Rausch und Risiko:Welt im Rausch

An estimated 12,000 to 15,000 people all exhale marijuana smoke as the clock hit 4:20pm during the 4/20 event at the University of Colorado in Boulder

Etwa 12 000 Menschen stoßen zeitgleich ihre Marihuana-Wolken in die Luft. Sie demonstrieren für die Legalisierung von Cannabis. (Archivfoto)

(Foto: Mark Leffingwell/Reuters)

Solange es Menschen gibt, nehmen sie Drogen. Ihre Haltung dazu ändert sich allerdings ständig. Heute ist der Rausch eine ernste Angelegenheit geworden.

Von Bernd Graff

Solange es Menschen gibt, nehmen sie psychoaktive Substanzen zu sich, die Bewusstsein und Wahrnehmung, Vernunft und Sinne manipulieren. Und genauso lange verurteilen sie Rausch, Überschreitung und den Verlust von Selbstkontrolle. Es gibt also einen Unterschied zwischen dem, was Menschen tun und immer schon getan haben, und dem, wie sie ihr Tun sehen und bewerten. Handlung und Haltung dazu sind zweierlei. Denn diese Haltung ist keineswegs geschichtsresistent: Sie wechselt stetig, kippt mitunter völlig, dreht sich mit den Jahrhunderten und mit den Gesellschaften, die ihre Räusche durchaus unterschiedlich bewerten.

Zudem ist es eine relativ junge Erscheinung, den Rausch als ein untersuchungswürdiges Phänomen zu sezieren. Überall wird über den Rausch, die Drogen, ihre (verheerende oder befreiende) Wirkung gesprochen - egal ob aus juristischer, kriminalistischer, medizinischer oder psychologischer Perspektive. Doch egal, wie darüber gesprochen wird: Das Thema ist nicht egal, es soll und muss darüber gesprochen werden. Der Rausch der Gesellschaft ist eine ernste Angelegenheit. Geworden.

Um klar zu machen, was das heißt, sei an Michel Foucaults Schriften über die Sexualität erinnert. Wir seien immer noch Viktorianer, meint er. Nein, nicht so prüde wie das ausgehende 19. Jahrhundert, aber wir beschäftigten uns immer noch in aller Ausführlichkeit mit: Sex. Das ist auffällig, da die Menschen in früheren Jahrhunderten meist keinen Gedanken darauf verschwendet haben. Sie hatten ihn einfach. Seit dem viktorianischen Zeitalter aber setzt etwas ein, was Foucault den Anreiz nennt, über Sex zu reden. "Man scheucht den Sex auf", schreibt er, "und treibt ihn in eine diskursive Existenz hinein."

Der Rausch steht unter Geständniszwang

In dieser foucaultschen Hinsicht, vielleicht nicht nur in dieser, sind Sex und Drogen Geschwister: Man hat sich spätestens seit dem 19. Jahrhundert darauf verständigt, dass man davon spricht: Man scheucht die Lust an Drogen und ihrem Konsum sprachlich auf. Sex, Drogen und Rausch (und Rock 'n' Roll) sind nicht einfach etwas, was Genuss oder Entspannung bereitet, sondern etwas, an dem sich tiefere Wahrheiten ablesen lassen - über die Gesellschaft, die einzelne Persönlichkeit, den kollektiven Druck, die Fähigkeit beziehungsweise die Belastung zu arbeiten.

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Der Rausch steht unter Geständniszwang. Auch, wenn er eine rebellische Haltung ausdrücken will. Wie bei den Anarchisten des ausgehenden 19. Jahrhunderts, die mit Absinth gegen die Bourgeoisie antranken, um auf ihre Ablehnung von Normen und Pflichten hinzuweisen, oder bei den Kiffern der Jugendrevolten der Sechzigerjahre, die sich von ihren muffigen Eltern distanzieren wollten.

