Rechtsanspruch auf Kita-Platz bis 2013:"Es wird 150.000 Prozesse geben"

Die Bundesländer werden den Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz nicht rechtzeitig erfüllen, warnt Münchens OB Ude - 2013 würden mindestens 150.000 Plätze fehlen. Tatsächlich zeitigen die Bemühungen höchst unterschiedliche Erfolge, wie die beiden Extreme Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen zeigen.

Felix Berth, Jan Bielicki und Bernd Dörries

Der Münchner Oberbürgermeister Christian Ude verlangt, den Rechtsanspruch auf Krippenbetreuung zu verschieben. "Es kann nicht gutgehen, wenn Eltern einen Rechtsanspruch bekommen, den die Kommunen überhaupt nicht erfüllen können", sagte Ude, der auch Präsident des Deutschen Städtetags ist, der Süddeutschen Zeitung. Bund und Länder und Gemeinden müssten darum "rechtzeitig vor dem Stichtag" im August 2013 feststellen, dass es bis dahin "keine ausreichende Anzahl" an Krippenplätzen geben werde.

Kinderbetreuung hilft alleinerziehenden Arbeitslosen

Die neuen Zahlen der statistischen Landesämter zeigen, dass der Ausbau der Kinderkrippen eher schleppend vorangeht.

(Foto: dpa)

Ude reagierte damit auf den schleppenden Ausbau der Kinderkrippen, der sich in den neuen Zahlen der statistischen Landesämter zeigt. Demnach waren in Westdeutschland im März 2011 nur 19,9 Prozent der Kinder unter drei Jahren in einer Kita oder wurden von einer Tagesmutter betreut. Im Jahr 2013, wenn laut Gesetz ein Rechtsanspruch gilt, sollen es 39 Prozent sein - eine Quote, die in den verbleibenden zwei Jahren nicht mehr zu erreichen ist.

Ude verlangte deshalb, dass Bund und Länder den Kommunen "eine realistisch bemessene Frist" für den Ausbau der Kinderbetreuung einräumen. Denn auch bei "äußersten Anstrengungen der Kommunen" würden 2013 noch mindestens 150.000 Betreuungsplätze fehlen - "und das bedeutet, dass es 150.000 Prozesse geben wird, die niemandem etwas nutzen". Das Geld solle "lieber in die Ausbildung von Erzieherinnen fließen als in die Beschäftigung der Justiz", sagte Ude.

Große Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft widersprach ihm umgehend: "Bund, Länder und Kommunen müssen aufhören, sich wechselseitig den Schwarzen Peter zuzuschieben", sagte GEW-Vorstand Norbert Hocke. Statt "Milliarden für das unsinnige Betreuungsgeld zu verschleudern" solle der Bund dieses Geld für den Krippenausbau zusätzlich bereitstellen, verlangte Hocke. Ein Sprecher des Bundesfamilienministeriums appellierte an die Länder, stärker auf die vom Bund bereitgestellten Gelder zurückzugreifen. Es sei offenkundig, dass das "Tempo des Ausbaus eher abgenommen als zugenommen habe".

Wie die neuen Daten zeigen, sind die Unterschiede zwischen den westdeutschen Bundesländern im letzten Jahr sogar noch größer geworden. In Rheinland-Pfalz gab es im März 2011 für fast jedes vierte Kind unter drei Jahren einen Platz in einer Kita oder bei einer Tagesmutter; die landeseigenen, aktuelleren Zahlen weisen sogar schon 29 Prozent aus. In Nordrhein-Westfalen dagegen dümpelt die Quote bei knapp 16 Prozent; der Zuwachs im letzten Jahr war gering - und es stellt sich die Frage, was das eine Land so erfolgreich, das andere so erfolglos gemacht hat.

Vorbild Rheinland-Pfalz

Das Verhältnis eines Kommunalpolitikers zu seinem Bundesland ist im Normalfall von einem gewissen Argwohn geprägt. Jeder Bürgermeister und jedes Ratsmitglied kennen diesen Gedanken: "In der Landeshauptstadt halten sie die großen Reden, aber wir müssen es ausbaden."

Nun ist es in Rheinland-Pfalz nicht so, dass die Landespolitiker gerne auf große Reden verzichten. In den Regierungserklärungen des Ministerpräsidenten Kurt Beck ist viel die Rede davon, dass seine Regierung die frühe Bildung stärken möchte. Doch das Erstaunliche daran ist, dass den großen Worten in Rheinland-Pfalz Taten gefolgt sind.

