Projekt gegen Übergewicht:Therapeutischer Teig

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Backen und leben lernen: In einem Kochkurs sollen Eltern von Hauptschülern zu Ernährungsexperten ausgebildet werden. Dabei geht es um weit mehr als Kuchenrezepte. Ein Besuch.

Sarina Pfauth

Rosa ist völlig fertig. Sie hievt ihre schweren Taschen und Tüten auf den Tisch und wischt sich mit dem Ärmel über die Stirn. Und dann sprudelt es nur so aus ihr heraus: Die Feuerwehr stand vor ihrer Einfahrt, weil es in einer Garage des Wohnblocks gebrannt hat, deshalb kam sie nicht raus. Nun ist sie zehn Minuten zu spät dran! Die Mutter von drei Kindern ist völlig aufgelöst.

"Die Teilnehmer gehen so sorgsam miteinander um", sagt Susanne Schindler, "da bekomme ich eine Gänsehaut." (Foto: Foto: Pfauth)

Und das obwohl es nicht um Leben oder Tod geht, nicht einmal um ein Vorstellungsgespräch oder einen Zahnarzttermin. Rosa ist zu spät zum Plätzchenbacken erschienen.

Die Münchnerin nimmt an einem Kochkurs teil, der eigentlich viel mehr ist als der Versuch, Frauen mehr Kompetenzen am Herd zu vermitteln. Das Anliegen ist größer: Ganz Deutschland soll gesünder und ausgeglichener leben, und bei Rosa soll das anfangen.

Der Kochkurs, an dem sie teilnimmt, wurde für die Mütter von Hauptschulkindern entwickelt und ist Teil des Modellprojekts Daidalos, das vom Bundesministerium für Gesundheit gefördert wird. Durch Daidalos sollen Schüler, Eltern und Lehrer der Münchner Bernays-Hauptschule innerhalb von zwei Jahren einen gesunden Lebensstil lernen.

Die Schule befindet sich im Stadtteil Harthof, einem sozialen Brennpunkt mit hoher Armutsdichte. Jede zweite Familie bezieht hier finanzielle Hilfe vom Staat. Der Migrantenanteil beträgt mehr als zwei Drittel, jedes dritte Kind ist übergewichtig oder gesundheitsauffällig.

Hier, wo viele Kinder und Eltern kaum etwas über ihren Körper wissen und nicht einmal die Grundlagen gesunder Ernährung kennen, wo beim Einkaufen notgedrungen auf den Cent geschaut wird, will der Staat versuchen, zu helfen.

Problem: Keine Lust

Und zwar mit einer breit angelegten Gesundheitsoffensive: Für die fünften und sechsten Klassen gibt es Entspannungsangebote, eine Gesundheitssprechstunde, Pausen mit viel Bewegung, Sportförderunterricht, Abnehmprogramme und Bio-Mittagessen. Und eben den Kochkurs für die Eltern. Dabei sollen die überwiegend weiblichen Teilnehmer zu Ernährungsexperten ausgebildet werden und später als Multiplikatoren ihr Wissen an andere Familien weitergeben.

Beim Kochkursvorhaben gab es anfangs allerdings ein Problem: Die Eltern hatten dazu einfach keine Lust. "Es haben sich nicht genügend Mütter angemeldet", gibt die Kursleiterin Susanne Schindler etwas zerknirscht zu. Nur drei Frauen hatten sich bereit erklärt, an dem Kochkurs teilzunehmen. Die 26-jährige Oecotrophologin und ihr Team erweiterten die Zielgruppe kurzerhand. Sie suchten über die lokalen Anzeigenblätter und ein Generationenzentrum nach Teilnehmern. Bedingung war, dass die Interessenten Kinder haben und in der näheren Umgebung wohnen.

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Schlussendlich konnte der Kurs stattfinden, insgesamt neun Frauen und ein Mann hatten sich gemeldet. Kochanfänger waren keine dabei, aber das war auch nicht das Ziel, sagt Schindler. Es geht ihr darum, dass das Wissen über Ernährung fundierter wird. Und dass die Menschen lernen, zu genießen.

Beim Teig fängt es an: Im Kurs sollen die Teilnehmer lernen, Verantwortung abzugeben. Das ist gar nicht so einfach. (Foto: Foto: Pfauth)

Heute ist süßer Tag - ein Kuchen, Vanillekipferl, Mürbeteigplätzchen und eine Mangocreme wollen die Sieben, die heute gekommen sind, zusammen zubereiten. Eigentlich soll es gerade um die Mineralstoffe in den verschiedenen Mehltypen gehen, aber dann platzt Rosa herein, und an Mehltypen denkt erstmal keiner mehr. Rosa hat 19-jährige Zwillinge und einen 16-jährigen, geistig behinderten Sohn. Sie ist geschieden, und manchmal wächst ihr dieses ganze Leben über den Kopf. Und jetzt auch noch die Sache mit der Feuerwehr.

