Gartenhaus in Brandenburg:Sommer in der Datsche

Gartenlaube

Ein Schuppen, wenig Gras, viele Mücken: die Datsche ist nicht glamourös - aber perfekt unperfekt.

(Foto: dpa)

Ein Schuppen, viele Mücken und wenig Garten: Warum die Datsche trotzdem der Sehnsuchtsort der Berliner ist.

Von Verena Mayer

Geschichte eines Bekannten, den es hinauszog ins Grüne: Er mietete sich eine Datsche, also eines dieser Häuschen mitten im Nirgendwo, mehr Schuppen als Bungalow. Rundherum nur Kiefern und ein träge vor sich hin mäandernder Fluss. Seine Zeit verbrachte er damit, auf dem Fluss hin und her zu paddeln und das wuchernde Grün im Garten zu bändigen. Als er dann einen Job in einer österreichischen Stadt bekam, inmitten von lieblichen Hügeln und Weingütern, hätte er seine Freizeit an einem Ort verbringen können, den man "die Toskana Österreichs" nennt.

Doch er stieg weiterhin in sein Auto und fuhr am Wochenende zwölf Stunden nach Brandenburg. In seine Datsche.

Es ist ja immer interessant, welche Wörter es von einer Sprache in eine andere schaffen. Das deutsche "Arbeit" gibt es im Japanischen, "Schadenfreude" im Englischen. Eines der wenigen russischen Wörter, die im Deutschen gebräuchlich sind, ist "Datsche", die Bezeichnung für ein russisches Gartenhaus. Datsche, das klingt nach Sommer und Sehnsucht, nach wehenden Kleidern und jungen Leuten, die auf einer weinumrankten Veranda sitzen. Nur, dass dieses Bild vom russischen Idyll mit der deutschen Wirklichkeit nicht viel gemeinsam hat.

Datschengesuche bei den Kleinanzeigen

Die Datsche kam in Deutschland auf, als es die DDR noch gab und man einen Ort brauchte, um die Gurken und Tomaten zu ziehen, die man in den Läden nicht kaufen konnte. Und genau danach sehen hunderttausende Datschen, die allein über Brandenburg verteilt sind, oft aus. Wenig Garten mit vielen Mücken, darin ein zusammengezimmerter Zweckbau aus Blech und Holz, oft ohne Wasser und Strom. Kein Kurort, nirgends. Wenn man Glück hat, ist ein See in der Nähe.

Wobei das Datschengefühl auch in einem alten Bauernhof zu Hause sein kann oder in einer Scheune, in deren morschen Dachstuhl die Besitzer ihr Vermögen versenkt haben. Manchmal findet man auch eine schicke Version, mit Eames-Stühlen vor bröckelnden Ziegelwänden, und in der Ecke lehnt ironisch eine Heugabel. Ein berühmter Datschenbesitzer war Erich Honecker, Angela Merkel soll ebenfalls eine haben.

Und doch ist die Datsche derzeit eine der begehrtesten Immobilien für Großstädter. DJs, Architekten, Irgendwas-mit-Medien-Menschen - sie alle haben eine, auf Ebay stolpert man über Kleinanzeigen wie "Suche Datsche. Bin Künstlerin". Dimitri Hegemann, Gründer des legendären Technoclubs "Tresor", verbringt seine Freizeit auf dem Land, der Schriftsteller Saša Stanišić ging vier Jahre in ein Dorf in der Uckermark und schrieb einen preisgekrönten Roman darüber.

Dorffest mit Schlagersänger

Dort, in einem der am dünnsten besiedelten Landstriche Deutschlands, trifft sich inzwischen eine ganze Berliner Szene. Bei Literaturveranstaltungen oder beim UM-Festival. In der kargen Endmoränenlandschaft stehen dann zwischen Orten, die Fergitz oder Pinnow heißen, riesige Kunstinstallationen. Im Wald wird performt, in den Scheunen tanzen sie zu elektronischer Musik. Und überall Leute, die eigentlich das urbane Berlin verkörpern wie kaum jemand sonst. Die Bewohner der hippsten Hauptstadt der Welt haben einen neuen Sehnsuchtsort gefunden.

