Kurs für Eltern von Jugendlichen:Frühlings Erwachen

Sie fahren ohne Führerschein, nehmen Drogen und lassen sich piercen - und die Eltern wissen nicht mehr weiter und nehmen Nachhilfeunterricht. Zu Gast bei einem Kurs für pubertätsgeplagte Eltern.

Titus Arnu

Dennis hatte eines Nachts mal "spontan Bock", mit dem Auto durch die Stadt zu fahren. Das wäre weiter nicht bemerkenswert, wenn es sich bei Dennis um einen 18-Jährigen mit Führerschein handeln würde. Aber der Junge ist fünfzehneinhalb - und er wurde von der Polizei erwischt, als er im Auto seines Vaters durch Köln heizte.

Jugendliche und ihre Teenager-Probleme im Film: Benjamin Lebert (2. von links), (von links) Robert Stadlober, Oona-Devi Liebich und Joseph Bolz bei den FIlmarbeiten zu "crazy" nach dem gleichnamingen

Benjamin Lebert (zweiter von links) im Jahr 2000 bei den Dreharbeiten zu seinem Buch "Crazy", das von den Problemen des Erwachsenwerdens handelt. Im Bild auch die Schauspieler (von links) Robert Stadlober, Oona-Devi Liebich und Joseph Bolz.

(Foto: Catherina Hess)

Das Foto von Dennis hängt an der Pinnwand eines Seminarraums an der Kölner Universität. Er sieht auf den ersten Blick aus wie ein netter, normaler Junge. Auch Moritz, Nadine und Julia, deren Bilder an der Wand hängen, wirken ausgesprochen freundlich.

Aber die Eltern, die zusammen mit Gerhard Lauth, Professor für Psychologie an der Heilpädagogischen Fakultät der Universität Köln, in einem Stuhlkreis über die vier Jugendlichen reden, vermitteln ein anderes Bild. Bei einem Crashkurs für pubertätsgeplagte Eltern versuchen sie, wieder einen Zugang zu der Welt ihrer Kinder zu finden. Das ist gar nicht so einfach.

In Rollenspielen, mit gegenseitigen Interviews und durch Gruppendiskussionen wollen die Erwachsenen sich in die seltsame Welt der Erwachsenwerdenden hineinversetzen, um sie besser verstehen zu lernen. "Meine Tochter ist wie ein Schmetterling", sagt die Mutter der 15-jährigen Julia, "sie flattert hier hin und dort hin und übernimmt nirgendwo Verantwortung." Ein anderer Vater ärgert sich: "Ich halte eine Wasserpfeife im Zimmer meines 14-jährigen Sohnes für absolut nicht lustig."

Emotionales Wettrüsten

Wenn Kinder plötzlich keine Kinder mehr sind, kracht es in vielen Familien. Vater und Mutter schauen staunend zu, wenn sich Sohn oder Tochter die Haare färben, sich die Nase piercen lassen, beim Kindergeburtstag statt Topfschlagen lieber Flaschendrehen spielen, im Keller Wasserpfeife rauchen und die Eltern superspießig finden, wenn sie solche Sachen kritisieren. Was tun?

Pädagogen raten den Eltern, sich "ökologisch" zu verhalten - nicht alles beachten, aber das Wichtigste nicht übersehen. Oft funktioniert das sogar. Manchmal aber auch nicht, und dann kann ein Erziehungsproblem leicht eskalieren. Viele Familien sind so ratlos, dass sie Nachhilfeunterricht nehmen müssen.

Elterntrainings erfreuen sich in Zeiten von Supernanny, Home Based Training, Erziehungsratgebern und der Diskussion um den Stellenwert von Kindern in der Gesellschaft immer größerer Beliebtheit. "Man muss ja fast ein Pädagogikstudium absolviert haben, um die Erziehung von Pubertierenden bewältigen zu können", stöhnt ein Vater in der Therapierunde.

Natürlich meinen es die meisten Eltern grundsätzlich gut. Aber der Alltagsärger, der Zeitdruck am Morgen, das wichtige Telefonat während der Hausaufgaben, das permanente Generve lässt den eigenen guten Willen schlagartig verblassen.