Meist aber spricht man ohnehin besorgt über die Gefährdungen durch Drogen: Man fürchtet das Schwinden der (persönlichen und gesellschaftlichen) Abwehrkräfte, die Verlotterung der Sitten und den Verlust der Disziplin, fordert darum Enthaltsamkeit und striktere Erziehung, schließlich seien doch Individualität, Authentizität, Gesundheit, Arbeitskraft und Vernunft bedroht. Unsere westlich-aufgeklärten Gesellschaften wollen also sehr genau wissen, was mit ihrem Drogenkonsum (und ihrem Sex, der ja durchaus auch ins Rauschhafte gehört) los ist - und sie belegen so, dass sie sich selber zutiefst misstrauen.

"Wo Wein fehlt, muss man Drogen nehmen"

Dabei sind der Konsum von Drogen und der grenzüberschreitende Rausch normal - und menschlich. Seit Tausenden von Jahren sind die Menschen ab und an, mehr oder weniger offen bedröhnt. Ein paar Beispiele? 5000 vor Christus: Die Sumerer nutzen Opium, nennen es "Freude spendend". 3500 vor Christus, erste Zeugnisse der Existenz von Alkohol, sprich Wein, tauchen auf ägyptischem Papyrus auf. 2000 vor Christus: erste Prohibitionsversuche. Ein ägyptischer Priester mahnt seine Schüler, nicht in Kneipen abzuhängen, weil sie dort zu "Tieren degenerieren". Etwa 700 vor Christus: Homer beschreibt in der Odyssee ein opiumhaltiges Weingetränk, das er Nepenthes nennt (aus den griechischen Wörtern für "nicht" und "Kummer").

Altes Testament, 350 v. Christus, Sprüche, 31:6-7: "Gebt starkes Getränk denen, die am Umkommen sind, und den Wein den betrübten Seelen, dass sie trinken und ihres Elends vergessen und ihres Unglücks nicht mehr gedenken." In einer babylonischen Schrift heißt es um 450 vor Chr.: "Wein ist die wichtigste Medizin. Wo Wein fehlt, muss man Drogen nehmen."

Um 1000 herum berauscht man sich in China ganz selbstverständlich an Opium. Von den Afghanen, die ihre Angst vor der Schlacht mit Opium betäubten, weiß man, dass sie das Gift "Honig der Krieger" nannten. Bis zu 4,5 Kilo Rohmaterial im Jahr gehörten im 13. Jahrhundert zum Sold, notiert der Maharadscha von Jaipur in seinen Erinnerungen. Von den Türken im 16. Jahrhundert mit Kampfer zu "l'eau heroique", Heldenwasser, aufgekocht, machte die Mixtur mutig und wach. 1493 führen Columbus und die Seinen Tabak in Europa ein. 1525 führt Paracelsus "laudanum" in die Medizin ein, eine Opium-Tinktur. Thomas Sydenham (1624-1689), den man den "englischen Hippokrates" nennt, formuliert: "Unter all den Mitteln, welche der Allmächtige dem Menschen zur Linderung seiner Leiden gab, ist keines so umfassend anwendbar und so wirksam wie Opium."

Zwischen Warnung und Laisser

Opium Smokers

Zwei Männer rauchen Opium in Hongkong im Jahr 1955

(Foto: Getty Images)

Diese Chronologie kann man beliebig verlängern - die Haltung zum Rausch schwankt zwischen Warnung und Laisser-faire hin und her. Mal gelten die Drogen als diabolisch, mal als völlig unbedenklich. Um 1650 herum wird Tabak in Bayern, Sachsen und in Zürich verboten - ohne Erfolg. Der osmanisch-türkische Sultan Murad IV. verfügt sogar die Todesstrafe gegen Raucher. Ebenfalls erfolglos.

1717: Alkohol-Lizenzen werden in Middlesex in England nur an diejenigen vergeben, die auf die Vormacht des Königs über die Kirche schwören. Ob Alkohol verheerend wirkt, ist hier gar nicht erst die Frage. 1792 wird die "Whiskey Rebellion" in Pennsylvania gegen die Steuer auf Alkohol blutig von George Washington niedergeschlagen. Die aus Ägypten zurückkehrende napoleonische Armee bringt 1800 Cannabis (Haschisch und Marihuana) nach Frankreich mit, im Jahr 1844 wird "Le Club de Haschischins" in Paris eröffnet.