Silke Obladen etwa. Obladen, stylisher Haarschnitt, schwarz lackierte Fingernägel, sitzt in ihrem Restaurant in Berlin-Mitte. Obladen erzählt eine typische Berliner Geschichte. Mitte der Neunziger kam sie aus Süddeutschland nach Berlin, zu Studium und Szeneleben. Alles war rau, nichts festgelegt, und "man konnte sich an der großen, wilden Stadt reiben". Als sie ihre Kinder bekam, legte sie sich ein 70 Quadratmeter großes Holzhäuschen in Brandenburg zu. Obladen fand dermaßen am Datschenleben Gefallen, dass sie mehr und mehr Zeit auf dem Land verbrachte. Und kürzlich für 30 000 Euro ein altes Bauernhaus kaufte.

Sie scrollt durch ihr Handy und zeigt Fotos. Graues Gemäuer, sehr baufällig. Sie erzählt vom letzten Dorffest, mit Lampions und Schlagersänger. Man muss an die Datschen denken, mit denen der Berliner Bühnenbildner Bert Neumann berühmt wurde. Er stellte sie immer dann auf die Bühne, wenn eine Gesellschaft auf der Suche nach dem Sinn inszeniert werden sollte. Mit Klappstühlen und Bierflaschen, und die Männer tragen Feinripp-Unterhemden. Ein Ort, der höchstens ironisch funktioniert.

Das Pionier-Gefühl in der Provinz

250 000 Datschen

... gibt es offiziellen Schätzungen zufolge allein in Brandenburg, viele werden von Berlinern bewohnt. Die Datsche, abgeleitet vom russischen Wort für ein fürstliches Landgeschenk, stand immer schon für einen Sehnsuchtsort. In der DDR waren die Wartelisten für die Häuschen so lang wie für einen Trabi. Schlagzeilen machen seit Langem die Pachtverträge, die noch zu Ostzeiten abgeschlossen wurden. Für sie galt nach der Wende ein spezieller Kündigungsschutz. Ein neues Gesetz sollte weitere Sicherheit schaffen, wurde jedoch jüngst im Bundestag abgelehnt. Von Oktober an könnte nun langjährigen Datschenbesitzern gekündigt werden.

Nur: warum? Was wollen die Leute aus einer Großstadt, die ihnen alles bietet, mit einem piefigen Kleingarten in der Einöde? Alles daran sei aufregend, sagt Obladen, wild. Und wohin man schaue, liege etwas brach, das man bespielen, bebauen, sich aneignen könne. "Das Unfertige findet man heute nur mehr auf dem Land."

Silke Obladen blickt aus dem Restaurant, in dem sie einst gekellnert hat und das jetzt ihr gehört und "Mädchenitaliener" heißt. Draußen liegt die Alte Schönhauser Straße, eine dieser Gegenden, die mal ein einziges Berliner Versprechen waren. Dreckig, kaputt, und in jedem Abbruchhaus machte man Kunst. Jetzt ist alles schön gepflastert und pastellfarben. In die Läden sind edle Marken eingezogen, in den Restaurants wird die hausgemachte Limonade in Marmeladengläsern serviert. Hier sieht Berlin nicht viel anders aus als die Düsseldorfer Kö oder die Maximilianstraße in München.

Auf dem Land aber gebe es all das noch, was Berlin in seinen besten Zeiten ausgemacht hat, sagt Obladen. Sie klingt atemlos, als sie davon erzählt, dass man "Pionier sein" könne im Berliner Umland. Während die Bewohner anderer Großstädte die Sehnsucht nach Biedermeier und Bullerbü hinaus aufs Land treibt, wollen die Berliner dort genau dasselbe finden, was sie überhaupt erst in die Hauptstadt gebracht hat: Abenteuer, das Außergewöhnliche.

Die begehrten Bretterschuppen

In den brandenburgischen Dörfern, in die Berlins Szenemenschen derzeit drängen, ist man darüber am allermeisten erstaunt. Immer wieder wird Silke Obladen gefragt, ob sie das wirklich ernst meine. Ihr Nachbar macht für sie Elektrikerarbeiten, einfach, weil er es so schön findet, dass jemand aus Berlin hier wohnen will.

Nur der Ortsvorsteher hat inzwischen dazugelernt. Die nächste brach liegende Immobilie will er erst einmal auf ihren Wert schätzen lassen, bevor er sie Berlinern überlässt. Und so wie die Toskana durch jene deutschen Villenbesitzer gepflegt wird, die darin ihr Paradies, in dem die Zitronen blühen, gefunden haben, belebt sich das raue Berliner Umland durch die Sehnsüchte einer urbanen Szene nach Brachen und Ruinen.