"Angst, die anderen zu enttäuschen"

"Was würde dir denn jetzt gut tun?" fragt Kursleiterin Susanne Schindler. Sie ist studierte Ernährungswissenschaftlerin, keine Psychologin. Aber ihre Eltern sind beide Sozialpädagogen, ein Gespür für Menschen hat sie von daheim mitbekommen. Die Teilnehmer der Gruppe überlegen nun gemeinsam, wie sie der gestressten Frau helfen können, die sich schnaufend auf einen Stuhl fallen lässt. Rosa selbst hat keine Idee. Die Nachfragen helfen ihr aber, zu formulieren, warum sie so gestresst ist von einer blockierten Einfahrt und zehn Minuten Verspätung: "Ich hatte Angst, die anderen zu enttäuschen."

Später wird der einzige Mann aus der Gruppe sagen, dass Kochen wie eine Therapie ist, und Rosa wird nicken und sagen, ja, kochen ist therapeutisch. "Der Kurs ist eine Ablenkung. Wenn ich allein zu Hause bin, denke ich zu viel über meine Probleme nach."

Das ist zumindest der Plan

Bei diesem Kochkurs geht es nicht nur um Kuchenrezepte. "Soziales Lernen gehört dazu", sagt Schindler. Beim Backen lernen die Teilnehmer nebenbei, wie sie Stress abbauen und Verantwortung abgeben können. Das ist zumindest der Plan.

Der geht aber nicht immer auf: Kristina zum Beispiel hat heute die Rezepte für die Dinkelplätzchen und den Apfelkuchen ausgesucht. Sie arbeitet zwei Stunden durch. Als die Gruppe am Ende des Kurses um den Tisch sitzt und Mangocreme löffelt, ist die Mutter einer fünfjährigen Tochter unruhig, weil der Kuchen in fünf Minuten aus dem Ofen muss.

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Schindler schlägt vor, die Kuchenverantwortung an Eva zu übertragen, die neben ihr sitzt. Kristina ist einverstanden - und springt viereinhalb Minuten später dann doch auf, um nach dem Rechten zu sehen. Die Gruppe ist unzufrieden - aber Kristina sagt, sie könne einfach nicht anders. Verantwortung abgeben, das will ihr einfach nicht gelingen. Ihr Kurskollegen wollen weiter versuchen, das mit ihr zu üben. "Die Teilnehmer gehen so sorgsam miteinander um", sagt Susanne Schindler, "da krieg ich Gänsehaut."

Die Daidalos-Ausbildung zum Ernährungsexperten dauert insgesamt acht Wochen - zweimal wöchentlich finden Treffen statt, einmal wird Theorie gepaukt, einmal das Gelernte beim gemeinsamen Kochen umgesetzt. Mülltrennung wird besprochen, preisgünstiges Einkaufen im Supermarkt, Energie- und Fettbedarf von Erwachsenen, der Nutzen von Light-Produkten.

Fehler erlaubt

Thematisiert wird in der Gruppe aber auch, dass mal etwas schief gehen darf in der Küche, wie man Wünsche mitteilt und lernt, sich selbst etwas Gutes zu tun. Wenn Rosa Pfannkuchen backt, essen die Kinder manchmal alle auf und Rosa bekommt keinen mehr ab. Susanne Schindler findet das nicht gut.

Am Ende des Kurses soll jeder Teilnehmer ein kleines Referat halten, als Übung für die spätere Multiplikatorentätigkeit. Wenn man die Teilnehmer dann aber fragt, wie sie das Wissen weitergeben wollen, werden viele von ihnen unsicher. Kochkurse geben will bislang keiner, die meisten haben den Kurs eigentlich nur für sich selbst gemacht, weil sie "mal wieder was dazu lernen wollten", wie es eine der Frauen formuliert. Immerhin zwei Teilnehmer möchten im Mehrgenerationenhaus in Zukunft Einkaufstrainings anbieten.

Und Rosa will ihre neuen Kenntnisse zumindest an ihre Kinder weitergeben, "so viel ich mir merken kann in meinem Köpfchen". Damit die drei klarkommen, "wenn ich mal nicht da bin".

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