Die Kriminalisierung des Rausches

Überhaupt das 19. Jahrhundert! Während einerseits Techniken erfunden und vorangetrieben werden, die berauschenden Substanzen aus den Naturdrogen zu extrahieren und destillieren - 1805 entdeckt etwa der deutsche Chemiker Friedrich Wilhelm Adam Serturner, wie man Morphium gewinnt - machen sich die Mahner auf, den Rausch zu kriminalisieren. Thomas Trotter, ein Arzt aus Edinburgh, publiziert 1804 den "Essay, Medical, Philosophical, and Chemical on Drunkenness and Its Effects on the Human Body". Darin heißt es: "Medizinisch betrachtet ist Trunkenheit eine Krankheit, die im lebenden Körper die gesunden Funktionen ruiniert. Die Angewohnheit zu trinken, ist eine Seuche des Geistes."

Trotzdem wurden weit stärkere Drogen als Alkohol völlig unkontrolliert verschrieben und ausgegeben. 1822 erscheinen Thomas De Quinceys "Konfessionen eines englischen Opium-Essers". Darin heißt es, dass man mit Opium nur umzugehen lernen muss: "Und, wie geht es meiner Gesundheit, nach all diesem Opiumkonsum in meinem Leben? Danke der Nachfrage! Sehr gut, obwohl ich nach Meinung einiger Mediziner eigentlich krank genannt werden sollte. Doch ein Opium-Esser ist zu glücklich, um Veränderungen der Zeit wahrzunehmen."

In den Jahren zwischen 1830 und 1840 ist die britische East India Company der weltweit größte Drogenhändler, mit Einfluss in China, auf den Philippinen und auf Java. Die Europäer haben kein Geld, um Tee und Porzellan aus China zu bezahlen, darum zwingen sie den Chinesen Opium als Bezahlung auf. Dazu exportieren sie illegalerweise Tonnen von in Indien hergestelltem Opium nach China. Das führt zu zwei Kriegen: Der Erste Opiumkrieg von 1839 bis 1842 erzwingt nach der Niederlage Chinas die Öffnung seiner Märkte und die Duldung des Opiumhandels, der zweite von 1856 bis 1860 legalisiert nach einer weiteren chinesischen Niederlage den Opiumhandel dort endgültig. Die Europäer führen nun offiziell Opium ein und bezahlen damit.

"Alkohol ist in erster Linie ein Zerstörer"

1840 formuliert ein britischer Minister, Benjamin Parsons: "Alkohol ist in erster Linie ein Zerstörer. Er kann den Kopf angreifen, bis das Hirn Blut schwitzt, die völlig verwahrloste Vernunft flieht und einen verrückten Mann zurücklässt. Ich kenne keine einzige Person, die verrückt wurde, und nicht jeden Tag Alkohol zu sich nahm."

1875 werden in San Francisco die zahlreichen Opiumhöhlen per Gesetz geschlossen. Dr. Theodor Aschenbrandt, ein deutscher Militärarzt, verabreicht 1883 bayerischen Soldaten das inzwischen vom Pharmaunternehmen Merck hergestelltes reines Kokain und berichtet, dass die Jungs jetzt nicht mehr müde würden. 1884 testet dann auch Sigmund Freud Kokain, um seine Depressionen zu bekämpfen. Er berichtet von Euphorie und Gefühlen erhöhter Selbstkontrolle, Vitalität und Arbeitskraft. Man sei also "einfach normaler als normal" und könne sich gar nicht vorstellen, unter Einfluss einer Droge zu stehen.

Ein Jahr später wird per Gesetz geregelt, dass Anti-Alkohol-Unterricht in den Schulen des Bundesstaates New York gehalten wird, das Gesetz übernehmen Pennsylvania und andere Staaten kurz darauf. Die Regelungen werden aber bald wieder aufgehoben, weil man fürchtet, dass gerade die Aufklärung die Kinder neugierig auf Teufelszeug macht.

Wiederum ein Jahr später kommt die britische "Royal Commission on Opium" zu dem Ergebnis, dass Opium in etwa so schlimm ist wie Alkohol - also gar nicht. 1889 wird die Johns-Hopkins-Klinik in Baltimore, Maryland, eröffnet. Ein Gründungsvater ist der Chirurg Dr. William Stewart Halsted, er führte die Verwendung von Gummihandschuhen bei Operationen ein und wandte im Selbstversuch erprobte Kokain-Injektionen zur Lokalanästhesie an. Ansonsten war er ein Morphium-Abhängiger, der bis zu seinem Lebensende 1922 immens große Dosen benötigte, aber hervorragend operierte.