Die Illusion des Landlebens

Natürlich ist diese Art von Landliebe erst mal das, was sie überall ist. Rückzug aus einer komplexer werdenden Welt, ganz im Stil der neuen Landlust, wie sie in Bildbänden wie "The Outsiders" inszeniert und mit formschönen Accessoires versehen wird. Der Stadtflucht liegen dieselben Sehnsüchte zugrunde wie dem Urban Gardening, das dem allzu Städtischen begegnen will, indem man alles bepflanzt, umhäkelt, verschönert. Es ist die Illusion, als Städter der Stadt entkommen zu können.

Historisch bot die Datsche immer schon eine solche Zuflucht. Für Hunderttausende war sie einer der wenigen Orte in Ostdeutschland, an denen man von allem weg sein konnte, wenn man schon nirgendwohin reisen durfte. Wie das unglückliche Liebespaar Paul und Paula, das in dem berühmten Film entweder nackt badet oder sich zum Stelldichein in der Datsche trifft.

In der Realität gibt es Straßen und verspeiste Goldfische

Die neue Berliner Datschenseligkeit ist dennoch speziell. Das Land, das man hier vorfindet, widerspricht ja allen Klischees vom Leben im Grünen. Es ist entweder verlassen oder zersiedelt von Fertigteilhäusern. Zu laut, weil ständig Autos mit tiefer gelegten Motoren unterwegs sind, oder gespenstisch still, weil von den Bewohnern kaum einer mehr hier leben will. Wer kann, haut ab.

Die Beschäftigungen, denen sich der Städter hingeben kann, sind auch nicht abwechslungsreicher. Ein typisches Datschen-Wochenende sieht so aus: Erst sich die rumpelige B96 hochquälen, an unzähligen Baustellen und den Trümmern landwirtschaftlicher Produktionsgenossenschaften vorbei. Nach Stunden einen Garten vorfinden, der wieder ein Stück mehr zugewachsen ist, und in dem die Reiher die ironisch gekauften Goldfische aus dem Teich gefressen haben. Die wenigen Nachbarn, die man trifft, lesen entweder Neues Deutschland oder sind so wie in Moritz von Uslars Brandenburg-Roman "Deutschboden": männlich, tätowiert und der Skinheadszene zugetan.

Die Belohnung für das raue Datschengefühl

Zum bewussten Leben taugt eine Datsche meistens nur bedingt. Die Sehnsucht nach Selbstversorgung beschränkt sich auf die Äpfel, die man von den morschen Bäumen gerüttelt und zu ein paar Gläsern Gelee verkocht hat. Andere Produkte aus ökologischer Landwirtschaft wird man kaum finden, die Bauern, die in dieser Gegend welche anbauen, liefern sie an die Bioläden nach Berlin. Datschengefühl heißt also vor allem, das Land so zu nehmen, wie es ist. Gewöhnungsbedürftig und nicht immer sehr schön.

Belohnt wird man dafür mit unendlicher Ruhe und Nixmüssen. Man muss weder anstrengend Landromantik inszenieren, noch verlangt die Bruchbude nach übermäßigem Engagement - schließlich gehört der abgerissene Charme dazu. In der gebrochenen Romantik des Datschenlebens lässt sich also wirklich abschalten. Und zur Not ist man schnell wieder zurück in der glitzernden Metropole.

Man kann es also nur jedem empfehlen, sich an diesen Sommertagen von den Berliner Freunden, die jetzt alle eine Datsche haben, aufs Land schleppen zu lassen. In eine Natur, die nichts weiter ist als eine sedierende Variation von Grüntönen. Man sitzt herum, grillt oder schwimmt ein wenig, und die einzigen Menschen, die man an diesen endlosen, fast bleiernen Tagen zu Gesicht bekommt, sind Jugendliche, die auf einer trockenen Wiese im Fünfeck stehen und einen Ball hin und herwerfen. Wie aus einer anderen Zeit. Und bevor noch die Abendsonne alles in dieses strahlende gelbe Licht taucht, das es nur im Berliner Umland gibt, wird einem klar, dass man gerade einer großen Wahrheit auf der Spur ist. Dass man Idylle nämlich dort am stärksten empfindet, wo sie gar nicht stattfindet.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: