Reportage:Magische Realität

Mit seinem 14-bändigen Elfen-Zyklus ist Bernhard Hennen zum Star der Fantasy-Literatur geworden. In seinen Romanen hat er Drachen und Elfen ein ganzes Universum erschaffen. Ein erstaunlich geerdetes Treffen in der wirklichen Welt.

Von Thomas Hahn

Bernhard Hennen erzählt von den Elfen. Er tut dies mitten in der geschäftigen Wirklichkeit der Kölner Messe, auf der er, der Bestsellerautor, Termine hatte, um seine Bücher zu vermarkten. Und er klingt beim Erzählen wie ein Historiker, der das Schicksal der Fabelwesen in den Lauf der Weltgeschichte einordnet.

Die Elfen also. Sie sind unsterblich. Sie haben ein anderes Gefühl für die Zeit. Sie haben keine Eile beim Versuch, etwas zu verändern, weil ihre Zukunft unendlich ist. Deshalb entwickeln sie sich auch kaum im Verlauf der Jahrhunderte, ganz anders als die Menschen, die das Bewusstsein für ihre Endlichkeit relativ schnell aus den dunklen Jahren des Mittelalters zu den hellgeistigen Ideen der Neuzeit geführt hat. "In der Renaissance haben die Elfen den Menschen irgendwann nichts mehr entgegenzusetzen", sagt Bernhard Hennen, "Elfen und Menschen entzweien sich, weil sie nicht zusammenleben können." Und wie er das so erzählt, ist es, als erzähle Hennen neben der Geschichte der Elfen noch eine zweite Geschichte, nämlich die der Trump-Amerikaner, die ihre Freiheitsgesellschaft ja im Grunde auch für unsterblich halten, die deshalb keine Eile haben beim Versuch, die Welt zu verändern, und jetzt im Streit liegen mit anderen Marktwirtschaften.

Aber kann das sein? Dass eine Fantasy-Geschichte zum Abbild aktueller Gesellschaftszustände wird?

Bernhard Hennen, 51, lebt von Welten, die es nicht gibt. Er hat geschafft, was in der Masse der Fantasy-Autoren nur ganz wenige schaffen: Er sticht heraus mit seinen Romanen. Vor allem seine mächtige Elfen-Saga mit ihren insgesamt 14 bis zu tausendseitigen Bänden haben ihn zu einem Star des Genres gemacht. Mit seiner gewandten, wortmächtigen Sprache hat er ein vielschichtiges Universum erschaffen, zu dem es längst ein eigenes Internet-Lexikon und eine breite Fan-Basis gibt. Die Zeiten sind vorbei, in denen er als begabter Schriftsteller kein Geld mehr abheben konnte, weil der Dispokredit überzogen war. Alles ist gut geworden im Schriftstellerleben des Bernhard Hennen.

Nur einen Haken gibt es: dieses Vorurteil, dass Fantasy reine Kommerz-Literatur sei und mit ihrem sagenhaften Ideen-Getöse nur ablenke von den Themen der Gegenwart.

Er war selbst einst Rollenspieler. Er redet nicht schlecht über seine Industrie

Bernhard Hennen, dunkle Locken, Brille, dünner werdender Bart, ist ein leiser, wacher Mensch. Kein Rampentyp mit raumgreifender Aura, aber auch nicht unscheinbar. Und seine Freundlichkeit ist groß, gewachsen aus der klugen Einsicht, dass eine Meinung nicht gleich schlecht sein muss, bloß weil es nicht die eigene ist. Schon der Brite J.R.R. Tolkien hat sich mancher Feuilleton-Kritik aussetzen müssen, als er in den 1950er-Jahren mit seinem "Herr der Ringe"-Zyklus die moderne Fantasy-Literatur begründete. "Eskapistischer Unsinn!", zetern Fantasy-Verächter bis heute. Mitten im Harry-Potter-Boom hat der Schriftstellerkollege Klaus Kordon vor Jahren sogar mal gesagt: "Die literarische Fantasy-Welt ist meiner Ansicht nach auch eine große Gefahr für Kinder, weil sie mit der Realität, in der sie leben, gar nicht konfrontiert werden." Und Hennen wäre nicht der politische Mensch, weit gereiste Freigeist und Ex-Journalist, wenn er nicht selbst schon gezweifelt hätte am literarischen Wert seiner Schöpfung. Aber er lebt in Frieden mit sich, das merkt man schon daran, dass er sich nicht damit aufhält, sein Werk gegen Klischees zu verteidigen.