Den Ausbau der Kinderkrippen zum Beispiel regelte das Land schon im Dezember 2005, zwei Jahre vor der Initiative der Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen. Das Landesgesetz war zwar unendlich kompliziert, aber die Verwaltungsbeamten der Kommunen konnten darin klar nachlesen, welche Kita-Kosten das Land künftig übernehmen würde. Es waren, wie sie feststellten, ziemlich hohe Anteile. Und schon damals, im Jahr 2005, lockte die Regierung mit einer Prämie: Jede Kommune, die mehr als zehn Prozent aller Kinder unter drei Jahren in einer Kita betreut, erhält pro Kind und Jahr 1000 Euro zusätzlich; weitere 1050 Euro pro Kind schießt das Land zu, wenn die 40-Prozent-Marke überschritten ist.

Dieser Anreiz, der im Landesgesetz abgesichert ist, erklärt einen Teil des Erfolgs. Gleichzeitig gelang es dem Land offenbar, den Ernst des Anliegens zu vermitteln: "Wir können uns seit Jahren darauf verlassen, dass das Land die guten Bedingungen der Kitas nicht verschlechtert, sondern eher verbessert", sagt ein Leiter eines Jugendamtes. Und immer wieder legt das Land ein bisschen was drauf: Vor einiger Zeit gab es finanzielle Zugeständnisse an die Träger, dann kam im August 2010 ein Rechtsanspruch auf Betreuung für die Zweijährigen dazu. Die Kommunen verlassen sich darauf - und bauen aus.

Schlusslicht Nordrhein-Westfalen

Wenn man zusammenzählt, wie oft die zuständigen Politiker in Nordrhein-Westfalen in den vergangenen Jahren den Ausbau der Kindertagesbetreuung gefordert und angekündigt haben, dann müsste das Land eigentlich eine der besten Betreuungsquoten in Deutschland haben. Das Land ist aber nur Letzter in der Statistik, mit knapp 20 Prozent. Landesregierung, Opposition, Kommunen und Eltern, jeder hält den jeweils anderen für schuld an der Misere. Die rot-grüne Minderheitsregierung macht die Versäumnisse der schwarz-gelben Vorgängerregierung für den Zustand verantwortlich. "Schwarz-Gelb hat Land, Kommunen und jungen Familien ein Erbe hinterlassen, das Nordrhein-Westfalen jetzt vor große Herausforderungen stellt", sagte Familienministerin Ute Schäfer am Montag. Das ist auch nicht ganz falsch.

Der Verfassungsgerichtshof Münster jedenfalls hatte im vergangenen Jahr geurteilt, dass die Regierung von Jürgen Rüttgers (CDU) den Kommunen zu wenig Geld für Bau und Betrieb der Kindertagesstätten zur Verfügung gestellt habe. Rot-Grün hat das nun teilweise korrigiert, die Wachstumsdynamik bei den Betreuungsplätzen hat sich aber dennoch abgeschwächt.

Die Fördertöpfe seien voll, würden aber von den Kommunen nicht abgerufen, heißt es in der Landesregierung. Das liegt auch daran, dass in NRW von 430 Städten und Gemeinden gerade acht einen ausgeglichenen Haushalt haben. Mehr als hundert müssen mit einem Nothaushalt wirtschaften, der nur Ausgaben erlaubt, auf die es einen Rechtsanspruch gibt: Handwerkerrechnungen und Gehälter beispielsweise.

Es ist absurd, aber Investitionen in die U-3-Betreuung werden oft nicht genehmigt, weil der Rechtsanspruch erst ab 2013 besteht", sagt Martin Lehrer vom Städte- und Gemeindebund. Die Kommunen zahlen zwar den geringsten Teil der Kosten, oft nur Grundstückserwerb oder Vorleistungen - aber auch dafür ist oft kein Geld da in Nordrhein-Westfalen. Besonders schlecht sieht es im Ruhrgebiet aus, Oberhausen ist nicht nur die am höchsten verschuldete Stadt Deutschlands, es hat auch eine Betreuungsquote von lediglich zehn Prozent. Reichere Städte wie Münster kommen immerhin auf 25 Prozent.

Das alles zeigt: Was sich in Rheinland-Pfalz bewährt hat - finanzielle Anreize für die Kommunen plus eine verlässliche Politik des Landes -, ist in Nordrhein-Westfalen kaum zu beobachten. Den Städten und Gemeinden fehlt der finanzielle Spielraum, das Land vermittelt nicht den Eindruck von Verlässlichkeit. Wenig überraschend, dass sich Lokalpolitiker der beiden Länder so unterschiedlich verhalten.

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