Teuflischer Absinth, sicheres Heroin

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wird dann auch Absinth umbenannt: Die "grüne Fee" heißt nun "grüne Gefahr" oder der "grüne Dämon". Ein christlicher Verein in den Vereinigten Staaten verbreitet eine Broschüre mit dem Titel: "Absinth, das Getränk des Teufels". Darin heißt es: "Die Absinthtrinker sterben alle an Tuberkulose, Wahnsinn oder Paralyse." 1859 schon war ein gewisser Doktor Auguste Motet zu dem Ergebnis gekommen, Absinth bewirke epileptische Anfälle, wenn man ihn in konzentrierten Dosen zu sich nehme. 1892 stellt ein weiterer Arzt namens Rudolf Ott angeblich stets "Krämpfe und Gliederzittern" fest, wenn er sich "zwei Tropfen Absinthessenz" in die Drosselvene injizierte.

1894 kommt dagegen der 3000 Seiten starke "Report of the Indian Hemp Drug Commission", die von der britischen Regierung eingesetzt wurde, zu dem Ergebnis, dass "es keinerlei Hinweise darauf gebe, dass Cannabis mentale oder moralische Verwerfungen hervorrufe, wenn man es mäßig nutzt." Man schlägt sogar eine Cannabis-Steuer für Indien vor. Das aber wird dann nicht umgesetzt, weil man "nicht das besteuern soll, was armen Menschen so viel Freude bereitet".

1898 wird Heroin in Deutschland synthetisiert und beworben mit der Formel: Ein "sicheres Produkt, das frei ist von abhängig machenden Wirkungen". So sieht es auch der Arzt James R. L. Daly, der 1900 im Boston Medical and Surgical Journal erklärt: "Heroin besitzt viele Vorteile Morphium gegenüber: Es wirkt nicht hypnotisch und es besteht keine Gefahr, süchtig davon zu werden."

"Man spricht schon von einer Süd-Seuche"

Auch im 20. Jahrhundert, die Wissenschaften machen gewaltige Fortschritte, kann man sich nicht auf klare Haltungen zu Drogen und ihrem Konsum durchringen.

1903 wird die Formel für Coca-Cola geändert: man setzt nun Koffein statt wie bisher Kokain ein. 1906 beschließt man in den USA das "Pure Food and Drug"-Gesetz. Bis dahin war es möglich, in Läden oder per Post Mittelchen zu kaufen, die Morphium, Kokain, Heroin enthielten - ohne, dass dies angegeben sein musste. In der New York Times erscheint 1914 ein Artikel, in dem es heißt: "Die meisten Übergriffe auf weiße Frauen in den Südstaaten sind das unmittelbare Resultat von Kokain-verrückten Negerhirnen. Man spricht schon von einer Süd-Seuche."

1916 streicht der offizielle Drogenkatalog der USA, die "Pharmacopoeia of the United States" Whiskey und Brandy von der Liste und sie gelten nicht mehr als Drogen im medizinischen Sinn. Vier Jahre später, mit Einsetzen der Prohibition in den USA, wird Alkohol in nie gekannten Mengen von Ärzten verschrieben. Bis 1928 verdienen Ärzte an die 40 Millionen Dollar pro Jahr damit, Whiskey zu verschreiben, weil Whiskey jetzt als Medizin gilt.

"Die Verbote erschaffen die Drogendealer"

In der Zeit von 1920 bis 1933 ist der Genuss von Alkohol in den USA offiziell verboten. In den ersten sechs Monaten nach Inkrafttreten der Prohibition bewerben sich mehr als 15 000 Mediziner und an die 57 000 Apotheker darum, Alkohol verschreiben zu dürfen. 1925 schreibt ein Robert A. Schless im American Mercury: "Ich glaube, dass die Drogenabhängigkeit von den Verboten, sie zu verkaufen, herrührt. Abhängige provozieren Dealer und werden mit Heroin belohnt. Die Verbote erschaffen die Drogendealer, die Drogendealer erschaffen die Abhängigen." Man schätzt, dass 1928 einer von 100 deutschen Ärzten morphiumsüchtig ist und wenigstens 0,1 Gramm pro Tag konsumiert.

