Sack Reis:Das Herz berühren

Einige südchinesische Wörter haben es nun ins Oxford English Dictionary und damit in den englischen Wortschatz geschafft. Darunter Vokabeln, für die es auch kein deutsches Äquivalent gibt. Zum Beispiel "Mafan", gerne geseufzt, für alles, was nervt und stört.

Von Kai Strittmatter

Es gibt Sprachen, die haben ein Wort für die Widerspiegelung des Mondenscheins im Wasser. Das Türkische nämlich. Yakamoz. Und es gibt das Deutsche, das sich ein Leben lang von Angehörigen anderer Sprachgruppen vorhalten lassen muss, jene zarten Falter, denen die Franzosen ein "Papillon" hinterherhauchen, unter den Silben "Schmetterling" zu zerstampfen. Ein Amboss von einem Wort. Als die Berliner Zeitschrift "Kulturaustausch" vor ein paar Jahren das schönste Wort der Welt suchte, landete Yakamoz auf Platz eins. Auf Platz zwei schon fand sich ein chinesisches: Hulu, das heißt "schnarchen".

Ich habe andere chinesische Lieblingswörter. Wörter, die auch unserer Sprache gut anstünden, ja mehr noch: die ihr nachgerade noch fehlen. Lehnwörter von jener Sorte wären das, die uns ein neues Instrumentarium zur feineren Beschreibung unserer Gefühle in die Hand geben, oder uns mit gänzlich neuen Erfahrungen vertraut machen. Soeben hat das Oxford English Dictionary eine Liste meist südchinesischer Wörter veröffentlicht, die es nun offiziell in das Lexikon und damit in den englischen Wortschatz geschafft haben. Viel zu essen ist da dabei. Yum cha zum Beispiel, jener kantonesische Morgen- und Mittagsschmaus, den wir als Dim Sum kennen, was übersetzt heißt: "das Herz berühren". Die Hongkonger selbst sagen zu der endlosen Parade von gedämpften und gebratenen Teigtäschchen aber eben nicht Dim Sum, sie nennen es Yum cha, was einfach nur "Teetrinken" heißt, und deswegen sowieso in jedes britische Wörterbuch gehört. Hier eine kurze Liste meiner Lieblingswörter.

Mafan. Alles, was umständlich, anstrengend, frustrierend und einfach nervig oder das alles zusammen ist. In meinem Fall das meist verwendete Lehnwort. Gerne auch als Substantiv. Gerne geseufzt. "Was für ein Maaafan!" Maßgeschneidert für die Quenglernation Deutschland.

Yuanfen. Das Schicksal, das etwa die Lebenslinien zweier Menschen miteinander verknotet. Es ist den beiden vorbestimmt, einander wieder und wieder zu begegnen. Ihre Wege können sich nicht bloß - sie müssen sich kreuzen. Das zufällige Treffen mit einer alten Schulfreundin in der New Yorker U-Bahn? Alles andere als Zufall. Yuanfen.

Chabuduo. Darüber habe ich hier schon einmal geschrieben: Es findet sich im deutschen Sprachraum nur im Baierischen eine angemessene Übersetzung, nämlich "Passt scho'". Also jene Lebenshaltung, die sich zufrieden zurücklehnt, wenn sie acht Zehntel des Weges zurückgelegt hat. Weil, im Ernst: reicht doch.

Guoyin. Wird manchmal als "befriedigend" übersetzt, am ehesten trifft es noch der Jubelausruf "geil". Guoyin gehört eigentlich gejauchzt und beschreibt eine süße Sucht im Augenblick ihrer Befriedigung. Guoyin, das ist der Ritt auf einem Surfbrett, wenn die Monsterwelle sich bricht, das ist der erste Biss ins Chili-Hühnchen, dann, wenn es einem nach der Explosion die Augen in den Hinterkopf dreht, das ist der Moment, wenn nach unendlichen Sekunden höllischen Juckens der Fingernagel endlich kratzen darf.

Wörter sind das, die ich im täglichen Gespräch ständig benutze und unter mein Deutsch mische. Ich wundere mich dann immer wieder aufs Neue, wenn mein des Chinesischen nicht mächtigen Gegenüber mich hilflos anschaut, vor allem aber wie ein Mensch ohne diese Begriffe durch's Leben gehen kann.

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