Sack Reis:Endlich mal besinnlich

Lesezeit: 2 min

Wie man in Peking zu einem deutschen Bäcker kommt, der sich dann als Lebensretter erweist: Der Mann backt nämlich auch Seelen.

Von  Kai Strittmatter

Der Untergang der DDR hatte auch sein Gutes, vor allem in Sachen Umschulung. In Berlin machte sich die Physikerin Angela Merkel auf, ihrem Mentor Helmut Kohl im Amte des Kanzlers für alle Ewigkeit zu folgen, und erwarb sich entlang des Weges so einige Verdienste um den Weltfrieden und das Seelenheil der Seehofer-Opposition in Bayern. Das ist schon eine ganze Menge, wird aber als Lebensleistung fast noch in den Schatten gestellt von ihrem einstigen Volksgenossen Steffen Schindler, seines Zeichens damals Oberst der Nationalen Volksarmee. Aus Sicht der Pekingdeutschen zumindest ist die Mission Schindlers eine heroische, setzte er doch aus, sie zu befreien von der Eintönigkeit der chinesischen Küche, indem er Schneisen schlug für Kassler und Kohlroulade.

Inseln des Deutschseins. Der Mensch braucht so etwas, wenn er als Expat, also als kraftfahrzeugbranchenfinanzierter Luxusmigrant, in der Ferne vor sich hinbröselt. Heimweh, nach Erich Kästner ist das eh der verborgene Sinn allen Reisens. Schindler ist ein Heimwehstiller, und so wird auch seine Geschichte in Pekings deutscher Gemeinde immer wieder gern erzählt. Der Mann war, wie gesagt, mal Oberst der Nationalen Volksarmee und als solcher im November 1989 mit einer Tupolev 154 im Gefolge des armeeeigenen Sing- und Tanzorchesters Erich Weinert in Peking gelandet, um seinen Dienst als Militärattaché der DDR-Botschaft hier anzutreten. Seine Hauptaufgabe an der Botschaft, das teilt Schindler auf der eigenen Webseite mit, bestand darin, "mit Rasierklingen aus den Berichten die Namen der Informanten zu entfernen", was den Zusammenbruch der DDR dann auch nicht mehr aufhielt. Die DDR war weg, Schindler noch da, also tat er das Naheliegende und lernte Metzger. Und die Welt, so sehen das die Pekinger, wurde eine bessere: Schwerter zu Pflugscharen, bzw. Rasierklingen zu Wurst-Stopfern.

So kamen wir in Peking zu unserem deutschen Metzger. Und weil wir so gerne heimeln, haben wir auch noch einen deutschen Bäcker, der wiederum stammt aus Konstanz und ist mir ein Lebensretter, weil er tatsächlich, mitten in Peking, Seelen bäckt wie daheim in Schwaben, schön zäh und knusprig und mit ordentlich Salz und Kümmel obendrauf, damit man was zum Runterkratzen hat. Dass überhaupt eine jede schwäbische Seele von Zeit zu Zeit gekrault gehört, sieht man dann am Weihnachtsmarkt in der deutschen Botschaft, wo sich die halbe Daimler-Belegschaft wohlig die Beine in den Bauch steht. Da gibt's Currywurst (von VW), Leberkäs (von BMW) und Glühwein (von Audi). Es gibt aber auch den Stand von Haribo (von Andreas T., kühner Pionier bei der Auswilderung des Gummibären in China). Und natürlich den von Schindler, der in seiner Werbung verspricht, "Ihnen die aufregendsten und gaumenkitzelndsten Geschmäcker und Ideen aus aller Welt" zu servieren, sprich Kartoffelsalat und Thüringer.

Es ist jedes Jahr dasselbe: Pünktlich zum Weihnachtsmarkt versinkt Peking in apokalyptischem Wintersmog. Ein besinnlicher Feinstaubschleier legt sich über Adventskränze und Thüringer Räuchermänner, die Weihnachtsbläser blasen ihr "Vom Himmel hoch" in dichte Abgasschwaden, und gerührt lauschendes Automobilvolk wischt sich den patentierten "Volkswagen-Servicefactory Gewürz-Ketchup" aus den Mundwinkeln. Einmal im Jahr ist der Deutsche, mitten in der Fremde, ganz bei sich.

© SZ vom 10.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: