Porträt:Voll im Saft

Porträt: Geschäftsmann oder Coach? Richard Reed.

Geschäftsmann oder Coach? Richard Reed.

(Foto: privat)

Wie der Brite Richard Reed mit dickflüssigen Fruchtsäften den Zeitgeist zu Geld machte und jetzt in einem Buch Lebensweisheiten von Prominenten unters Volk bringt.

Von Alexander Menden

Im Laufe des Gesprächs in seinem Londoner Büro hält Richard Reed nur einmal länger inne. Ausgerechnet die Frage, die er selbst in den vergangenen Jahren immer wieder gestellt hat, trifft ihn unerwartet: "Was wäre Ihr Ratschlag, wenn Sie nur einen einzigen weitergeben könnten?" "Das ist ja echt peinlich", sagt Reed. "Aber darauf habe ich keine Antwort vorbereitet." Richard Reed denkt nach.

Das taten auch die Prominenten, die er bei Partys, Interviews und anderen Gelegenheiten nach ihrer ultimativen Lebensweisheit fragte. Keiner habe aus der Hüfte geschossen. Die Antworten hat Reed in einem Buch gesammelt. Der Titel: "Was im Leben wichtig ist". Dass man Menschen wahrnehmen solle, empfiehlt Bill Clinton. Man solle immer 150 Prozent geben, rät die Künstlerin Marina Abramović. Alles Sprüche, die verdächtig nach Motivationscoach klingen.

Aber auch Reed, 45, ist kein Coach, sein Hang zum griffigen Motto hat einen anderen Ursprung. Vor zwanzig Jahren gründete der Brite gemeinsam mit zwei Studienfreunden aus Cambridge eine Firma, die weltweit berühmt werden sollte: Innocent Drinks wurde mit frechen Sprüchen auf Saft- und Smoothiepackungen bekannt; zugleich entwickelte die Firma ein Image als "Unternehmen mit Gewissen". Innocent gilt als einer der Wegbereiter des weltweiten Siegeszugs von dicken Fruchtsäften in Supermarktregalen.

Reed arbeitete in den Neunzigerjahren in einer Werbeagentur und "bemitleidete" sich, wie er sagt: "Ist das der Rest meines Lebens? Mit Kunden über Logogrößen diskutieren?" Aus dieser Krise half ihm - was sonst - eine Lebensweisheit. "Ein alter Ire, der Kette rauchte und ununterbrochen fluchte", riet Reed bei einer Fortbildung, er solle sich das Leben vorstellen wie eine Schublade voller schwarzer Socken: "Du musst nur das eine Paar roter Socken finden." Sprich: Konzentriere dich einfach auf das Positive!

Es dauerte dann aber noch ein bisschen, bis Reed und seine Freunde Adam Balon und Jon Wright bei einem Londoner Musikfestival ihre ersten Smoothies verkauften. Beiderseits des Marktstandes mit ihren neuen Säften stand je ein Korb mit einem kleinen Schild. Auf dem einen: "Ja", auf dem anderen "Nein". Dazwischen ein größeres Schild mit der Frage: "Sollen wir unsere Jobs kündigen und nur noch diese Smoothies machen?" Die Kunden sollten ihre leeren Flaschen in einen der Körbe werfen. Die überwältigende Mehrheit landete im "Ja"-Korb. "Die paar 'Nein'-Stimmen kamen von unseren Eltern, die wollten, dass wir unsere sicheren Jobs behielten", sagt Reed. Doch die Freunde wagten den Schritt.

Die Innocent-Gründer haben den Smoothie, ein aus verschiedenen Obstsorten gemischtes Trinkpüree, nicht erfunden. "Ich habe mir in meiner Zeit bei der Werbeagentur immer einen Smoothie gekauft, um die Wirkungen der Party am Abend zuvor auszugleichen", gibt Reed zu. Was Innocent gelang, war, das Zeitgeistige am Smoothie perfekt zu kanalisieren. Da war das Empfinden, mehr für sein Geld zu bekommen und gleichzeitig auf bequemstmögliche Art etwas für seine Gesundheit zu tun - weil man ja nicht nur den Saft, sondern auch all die guten Ballaststoffe mitverzehrt.

2013 verkauften sie 90 Prozent von Innocent an Coca Cola, einen Konzern, der wie kein anderer für ungesunde Zuckerbrause steht. "2008 standen wir kurz davor, Bankrott zu machen", erklärt Reed. "Unsere Verkäufe waren um dreißig Prozent zurückgegangen, das Pfund war schwach. Coca Cola war die einzige Firma, die uns finanziell helfen und zugleich einfach so weiterarbeiten lassen wollte, wie wir es bisher gemacht hatten."

Reed geht noch immer zu den Vorstandssitzungen von Innocent, aber er steckt auch viel Energie in sein neues Unternehmen. Jamjar Investments, das seinen Sitz in einer früheren Brauerei im Londoner Westen hat, gibt angehenden Unternehmern Kredite zum Anschub ihrer Firmengründung. "In uns wollte damals niemand investieren", erinnert er sich. "Ein potenzieller Geldgeber gab uns 'null von fünf Punkten aus dem Investorenhandbuch'. Hätte nicht einer doch noch an uns geglaubt, wäre Innocent nie zustande gekommen."

Und dann fällt Richard Reed am Ende doch noch eine Antwort auf die Frage ein, die er selbst so oft gestellt hatte und die ihn nachdenken ließ. "Trag immer etwas bei. Hilf nach dem Dinner bei Freunden beim Abwasch. Sprich mit dem Partygast, der verloren in der Ecke steht. Schließ dich der lokalen Initiative gegen den Brexit an. Mach mit, trag etwas bei - solange es positiv ist."

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