Fantasy ist ein vielschichtiges Unterhaltungsgewerbe. Der Mensch entführt sich dabei selbst in fremde Welten, indem er monumentale Zaubergeschichten liest, bei Rollenspielen seine eigenen Abenteuer erfindet oder sich in ausgefallene Kostüme wirft. Hennen mag das. Er war selbst einst Rollenspieler. Er redet nicht schlecht über seine Industrie. Er ist auch nicht der Typ, der anderen mit schaler Anspruchs-huberei den Spaß an der Oberflächlichkeit verderben würde. Dass Fantasy nicht oberflächlich sein muss, zeigen seine Bücher, die so raffiniert gebaut sind, dass sie nicht nur das massenhaft nachgefragte Lese-Entertainment liefern. Manche finden sogar, Hennens Fantasy bilde mehr Wirklichkeit ab, als es die Realliteratur je tun könnte.

Reportage: Der Mensch entführt sich selbst in fremde Welten, indem er monumentale Zaubergeschichten liest: Cover von Hennens Roman „Elfenmacht“. Illustration: Federico Musetti

Der Mensch entführt sich selbst in fremde Welten, indem er monumentale Zaubergeschichten liest: Cover von Hennens Roman „Elfenmacht“. Illustration: Federico Musetti

Lara Lautner aus Wien sagt zum Beispiel: "Die guten Fantasy-Romane sprechen psychologische und gesellschaftliche Tabuthemen tiefgründiger an als die meisten normalen Romane, weil sie diese Fantasy-Verfremdung haben, durch die man das machen kann." Lara Lautner ist 21 Jahre alt, Medizinstudentin und trotz ihrer Jugend eine ausgewiesene Fantasy- und Hennen-Expertin. Sie schreibt selbst Geschichten, vorerst vor allem im Internet. Hennens Elfen-Romane hat sie mit großer Aufmerksamkeit fürs Detail gelesen, und sie fand dabei genau das, was sie an der Fantasy schätzt: Spannung, eine in sich schlüssige Fantasie-Welt und eine Tiefe, in der sich die Brüche des wahren Lebens spiegeln. "Ich bin der Meinung, dass ein guter Fantasy-Roman die reale Welt mitverarbeitet", sagt sie.

Mit Genuss hat sie zum Beispiel gelesen, wie Hennen, einst Student der vorderasiatischen Archäologie und der Geschichte, seine Drachenelfen-Romane teilweise in die Kulissen der Bronzezeit versetzte. Und in den Figuren erkennt sie vielschichtige Persönlichkeiten, die zwischen existentiellem Abenteuer und innerem Unfrieden schwanken. Etwa in Emerelle, einer Hauptfigur in Hennens Elfen-Kabinett.

Emerelle ist die Königin von Albenmark, zielstrebig und kalt. Sie ist eine Elfin vom Volk der Normirga, welches im ewigen Eis von Carandamon siedelt. Sie regiert mit absolutem Herrschaftsanspruch. Sie bekämpft die Feinde ihres Reichs mit frostiger Rücksichtslosigkeit. Sie nimmt auch mal den Tod Unschuldiger in Kauf. Sie ist eine Bestie.

Aber Emerelle ist auch schön und warmherzig, eine Elfe mit milchweißer Haut und gewinnendem Lächeln. Wenn sie grausam tötet oder ihre Verbündeten hintergeht, tut sie das nur, weil sie als verantwortungsbewusste Herrscherin das Beste für ihr Volk will. Außerdem ist sie unglücklich verliebt in ihren Schwertmeister und Leibwächter Ollowain, der sie allerdings nicht einmal als Frau wahrnimmt. Emerelle ist hin- und hergeworfen zwischen Vernunft, Machtinstinkt und tiefem Gefühl. Ob sie zu den Guten oder zu den Bösen gehört, kann man gar nicht so genau sagen. Sie ist schwierig und gespalten wie eine Führungsfrau aus dem richtigen Leben.

Eine Elfe ist eben auch nur ein Mensch, ein komplexes Wesen, das mit seiner Umwelt umzugehen versucht. "Es gibt keine einfachen Wahrheiten", findet Hennen. Seine Welten funktionieren deshalb auch nicht nach dem Gut-Böse-Schema. Sein Elfen-Zyklus ist im Grunde ein riesiges mehrteiliges Psychodrama über die verschiedenen Aspekte des Herrschens und Beherrschtwerdens, des Siegens und des Scheiterns. Wer will, kann darin tatsächlich mehr Wahrheit über die Grausamkeit des Krieges finden, als in Historien-Romanen ohne Drachen und Trolle. Zumal Hennen die Gewalt der Kämpfe nicht zum Hollywood-Spektakel verklärt, das seine Helden mit funkenschlagender Simsalabim-Magie beliebig kleinzaubern können. In seinen Büchern ist die Gewalt so schrecklich wie im richtigen Leben. "Wenn bei ihm jemand ein Schwert durch die Lunge bekommt, dann stirbt er wirklich so, wie man stirbt, wenn man ein Schwert durch die Lunge bekommt", sagt die Medizinstudentin Lautner.

