Raf Simons für Jil Sander:Der Architekt der Reinheit

Ein belgischer Modemacher ist der Mann der Stunde: Raf Simons hat mit seiner konsequenten Linie die Laufstege weltweit erobert.

Susanne Hermanski

Deutschlands späte Rache an Italien, exekutiert durch einen Belgier: So könnte das Kabinettstückchen heißen, das auf der Bühne der Mailänder Modewoche gegeben wird. Denn deren heimlicher Höhepunkt war schon gelaufen, bevor Prada, Gucci, Fendi & Co. ihre Models über den Laufsteg traben ließen. In der Rolle des womöglich unfreiwilligen Rächers: Raf Simons. Der hat seine Kollektion für das Label Jil Sander ganz am Anfang gezeigt. Und ausgerechnet ihm, dem Belgier, der unter dem Namen der deutschen Vorzeigedesignerin von einst arbeitet, gilt derzeit die größte Aufmerksamkeit, wenn die Branche mal wieder nach Italien blickt.

Sander, AP

Geometrische Kragengebäude bei Jil Sander

(Foto: Foto: AP)

Das liegt einerseits am hohen ästhetischen Anspruch der Simonsschen Entwürfe: Seine Kleider leben von ihrer Schnittraffinesse und wertvollen Stoffen. Zwei Tatsachen, die sie für den Massenmarkt quasi unkopierbar machen. So ließ er für Herbst/Winter 2008/2009 schwere Tweedstoffe in geradezu architektonisch anmutende Kreationen verarbeiten. Viele davon sind gekrönt von skulpturalen Kragen, die um Hals und Kopf ihrer Trägerin stehen wie das Hüllblatt einer Calla um den Blütenkolben. An solcher Schneiderkunst beißen sich die Industriemaschinen made in China von H & M, Zara und Co. die Zähne aus.

Ungewisse Zukunft für Italiens Branche

Andererseits verdankt Simons, der in diesem Jahr 40 wird, seinen Erfolg der buchstäblichen Altersschwäche der einheimischen Konkurrenz. Italiens Modeszene - die Paris in den achtziger Jahren rührig die Schneid abgekauft hatte - scheint zum Stillstand gekommen. Sie ist in ihren familiären Strukturen gefangen: Nachfolger suchen die großen Häuser nur in den Reihen ihrer leiblichen Erben. Talente von außen finden dagegen wenig Platz. Die alten Recken wie Armani und selbst Dolce & Gabbana bestreiten den Spielplan von Saison zu Saison überwiegend aus dem Repertoire. Außer Prada hat derzeit kein italienisches Label sonderlich viel Kraft zur Überraschung und Provokation.

Mit Prada wiederum verbindet das Label Jil Sander eine eigene Geschichte. Sechs Jahre lang gehörte es zur Prada-Gruppe. Bis Patrizio Bertelli es Anfang 2006 an den britischen Finanzinvestor Change Capital Partners verkaufte. Dabei war Bertelli es, der Raf Simons völlig überraschend im Jahr zuvor zum Chefdesigner für das angeschlagene Label berufen hatte. Vorausgegangen war ein Zerwürfnis des Prada-Bosses mit der Gründerin der Modelinie, Jil Sander, selbst.

Rascher Erfolg

Simons hatte bis dato nie Damenmode entworfen. Und dessen Vita birgt noch mehr unkonventionelle Wendungen. Denn als Modemacher ist Raf Simons Autodidakt. Er hatte Industrie- und Möbeldesign studiert und als Innenarchitekt gearbeitet. Seine erste Herrenkollektion war 1995 jedoch ein so großer Erfolg, dass sein Unternehmen rapide wuchs. Zu schnell für Simons' Geschmack. Er gönnte sich eine einjährige schöpferische Pause. Ein Sakrileg in seiner Branche. Doch sein Comeback im Jahr 2001 war fulminant: Ausgerechnet zwei Monate vor dem Fall der Twin Towers hatte er vermummte Burschen im finsteren Lagen-Look grimmig auf dem Laufsteg posieren lassen. Seither umgibt ihn der Nimbus des Visionärs in der Modewelt.

Die Kritiker seiner ersten Jil-Sander-Kollektion vor drei Jahren überschlugen sich vor Lob. Simons selbst gab zu Protokoll: ,,Jil Sander ist eine Marke, die ich fühle. Sie verkörpert eine Ästhetik, an die ich glaube. Ich mag die Idee der Reinheit: nichts hinzuzufügen, was nicht notwendig ist.'' Endlich schien der Name der ,,Queen of Less'', Jil Sander, wieder in würdigen Händen. Bertelli stieß das Label trotzdem ab. Die deutsche Modeszene beobachtet die wirtschaftliche Entwicklung der Italiener nun mit einem Hauch von Schadenfreude. Unterstellen einige Experten Prada doch, das deutschstämmige Label vor dem Verkauf gezielt beschädigt zu haben. Noch schreibt die Modelinie Jil Sander allerdings rote Zahlen. Doch das kann sich schnell ändern, wenn Raf Simons weiterhin so positive Resonanz erhält.

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