Psychologie:Mit dem Zug ins Wochenende - warum so schlecht gelaunt?

Streik der Lokführer

Reisende drängen sich auf einem Bahnsteig in Hamburg. Ruhe sucht man in Zügen oft vergeblich.

(Foto: picture alliance / dpa)

Trotz vermeintlich schöner Reiseziele ist die Stimmung in der Bahn oft angespannt. Eine Psychologin erklärt, woran das liegt - und was helfen kann.

Von Tanja Mokosch

Freitag ist Zugtag. Wochenendpendler fahren nach Hause, -urlauber "mal raus hier", Studenten zu den Eltern, Familien zu Omas und Opas, Fernbeziehungsgeplagte zu ihrer Liebe. Schöne Ziele, könnte man meinen. Die Stimmung in der Bahn müsste fantastisch sein. Aller Stress fällt ab, Bauchkribbeln, Vorfreude auf Abenteuer oder Kuchen.

Aber die Stimmung in der Bahn ist selten gut. Meistens eher angespannt, gestresst, verkrampft, aufgeladen. Gar nicht fantastisch jedenfalls. Jeder tritt gegen jeden an, im Kampf um die eigene Bequemlichkeit: bloß nicht stehen, das ganze Gepäck, die lange Fahrt. Im Rucksack wartet schon der Laptop mit Film, das Buch, das man nie zu Ende lesen wird, die Hausarbeit, die nicht fertig wird oder irgendein Gossip-Magazin, das man sich in heimischen öffentlichen Verkehrsmitteln nicht auszupacken trauen würde. Irgendwas wartet da, das man sich vorgenommen hat. Wofür man schon die ganze Woche mal Zeit haben wollte. Und Ruhe. Im Zug.

Hier ist es ja gar nicht gemütlich

Dann die Riesenüberraschung: Hier ist es ja gar nicht gemütlich. Der Zug ist gerammelt voll. Zu laut. Zu heiß. Zu kalt. Sitzplatz? Den muss man erst einmal ergattern, wenn man nicht zur äußerst durchgeplanten, unknausrigen Sorte Mensch mit Platzreservierung gehört. Und selbst dann muss man ihn noch finden. Also schlängeln und drängeln wir uns durch die schmalen Gänge. Warten, bis jemand, der vor uns einen Platz gefunden hat, seine Sachen verstaut und es sich gemütlich gemacht hat, machen Platz für Entgegenkommer, ziehen die Schultern ein, gucken auf die Leuchtschilder über den Sitzen: reserviert, reserviert, ah, oh, nein, besetzt, reserviert, reserviert.

"Wenn gedrängelt wird und es eng wird, wird der persönliche Nahraum verletzt", sagt Ute Habel, leitende Psychologin der Uniklinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik der RWTH Aachen. "Hängt man in der Achsel des Vordermanns, findet man den Geruch eventuell unangenehm. Der Nahraum wird dadurch überschritten. Wir empfinden das ähnlich wie einen körperlichen Übergriff. Das schafft schon mal schlechte Stimmung", sagt die Professorin.

Durchatmen also, da wo es geht. Und weitersuchen. Raus aus dem Gedrängel, in dem ständig Leute in den eigenen Nahraum einbrechen. Sitzplatz gefunden. Endlich. Das Gepäck ist an seinem Platz, der kleine graue Tisch heruntergeklappt, Magazin, Buch oder Laptop auf dem Schoß. Entspannt, oder? Nee. Irgendetwas stört. Vielleicht mal die Jacke ausziehen. Nee, immer noch nicht entspannt. Was nervt hier so?

Die "Frustrations-Aggressions-Hypothese"

Es ist der Nachbar. Er kaut, rutscht hin und her, riecht komisch (von Schweiß bis Kopfschmerz-Parfum ist alles drin), hat seinem Arm auf dem falschen Teil der Armlehne, schläft auf der eigenen Schulter ein, muss auf die Toilette. Er kann, sofern er nicht die eigene Handtasche oder der kleine Zusatzrucksack ist, eigentlich gar nichts richtig machen. Wenn jetzt auch noch der Vordermann seinen Sitz zurückstellt ...

In der Psychologie spricht man von der "Frustrations-Aggressions-Hypothese", sagt Ute Habel. "Wenn ich mir ein Ziel setze und das nicht erreiche, bin ich frustriert." Das Ziel im Zug ist klar: einsteigen, hinsetzen, entspannen. "Dann sitze ich da gemütlich auf meinem Stuhl und keiner soll mich ärgern", sagt Habel. "Wenn das nicht klappt, ärgert mich das möglicherweise, ein anderer reagiert aber vielleicht schon aggressiv." Solche Reaktionen würden sogar in Experimenten nachgebildet. "Wir versuchen die Leute zu frustrieren und zu erfassen, ob sie aggressiv reagieren." Schlechte Stimmung und Aggression also - kein Wunder, dass die Zugreisenden schnell vergessen, dass am Ende der Fahrt Abenteuer, Kuchen und Liebe warten.

Doch frustriert werden kann per Definition nur der, der Erwartungen hat. Beim Zugfahren ist die Erwartung, dass alles so klappt, wie wir uns das vorgestellt haben. Gleichzeitig ist jedem, der mehr als zwei Mal Bahn gefahren ist, klar: Das wird eher nicht passieren. Könnte es helfen, vom Schlimmsten auszugehen? 40 Grad, die Klima fällt aus, kein Sitzplatz, acht Stunden Verspätung - so etwa. Habel ist skeptisch: "Schwierig in solchen Situationen ist alles, was einem die Stimmung verschlechtert. Wenn ich schon vorher erwarte, dass es nicht so läuft wie ich will, bin ich natürlich schlecht gelaunt." Die Zugfahrt - sie bleibt ein stressgeladener Teufelskreis. Für den Optimisten, der weiter hofft, dass alles klappt. Und offenbar auch für alle anderen.

Gemeinsam schimpfen hilft!

Wohin dann nur mit dem ganzen Stress, wenn er doch kaum vermeidbar ist? "Aggression gegen andere wird sanktioniert, ist sozial nicht angesehen", sagt Habel. Den Nachbarn anschnauzen ist also - für die meisten zumindest - keine Option. Eine Sache gibt es aber, die helfen könnte - und niemandem weh tut -, wenn sich bei den Durchsagen zur Verspätung die Minuten gefühlt exponentiell vermehren: zusammen meckern. "Wenn man sich jetzt verbündet, wird man stärker und gleichzeitig richtet man sich gegen einen nicht persönlichen Gegner. Jemand anderen zusammenschlagen, das wäre keine akzeptable Reaktion. Aber gemeinsam auf die Bahn zu schimpfen, das ist okay", sagt Habel.

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