1938 synthetisiert Dr. Albert Hoffman, ein Chemiker bei Sandoz in Basel, LSD. Hitlers Blitzkrieger sollen beim Einmarsch in Polen "Panzerschokolade" eingeworfen haben, die mit Pervetin versetzt war, einem Methamphetamin, das auch die "Hermann-Göring-Pille" oder "Endsiegdroge" genannt wurde. 1943 schreibt Colonel J.M. Phalen in einem Editorial des Military Surgeon, das "The Marijuana Bugaboo" betitelt ist: "Das Rauchen von Cannabis ist nicht schlimmer als das von Zigaretten. Es bleibt zu hoffen, dass deswegen in der Armee keine Hexenjagd losgeht wegen eines Problems, das gar nicht existiert." 1946 gibt es Schätzungen zufolge etwa 40 Millionen Opium-Raucher in China.

Vier Fünftel der Franzosen geben 1954 an, dass Wein "gut für die Gesundheit" ist. 1955 meint das Präsidium des Deutschen Ärztetages: "Die Behandlung von Drogensüchtigen muss in den geschlossenen Abteilungen der Psychiatrien erfolgen. Ambulante Behandlung ist zwecklos." 1963 meint das auch die Weltgesundheitsorganisation WHO. Der Schah von Persien verbietet 1955 Herstellung und Gebrauch von Opium. Sofort entsteht ein gigantischer illegaler Markt dafür. 1969 wird das Verbot wieder aufgehoben und mehr als 110 000 Personen erhalten nun ihr Opium auf Rezept. In den USA fordert Drogenaltmeister Timothy Leary, LSD direkt ins Trinkwasser einzuleiten. Dafür wird er von Präsident Nixon zum "gefährlichsten Mann in Amerika" ernannt.

8,08 Milliarden Dollar Jahresumsatz

Der Jahresumsatz der Tabakindustrie beträgt 1963 in den USA 8,08 Milliarden Dollar, 3,3 Milliarden kassiert davon der Staat. Die Tabakindustrie jubelt: "Tabak-Produkte gehen so häufig über die Ladentheke wie nichts anderes - Geld ausgenommen." 1966 behauptet die "New Jersey Narcotic Drug Study Commission", dass LSD eine größere Gefahr für das Land darstelle als der Vietnamkrieg." Im Jahr 1968 rauchen US-Amerikaner 544 Milliarden Zigaretten.

1970 meint der Medizin-Nobelpreisträger Dr. Albert Szent-Györgyi auf die Frage, was er tun würde, wenn er noch einmal jung wäre: "Unzucht treiben und Drogen einwerfen, um die Belastung durch die Idioten ertragen zu können, die die Welt regieren." 1973 stellt Michael R. Sonnenreich, der Direktor der US-amerikanischen "National Commission on Marijuana and Drug Abuse", in dem Buch "Why Our Drug Laws Have Failed: A Judicial Indictment Of War On Drugs" gleich im ersten Kapitel fest: "Vor vier Jahren haben wir insgesamt 66 Millionen Dollar für Drogenprävention ausgegeben, in diesem Jahr sind es 796 Millionen bis jetzt, vielleicht reißen wir noch die Milliardenmarke. Wir werden, mir fällt kein anderes Wort ein, zu einer Drogenbekämpfungs-Industrie."

All diese historischen Daten belegen beispielhaft, wie absurd der Diskurs der Drogen hin und her schlingert, als sei er wenigstens volltrunken. Man meint viel zu wissen, mahnt und warnt, kann sich aber zu keiner eindeutigen Haltung durchringen. Und unbeeindruckt von all dem konsumieren die Menschen immer weiter Drogen.

Gedröhnt wird immer weiter

Modedrogen wie das aktuelle Ayahuasca peruanischer Ureinwohner lösen gerade LSD und Heroin in den schicken, hippen Kreisen ab. Angeblich soll es helfen, andere Süchte zu überwinden und die von allem überlasteten Hirne neu zu verkabeln. Psilocybin soll Raucher vom Verlangen nach Nikotin befreien, heißt es. MDMA, Ecstasy, soll Empathie verstärken und posttraumatische Belastungsstörungen mildern.

