Projekt Nichtraucher:Das Aggressionslevel steigt

Nervende Kollegen, motzende Leser und ein Magier im Fernsehen: Da hilft eigentlich nur eine Zigarettenpause - oder man wird zum HB-Männchen.

Jürgen Schmieder

Prominente müssen vorsichtig sein. Ein lapidar formulierter Ausspruch kann in Hochzeitsgerüchte münden, eine durchzechte Nacht mit Drogengeschichten gleichgesetzt werden. Dass aber auch Journalisten fernab jeglicher Prominenz bei jedem einzelnen Satz so vorsichtig sein müssen, als würden sie eine Atombombe entschärfen, habe ich erst in der vergangenen Woche gelernt.

Projekt Nichtraucher: Auch eine Möglichkeit des Aggressions-Abbaus: an einer Wand sitzen.

Auch eine Möglichkeit des Aggressions-Abbaus: an einer Wand sitzen.

(Foto: Foto: istock)

Ich schrieb: "Dennoch werde ich mir in der nächsten Woche ein kleines Hilfsmittel holen: Nikotin-Kaugummis." Den Lesermails nach zu urteilen, war dieser Satz ein Code für die Kriegserklärung an die westliche Welt kombiniert mit einer Ankündigung eines terroristischen Anschlags aufs Oktoberfest. Ich darf einen Leserbrief zitieren: "Sind Sie bescheuert? Wollen Sie sich zerstören? Das Nikotin ist raus aus dem Körper und Sie kaufen sich Kaugummis, Sie Hornochse!" Das war eine der netteren Botschaften.

Kein Wunder, dass meine anfängliche Zen-Phase schneller vorbei war als eine Fahrt im Fünfer-Looping. Die Woche kam mir vor, als wäre mein Nervenkostüm ein dünner Luftballon, der von Mitmenschen immer weiter aufgeblasen wird. Als würde man einem Menschen so lange psychedelische Musik und Steven-Seagal-Filme vorspielen, bis ihm als letzte Option nur das Ausrasten bleibt.

Aber von Anfang an: Am Samstag war ich mit meinem Nichtraucher-Kollegen Ralf bei einem Kickerturnier. In der Vorrunde mussten wir gegen zwei Thomas-Anders-Lookalikes antreten, die mit Tennis-Griffband und Michael-Jackson-Gedächtnis-Handschuh an die Stangen traten. Trotz Trash-Talk unseres Gegenübers verloren wir haushoch. Ein Moment, in dem man entweder eine Kippe raucht oder den Kicker zerlegt. Wie verzichteten auf beide Varianten, stellten jedoch fest, dass sich der Aggressionsballon zu 30 Prozent füllte. Ich biss das Ende eines Filzstiftes ab.

Am Montag dann lag ich krank daheim. Für meine Frau ist das freilich kein Grund, die Wohnung unaufgeräumt zu lassen. Nach einem gepflegten Anschiss war der Ballon halb gefüllt. Es folgte das Ausscheiden beim Online-Pokern (60%), eine Niederlage beim Computer-Fußball (70%) und das Geständnis eines Freundes, dass er meine Bud-Spencer-Sammlung verschusselt hat (80%).

Am Dienstag musste ich in die Fernseh-Folterkammer und sah mir zwei Stunden lang holprige Hütchenspielertricks und perfide paranormale Phänomene mit dem Ober-Yedi-Ritter Uri Geller an. Wer nicht eingeschlafen war, musste aggressiv werden.

Am Mittwoch gab es dann eine Begegnung mit einem Vorgesetzten. Ich hatte einen Text über die Fernsehfolter geschrieben, den ich für famos und unglaublich scharfzüngig geschrieben hielt. Sein Urteil: nicht wirklich toll. Freilich formulierte er es in seiner unnachahmlich direkten Art. Ab diesem Zeitpunkt war ich in HB-Männchen-Form und bereit, einen Bud Spencer aus "Sie nannten ihn Mücke" hinzulegen.

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Das Aggressionslevel steigt

Als Rauch-Abstinenzler braucht man eine Ersatzdroge, wenn Kollegen und Freunde die neue Sportart "Andere in den Wahnsinn treiben" jeden Tag exzessiv ausüben. Es gibt verschiedene Methoden des seelischen Ausgleichs, von denen ich einige versucht habe.

Die Klassiker Stifte-Kauen und Mit-Ring-Spielen habe ich schnell aufgegeben. Ich habe einfach keine Lust, noch einmal 45 Minuten auf Knien nach meinem Ehering zu suchen.

Mein persönlicher Favorit ist der Stress-Express - ein aus den neunziger Jahren überliefertes Relikt zum Abbau der Aggression. Es ist ein 15 Zentimeter großer Plastik-Hubschrauber, der an eine Bodenstation gekoppelt ist. Bei akutem Stress drückt man auf die weiße Taste. Der Propeller beginnt zu rotieren - in einer Laustärke, als würde auf Schalke ein Tor fallen. Lässt man die Taste los, hebt der Helikopter ab, schwebt zwei Meter über dem Boden und landet bestenfalls auf dem Kopf eines nervenden Kollegen. "Und den Stress nimmt er mit", heißt es auf der Verpackung. Eine grandiose Erfindung, die nur von Mini-Fußballtoren in Pissoirs übertroffen wird.

Ich habe die Woche zwar überstanden, jedoch gemerkt, dass ich etwas gegen die - nicht mehr als nur latent zu bezeichnende - Aggression etwas unternehmen muss. Ich habe mir deshalb einen Box-Dummy bestellt, auf den ich in der kommenden Woche einprügeln werde. Ich bin ja schon gespannt, was die Leser zu diesem Projekt zu sagen haben.

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