenig anders geschrieben.

Nicht schlimm, nein. Es gibt größere Unfälle: die Europäerin, die sich "Hühnernudelsuppe" auf den Oberarm tätowieren ließ, oder der Amerikaner, auf dessen Schulterblatt nun steht "kuang xie", "verrückter Durchfall". Gerade habe ich mir noch einmal den vom Nacken bis zum Steißbein chinesisch beschrifteten Rücken der deutschen Sängerin Sarah Connor angeschaut. Ihre Fans ließ Frau Connor wissen, da stünden die Zeichen für Frieden, Wahrheit, Gott, Liebe, Familie, Musik, Sonne, Frau und Kraft. Stimmt fast. Gott (shen), Liebe (ai), Familie (jia), Frau (nü) und Kraft (li) stehen da tatsächlich. Für die anderen Begriffe aber wählte ihr Tätowierer Wörter, die im Chinesischen aus zwei Schriftzeichen bestehen - und ließ dann jeweils eines von beiden weg. Ein wenig so, als wolle sich ein von der deutschen Philosophie begeisterter Chinese das Wort "Übermensch" in den Bizeps stechen lassen, begnüge sich aus Platzmangel aber dann mit "Über". Das kann halbwegs funktionieren, wenn man etwa von der "Wahr-heit" das "Wahr" erwischt, das kann aber auch in die Hose gehen, wenn man sich aus Versehen für das "heit" entscheidet. Von der "Musik" (yin yue) zum Beispiel ist Sarah Connor nur mehr der "Ton" (yin) geblieben, und statt tai yang, "Sonne", steht bei ihr - grafisch wunderschön, aber semantisch etwas verloren - das Zeichen tai, das einfach nur "zu" oder "sehr" bedeutet.

Happiness is my blue potato. Ich versuchte damals eine geschlagene Interviewstunde lang, dem Spruch Sinn zu entlocken. Heute glaube ich: Er hat gar keinen.

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