Psychologie:Wie spreche ich mit meinem Kind über Terroranschläge?

Nach Ereignissen wie auf dem Berliner Weihnachtsmarkt versichern Eltern oft: "Dir passiert das nicht!" Doch damit lassen sie ihr Kind mit seiner Angst allein.

Von Katja Schnitzler

Eltern wünschen sich, die größte Sorge ihres Kindes möge sein, dass der Lieblings-Fußballverein absteigt. Oder dass die beste Freundin zu viel Zeit mit anderen aus der Clique verbringt. Eltern wünschen sich Bullerbü für ihre Kinder. Gerade die Weihnachtszeit ist für die Kleinen voll heiterer Vorfreude. Doch mitten in diese Zeit fällt jetzt der Anschlag von Berlin. Auf einem Weihnachtsmarkt, wo Eltern mit ihren Kindern durch die Budenreihen spazieren, mit ihnen Karussell fahren und gebrannte Mandeln oder Pommes naschen. Genau dort steuert ein Attentäter einen Lastwagen in die Menschenmenge.

Dann kommen die Fragen: "Was, wenn das uns passiert? Wenn uns jemand mit dem Lastwagen totfahren will? Wenn ein Mensch auf mich schießt oder versucht, mich mit einer Bombe zu töten? Wenn jemand in meine Schule kommt und uns ermorden will?"

Erwachsene antworten da oft reflexartig: "Du musst keine Angst haben! Dir geschieht nichts!" Was sich die Eltern nicht einmal vorstellen wollen, was niemals sein darf, wird in der Hilflosigkeit weggeredet: Meinem Kind passiert das nicht! Doch damit helfen sie ihrer Tochter oder ihrem Sohn nicht, sondern lassen sie mit ihrer Furcht allein.

"Es ist zwar für uns Erwachsene schwer, die Angst unseres Kindes auszuhalten. Dennoch ist es wichtig, das Gefühl nicht einfach wegzureden", sagt die Hamburger Kinder- und Jugendpsychotherapeutin Marion Pothmann. Sonst bekommen Kinder nicht nur den Eindruck, dass ihre Emotionen falsch sind - sie fühlen sich zudem nicht ernst genommen in ihrer Not. Und die Eltern werden mit der Gegenfrage konfrontiert: Woher willst du eigentlich wissen, dass mir das nicht passiert?

Wenn aber Mütter, Väter oder andere Erwachsene helfen, dass Kinder und Jugendliche mit ihren Gefühlen und Ängsten umzugehen lernen, kann dies ihre Bindung in der Familie weiter festigen: Wir stehen auch in schweren Zeiten zusammen und spenden uns Trost.

Diese Tipps tragen dazu bei, Kinder gut durch beängstigende Situationen zu begleiten:

  • Für die Gefühle der Kinder interessieren: Egal wie alt ein Kind ist, es will mit seinen Gefühlen ernst genommen werden. Statt also Trauer, Angst und Wut gleich mit einem "ja, aber ..." wegzureden, fragen Eltern besser nach, was das Kind genau traurig macht. Allein schon dieses Wahrnehmen und Interesse ist tröstlich. Wichtig ist hierbei aber, offene Fragen zu stellen (etwa: "Wie geht es dir, wenn du so etwas hörst?") und keine Suggestivfragen wie: "Hast du Angst, dass so etwas uns auch passiert?"
  • Bilder und Nachrichtenfluss einschränken: Selbst kleine Kinder kann man nicht völlig vom Weltgeschehen fernhalten. Sie sehen Fotos weinender Menschen, schnappen Gesprächsfetzen auf oder erfahren in Kindergarten oder Schule von den Ereignissen. Gerade bei jüngeren Kindern sollten Eltern Fernseher und Radio aber besser ausstellen, damit nicht immer wieder Schreckensbilder und beängstigende Nachrichten zu sehen und hören sind. Sowohl bei Fotos von Attentaten als auch in den Gesprächen darüber ist es wichtig, auf Positives hinzuweisen: "Neben dem blutenden Mann ist ein Sanitäter, der ihm hilft." Oder dass die Polizei schnell am Tatort war und Menschen in Sicherheit bringt. Auch Kindernachrichten sollten Eltern gemeinsam mit dem Nachwuchs ansehen, sodass sie das Gesehene zusätzlich einordnen und als Anknüpfungspunkt für Gespräche nutzen können - falls diese gewünscht sind.
  • Nicht mit Chats allein lassen: Teenager bekommen ihre Informationen oft ungefiltert über soziale Medien. Etwa während des Amoklaufs im Münchner Olympia-Einkaufszentrum liest die Tochter über Whatsapp im Klassenchat, dass eine Mitschülerin kurz zuvor dort shoppen war - und deren Bruder noch in der Nähe ist, "und sie erreicht ihn nicht". Plötzlich ist die Angst ganz nah. "So weit es die Kinder zulassen, sollten Eltern während einer Notlage zum Beispiel den Whatsapp-Chat mit ihrem Nachwuchs gemeinsam anschauen", rät Marion Pothmann. Oder zumindest nachfragen, was dort gerade gepostet und thematisiert wird. Merkten die Eltern, dass in den Chats eher Panik geschürt werde, könnten sie sachlich im Gespräch mit ihrem Kind dagegenhalten.
  • Eigene Emotionen im Zaum halten: Erwachsene sollen ihre eigene Besorgnis nicht verschweigen, sondern diese lieber erklären - allerdings dürfen sie sich auf keinen Fall von den eigenen Gefühlen mitreißen lassen und diese direkt weitergeben: "Oh Gott, wie entsetzlich, ist man denn nirgends mehr sicher?" Wenn Säulen wie die eigenen Eltern offenbar ins Wanken geraten, verunsichert das Kinder noch mehr. Auch Spekulationen, etwa wie sich die Ereignisse auf unsere Gesellschaft auswirken könnten, ängstigen Kinder unnötig.
  • Aktiv werden: Um nicht in Trauer und Angst zu verharren, hilft es, selbst aktiv zu werden, etwa eine Kerze für die Opfer anzuzünden. Teenager suchen oft Orte, an denen sie gemeinsam ihr Mitgefühl ausdrücken können. Vielleicht bietet zum Beispiel das Jugendzentrum diese Möglichkeit. "Ich habe auch die Erfahrung gemacht, dass Glaube für Kinder und Jugendliche eine große Rolle spielt und ihnen sehr hilft", sagt Psychotherapeutin Pothmann. Sie hätten das Gefühl, eine höhere Macht passe auf sie auf.

