Rätsel:Jahrhundertverbrechen

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1932 wurde der Sohn des Piloten und Nationalhelden Charles Lindbergh entführt und getötet. Wer steckte hinter der Tat, die ganz Amerika bewegte?

Von Josef Schnelle

Der 25 Jahre junge, blendend aussehende neue Nationalheld der USA stammte aus gutem Hause. Der Vater war Kongressabgeordneter für Minnesota. Ihn selbst hatte man 1927 mit einer Konfettiparade auf dem Broadway geehrt - für die erste Atlantiküberquerung als Alleinflieger. Die Heirat mit der Millionenerbin und später sehr angesehenen Fliegerin Anne Spencer Morrow steigerte Charles Augustus Lindberghs Popularität ins Unermessliche. Mancher sah ihn schon als eine der zukünftigen Führungsfiguren Amerikas. Mit dem Refrain "Lindbergh! His name will live in History" wurde der Schlager "The Eagle of the USA" zum Hit.

Die Kehrseite dieser Liedzeile und seines Startums zeigte sich am 1. März 1932, als das "Jahrhundertverbrechen" geschah. Der 20 Monate alte Lindbergh-Sohn Charles Jr. wurde entführt. Lediglich eine wacklige Leiter zum Fenster des Kinderzimmers und eine Lösegeldforderung über 50 000 Dollar hinterließen die Täter. Eine hysterische Suche setzte ein. Parallel dazu wurde unter heute dubios anmutenden Umständen mit den vermeintlichen Entführern verhandelt samt Geldübergabe auf einem Friedhof in der Bronx.

War das getötete Baby überhaupt der Sohn des Fliegerhelden?

Zwei Monate nach der Tat wurde wenige Kilometer entfernt vom Lindbergh-Anwesen in Hopewell, New Jersey, eine Kinderleiche entdeckt, mit Frakturen an der linken Kopfseite und einem bis heute rätselhaften 1, 5 Zentimeter großen Loch in der Schädeldecke. Entweder wurde das Baby gleich erschlagen oder kurze Zeit später umgebracht, wenn es denn überhaupt Charles Lindbergh Jr. gewesen ist, was nie exakt überprüft wurde. Den Justizbehörden genügte Lindberghs feste Überzeugung, dass es sich um sein Baby handelte. Wenig später wurde die kleine Leiche auf Lindberghs Betreiben eingeäschert.

Ganz Amerika machte sich auf die Suche nach dem Täter. Einzige Spur: die nummerierten Scheine der Geldübergabe, bei denen es sich um besonders leicht zu erkennende, damals noch übliche Gold-Zertifikate handelte, die kurze Zeit später aus dem Verkehr gezogen wurden. Immer wieder mal tauchte ein Schein aus dem Lösegeld auf, aber erst 1934 wurde auch der Besitzer einer solchen Banknote erwischt. Bei dem deutschstämmigen Richard Hauptmann fanden die Ermittler schließlich 14 600 Dollar des gesuchten Geldes in der Garage.

Doch dieser behauptete, es eigentlich nur für einen nach Deutschland zurückgekehrten Geschäftspartner verwahrt zu haben. Da jener inzwischen verstorben sei und ihm Geld schuldete, habe er angefangen, es als sein Eigentum zu betrachten. Verfolgt man die Indizienbeweiskette noch einmal, so wirkt sie löchrig und einseitig recherchiert. Hauptmann leugnete jede Teilnahme am Verbrechen. Die Anwesenheit am Tatort war ihm nicht zweifelsfrei nachzuweisen. Seine Fingerabdrücke gab es weder auf der Leiter noch auf dem Erpresserbrief. So galt es bereits als signifikanter Beweis, dass die Sprosse 16 der Leiter Holz aus der Schuppenwand der Hauptmanns enthielt. Dabei war dieser als gelernter Zimmermann empört, dass man ihm zutraute, eine solche fast unbrauchbare Leiter gefertigt zu haben.

Entscheidend für die Geschworenen war offenbar der Auftritt Lindberghs selbst, der bei der Lösegeldübergabe zwar weit entfernt im Auto gewartet hatte, dennoch die Stimme Hauptmanns erkannt haben wollte. Täglich berichtete die Skandalpresse. Zeitungszar William Randolph Hearst bezahlte höchstpersönlich die Rechnungen des prominenten, aber wohl unfähigen Verteidigers. Es gab Souvenirläden vor dem Gerichtsgebäude, in denen man kleine Nachbildungen der ominösen Leiter kaufen konnte. An einem Tag wollten 20 000 Menschen in den Gerichtssaal, viel mehr tummelten sich in der jahrmarktartigen Atmosphäre draußen. Als die Geschworenen Richard Hauptmann am 13. Februar 1935 zum Tode verurteilten, skandierte die Menge draußen "tötet Hauptmann", was 413 Tage später auch geschah. Der Verurteilte beteuerte noch im Gefängnis stets seine Unschuld und versicherte zuletzt in einem Brief an den Gouverneur am Tag der Hinrichtung in Trenton, New Jersey, nichts mit der Tat zu tun gehabt zu haben. Ein Angebot, sein Todesurteil in eine lebenslange Strafe umzuwandeln, wenn er gestehe, schlug er aus.

Alles deutet auf ein Fehlurteil hin, das dann Gegenstand weiterer erfolgloser Prozesse war, angestrengt von der Ehefrau. Auch zahlreiche Darstellungen absurder Verschwörungstheorien sind erschienen. All das hat nichts zur Rätsellösung um die Entführung beigetragen. Die gewagtesten Theorien sehen im Fliegerhelden selbst den Verursacher des Kindstodes. Hat er es zu Tode geschüttelt? Oder als Anhänger der Eugenik die Entführung seines behinderten Kindes angeordnet, das fern der USA aufwachsen sollte? Ließ er selbst das Kind von der Leiter fallen?

Auf eine alternative Spur führt das Lösegeld. Erst 1961 berichtete die Athener Zeitung Acropolis, dass im Nachlass des griechischen Rückwanderers Constantinos Maratos auf der Insel Poros nordöstlich des Peloponnes Geldbündel aus der Entführerbeute schon gefunden worden waren, nachdem er sich 1936, direkt nach der Hinrichtung Hauptmanns, umgebracht hatte. Ein Schuldeingeständnis? Jedenfalls hatte Maratos zur Tatzeit nahe bei den Lindberghs gewohnt und erregte bei der Rückkehr nach Griechenland sehr viel Aufsehen durch große Geldausgaben.

Vielleicht ist ja wahr, was Hauptmann in einem erst 2014 vollständig auf Deutsch veröffentlichten Brief an den Gouverneur im Zusatz für den Staatsanwalt schrieb: "Glauben Sie wenigstens einem sterbenden Mann. Bitte ermitteln Sie. Denn dieser Fall ist nicht gelöst."

© SZ vom 24.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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