"Das ist das Bedrückendste an diesen Elfenromanen: der Verlust an Freiheit als Autor."

Hennen hat die Kunst des mittelalterlichen Schwertkampfes studiert, um Kampfszenen richtig beschreiben zu können. Er hat sogar Reitstunden genommen, obwohl er auf Pferdehaare allergisch ist. Und bei einem Foto-Shooting im Kettenhemd hat er am eigenen Leibe gespürt, wie sich das anfühlt, wenn einem ein Islandpony durchgeht. "Solche Erlebnisse verändern das Schreiben über Pferde", sagt er.

Reportage: Autor Bernhard Hennen.

Autor Bernhard Hennen.

(Foto: Dirk Hallecker)

Die Welt, die es gibt, verliert Hennen nie aus dem Blick. Wahrscheinlich geht das auch gar nicht anders, wenn man aus Krefeld kommt und im Stadtteil Uerdingen am Rhein lebt mit Blick auf die Schlote der Ruhrgebietsindustrie. Die Wirklichkeit sieht hier oft etwas rauer aus als anderswo, und es kann schon sein, dass sich Hennen manchmal selbst schon gewünscht hat, die Wirklichkeit mit ein bisschen Magie verändern zu können.

Hennen war einst bei den Jungsozialisten, er ist immer noch SPD-Mitglied. Mit leisem Befremden nimmt er Anteil am politischen Geschehen und klinkt sich ein im Rahmen seiner Möglichkeiten. Vor vier Jahren wurde Uerdingens Stadtbibliothek wegrationalisiert. Seit damals veranstaltet ein Arbeitskreis Protestlesungen, um gegen die Schließung zu protestieren. Jeden Montag, bei jedem Wetter. Hennen ist Mitglied im Arbeitskreis. Er hat hier auch schon gelesen. Die Bücherei, die Stadt, das ganze Land sind ihm nicht egal. Die Vorstellung vom Fantasy-Autoren, der ständig zwischen den Wolken seiner abgefahrenen Ideen schwebt, stimmt bei Bernhard Hennen nicht.

Zumal es ja auch noch die Wirklichkeit des Fantasy-Geschäfts gibt. Wer davon leben will, muss dessen Mechanismen kennen. Hennen kann darüber ganz offen reden. Die Entscheidung, einen Elfen-Zyklus anzulegen, fasste er mit klarem Blick auf die Marktlage. Er sah, dass Kollegen erfolgreiche Roman-Reihen über bestimmte Fantasiewesen-Völker geschrieben hatten, Stan Nicholls über die Orks und Markus Heitz über die Zwerge. Also nahm er sich die Elfen vor. 2004 kam der erste Band der Saga in die Buchläden, der 14. und vorerst letzte im vergangenen März ("Elfenmacht"). Und die Arbeiten an diesen Büchern hatten auch viel damit zu tun, Produktenttäuschungen zu vermeiden.

Fantasy-Leser lieben Fortsetzungen, aber sie hassen Unstimmigkeiten. Manchen fällt es auf, wenn eine Figur im ersten Band eine andere Augenfarbe hat als im fünften. Um solche Fehler zu vermeiden, hat Hennen sein eigenes Elfen-Glossar angelegt, in dem er Fakten zu seinen Romanfiguren nachschlagen kann. Manchmal orientiert er sich auch am Online-Lexikon seiner Fans. Ein Fantasy-Autor muss seine Fantasie auch mal an die Leine nehmen. "Das ist das Bedrückendste an diesen Elfenromanen", sagt Hennen, "der Verlust an Freiheit als Autor. Denn wenn in einer Geschichte einmal etwas festgeschrieben ist, ist sie für immer eingeschränkt."

Die Arbeit am nächsten Projekt wirkt da wie eine Befreiung, und natürlich hat Bernhard Hennen längst damit angefangen. Wieder hat die Wirklichkeit seine Fantasie beflügelt. "Das Projekt ist beeinflusst vom Gerede über die postfaktische Gesellschaft." Die Geschichte erzählt von einer Magie, die dazu führt, dass alles, was die Menschen glauben, Wirklichkeit wird. Sie könnten mit dieser Magie ein Paradies für alle errichten. Aber sie glauben lieber an Lügen und zersetzen so nach und nach die Wahrheit und ihre Gesellschaft.

"Was ist die Folge, wenn eine Lüge so durchschlagend ist, dass sie als Wahrheit angenommen wird?" Darüber schreibt Bernhard Hennen gerade. Und diese Frage klingt eigentlich viel zu aktuell, um Fantasy zu sein.

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