Gefahren nicht wegreden - aber realistisch einschätzen

  • Gefahren möglichst realistisch einschätzen: Anschläge besonders in räumlicher und sozialer Nähe machen schmerzlich bewusst, dass diese Gefahr real ist. Eltern können das nicht einfach wegreden. Aber sie können klarmachen, dass die Möglichkeit relativ gering ist, selbst einmal betroffen zu sein. Das Risiko, verletzt zu werden oder zu sterben, ist etwa im Straßenverkehr weitaus größer. Doch zum einen versucht man, Gefahren zu verringern, etwa durch Polizeiarbeit oder im Auto dank Sicherungssysteme. Zum anderen sperrt sich niemand in der Wohnung ein, weil er vielleicht irgendwann einmal auf der Straße in einen Unfall verwickelt werden könnte.
  • Verhalten in Notfällen durchsprechen: Auch wenn man sich auf Extremsituationen wohl nie wirklich vorbereiten kann, lassen sich mögliche Verhaltensweisen durchsprechen - das hilft auch gegen die Angst und das Gefühl der Ohnmacht angesichts der Attentate. Dazu gehört der Rat, auf seinen Bauch zu hören und etwa Menschenmengen zu verlassen, wenn man sich darin unwohl fühlt. "Eltern sollten aber eine mögliche Katastrophe nicht im Detail durchspielen, sondern sich gemeinsam mit dem Kind auf Lösungen konzentrieren", rät Marion Pothmann: Etwa bei einem Amoklauf in der Schule im Versteck zu bleiben, das Telefon stumm zu stellen und per SMS um Hilfe zu rufen. "So kann man diese Situation der Hilflosigkeit - die hoffentlich niemals eintreten wird - ein Stückchen weit kontrollierbar machen. Damit mehr bleibt als ein diffuses Gefühl der Angst."
  • Erreichbar sein: Es wäre fatal, würden besorgte Eltern die Eigenständigkeit von Jugendlichen einschränken: Teenager müssen selbständig unterwegs sein können. Doch um Ängste auf beiden Seiten zu verringern, könnten Eltern und Teenager beschließen, gegenseitig verstärkt mitzuteilen, wo der andere ist - und im Notfall erreichbar zu sein. So kann das Kind Mutter oder Vater anrufen, wenn es sich unsicher fühlt und Rat braucht. Marion Pothmann berichtet, dass manche mit befreundeten Paaren eine Art privates Notfalltelefonnetz aufbauen, falls die Eltern mal nicht ans Handy gehen können.
  • Risiken digitaler Posts bewusst machen: Der Amoktäter in München hatte im Sommer 2016 offenbar versucht, Jugendliche über gefälschte Facebook-Posts zum Schnellimbiss am Einkaufszentrum zu locken. Eltern sollten vermitteln, dass ihr Nachwuchs auf Posts und Anfragen in sozialen Netzwerken nur reagieren sollte, wenn er den Sender wirklich gut kennt.
  • Aufmerksam bleiben: Auch Kinder, die von Gewalttaten nur erfahren und sie nicht selbst miterleben mussten, können noch länger mit Reaktionen wie Gereiztheit oder Albträumen darauf reagieren. Darauf sollten sich Eltern einstellen, um verständnisvoll bleiben zu können und Sicherheit zu vermitteln.

Die Tipps basieren auf dem Rat der Kinder- und Jugendpsychotherapeutin Marion Pothmann sowie den Empfehlungen von Harald Karutz vom Notfallpädagogischen Institut, der für das Krisen-Interventions-Team ein Merkblatt für Eltern zusammengestellt hat (hier als PDF).

Kinder, Jugendliche, aber auch Eltern finden zudem Hilfe bei der "Nummer gegen Kummer"-Telefonberatung.

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