Wie auch immer: Gedröhnt wird immer weiter. Begleitet von einem Reden darüber wie unter Geständniszwang. Das Drogengequatsche ist zu einem Symptom der verbalen Rückversicherung und Kontrolle geworden. Anscheinend braucht die Gegenwart das Reden über die andere, dunklere Seite des Bewusstseins genau wie die Erfahrungen damit. Wer Drogen nimmt, ist entweder ein Loser oder ein Leistungsgott. Drogen sind Anlass für Scham, gruselndes Erinnern an die Sünden vergangener Nächte, aber inzwischen auch ein Ausweis für Hippness.

Natürlich weiß man, dass Alkohol und andere Drogen die Gesundheit ruinieren, die Fahrtüchtigkeit und allgemeine Verkehrstauglichkeit (und den Sex!) beeinträchtigen, man kennt Flashbacks, also das ungewollte Wiederauftauchen der Rauschsymptome, man weiß um Kater und Entzugserscheinungen - das alles spricht nicht für Drogen.

Man weiß aber auch, dass die Illegalität von Drogen die Verbreitung von Aids und Hepatitis befördert, wenn unkontrolliert unsaubere Spritzen verwendet werden oder ungeschützte Prostitution stattfindet, weil Junkies Geld für Drogen beschaffen müssen. Deswegen ist Illegalität auch ein Grund für Straßenkriminalität, Raub und Diebstahl. Wie Illegalität auch das Panschen und Strecken von Drogen erst möglich macht. Drogenmissbrauch kann Familien zerstören und Arbeitsverhältnisse, es gibt Co-Abhängigkeit von Partnern und die generelle Leugnung eines Drogenproblems.

Auch die Gesamtgesellschaft leidet: Drogen sind eine der Hauptursachen für Verkehrs- und Arbeitsunfälle, in den USA sind mehr als die Hälfte aller tödlichen Verkehrsunfälle auf Drogenkonsum zurückzuführen. Drogenkriminalität ist oft bandenmäßig organisiert, ganze Städte können unter sich bekriegenden Kartellen und den mafiösen Strukturen leiden.

Drogen gehören zum Menschen

Man kann argumentieren, dass der Drogenhandel und die Gewalt, die er erzeugt, verschwinden oder wenigstens geringer würden, wenn Drogen legal sind - so geschah es ja etwa bei der Aufhebung der Prohibition 1933. Man kann sich ausmalen, dass mit staatlicher Regulierung die Dosierungen der Substanzen vereinheitlicht und kontrolliert, gefährliche Schadstoffe daraus entfernt, dass Drogen also sicherer gemacht werden. Zudem würde sich der Preis einpendeln, kriminelle Aktivitäten, um Geld für den Stoff zu besorgen, könnten abnehmen.

Trotzdem glaubt eine Mehrheit in der westlichen Welt, dass Legalisierung eine schlechte Idee ist. Man glaubt, dass die Legalisierung, die ja die Beschaffung erleichtert, den Drogenkonsum fördert.

Das Konzept einer regulierten Abgabe von Drogen, die eine Kontrolle ermöglicht, verlangt nach einer Legalisierung. Das ist ein relativ neuer Gedanke. Entkriminalisierung bedeutet die Beseitigung oder Verringerung der Strafen für die Verwendung von Drogen und den Handel mit kleinen Mengen von bestimmten Substanzen. Doch liberalere Haltungen zur Drogen-Entkriminalisierung bestehen nie lange. In den Siebzigerjahren etwa war Marihuana vielerorts entkriminalisiert. In den Achtzigerjahren wurden oftmals wieder strengere Gesetze eingeführt. Aber werden deswegen weniger Drogen genommen? Antwort: ein klares Nein.

Drogenkonsum wird trotz strengerer Gesetze, trotz bekannter negativer Folgen nicht geringer, er wurde nie geringer, er geht immer weiter. Drogen gehören zum Menschen, er nimmt sie einfach.

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