Mit Ratschlägen, Erziehungsprinzipien, Appellen und Belehrungen ist deshalb nicht viel gewonnen. Entweder sind sie schon hinreichend bekannt oder einfach zu allgemein und zu weit weg vom eigenen Leben, um dort wirklich Platz zu finden.

Was fehlt, sind praktische Handlungsanweisungen. Psychologie-Professor Gerhard Lauth hat deshalb eine Gruppentherapie entwickelt, die genau auf die Sorgen von Familien mit pubertierenden Kindern zugeschnitten ist. Das "Kompetenztraining für Eltern sozial auffälliger Kinder" besteht aus sieben jeweils dreistündigen Sitzungen.

Das Problem der Jugendlichen: die Eltern

Beim ersten Treffen versuchen Eltern und Jugendliche gemeinsam mit dem Therapeuten, das eigentliche Konfliktthema herauszufinden. Denn meistens geht es nur vordergründig um Schlamperei im Haushalt oder geklaute Mopeds - die wahren Probleme liegen tiefer. Alle Betroffenen fühlen sich von der Situation psychisch stark belastet, manche Eltern steigern sich über die in einen Ehekonflikt hinein.

Die Jugendlichen sind aus Sicht der Eltern zu schlecht in der Schule, aus Sicht der Jugendlichen sind die Eltern als solche das Problem. Je konkreter das Problem, desto härter der Konflikt. Typische Streitpunkte aus Sicht der Eltern: zu hohe Handyrechnung, zu wenig Hilfe im Haushalt, zu schneller Geldverbrauch, zu laxer Umgang mit Alkohol und Zigaretten. Wenn die Eltern irgendwann nicht mehr weiter wissen, erhöhen sie den Druck und verschärfen die Sanktionen. Ein emotionales Wettrüsten ist die Folge.

Nähe heißt nicht Kuscheln

"Je mehr Sie von Ihren Kindern wollen, desto mehr müssen Sie Ihnen geben", sagt Psychologe Lauth. Er versucht den Eltern klarzumachen, dass Drohungen und Strafen nicht viel bringen. Klare Regeln und verbindliche Absprachen seien notwendig, aber Druck nütze nichts, denn je älter die Kinder werden, desto leichter können sie sich dem Druck entziehen, indem sie von zu Hause flüchten. Lauths Konzept klingt einleuchtend: "Beziehung braucht Nähe".

Wobei "Nähe" nicht mit Kuscheln verwechselt werden sollte: "Die Mutter muss nicht erwarten, dass der stachelige Jugendliche plötzlich wieder auf ihrem Schoß sitzt." Es geht mehr um geistige und emotionale Nähe. Zwanzig bis dreißig Minuten sollten die Eltern dem Kind regelmäßig widmen, möglichst vier bis fünfmal die Woche. Und zwar ohne bestimmte Absicht, sondern um zusammen Zeit zu verbringen, etwa beim Sport oder beim Shoppen.

Ein Elterntraining kann langfristig wirksam sein, wie verschiedene Studien belegen. Im günstigsten Fall wird sowohl das Verhalten der Eltern als auch das Verhalten der Kinder verändert. Dies gilt auch für Kinder mit Hyperaktivität und Aufmerksamkeitsstörungen.

Weiterhin zeigte sich, dass sich die Eltern nach einem Training angemessener verhalten, anschließend weniger Forderungen stellen, klarere Anweisungen erteilen und mehr positive Rückmeldung geben.

So weit ist die Kölner Gruppe der pubertätsgeplagten Eltern noch nicht. Zumindest Teilerfolge können sie vermelden. Die Mutter der 15-jährigen Julia sagt, dass eine Diskussion über die Schulden des Mädchens durchaus vernünftig ablief - weil Julia das Konto überzogen hat, muss sie nun ihre EC-Karte zurückgeben, bis der Geldpegel wieder im Plus ist. Und der Vater des 16-jährigen Dennis berichtet, dass sein Sohn es mittlerweile gutheiße, dass seine Eltern einen Psychologen brauchen - weil sie nicht mehr mit ihm klarkommen.

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