Politiker als "kleine Leute":Einfache Verhältnisse

Politiker lieben es, selbstzufrieden auf ihre Kleine-Leute-Biographien zu verweisen. Über den Milieustolz als Wahlkampfmittel.

Alexander Kissler

Schlapp schleppt sich der Wahlkampf dahin. Am Sonntag wird ein Seufzer der Erleichterung durchs Land gehen. Man wird froh sein, alles überstanden zu haben - die Dauerpräsenz euphorisierter Politiker auf Plakaten, das Wettrennen um die waghalsigste ökonomische Voraussage und jenen auftrumpfenden Milieustolz, wie er in Wahlkampfzeiten Urständ' feiert: Politiker bekräftigen, dass sie "einfachen Verhältnissen" entstammen und die "kleinen Leute" verstehen.

Den Auftakt zum Herkunftsfestival setzte ein Manager, der bei Arcandor gescheiterte Karl-Gerhard Eick. Angesprochen auf seine Abfindung, erklärte er: "Ich komme aus einfachen Verhältnissen und weiß, dass 15 Millionen Euro sehr viel Geld ist, auch für mich."

Die Aussage enthielt den Grundzug der meisten Beteuerungen, "von unten" zu kommen. Man gibt zu verstehen, dass die einfachen die gewesenen, die glücklich überwundenen Verhältnisse sind. Sie sind die Bedingung dafür, dass man es sich bequem gemacht hat auf der Sonnenseite und um keinen Preis weichen möchte.

Aus echter deutscher Provinz

Einen ähnlichen Abgrund wird man Frank-Walter Steinmeier nicht unterstellen. Dennoch schwingt im steten Verweis auf den Herkunftsort Brakelsiek und auf ein Elternhaus "ohne Klavier und Bibliothek" viel Selbstzufriedenheit mit. Trotz Bildungsferne und Geldknappheit habe der Kandidat sich, wie es auf der Homepage heißt, "aus einfachen Verhältnissen hochgearbeitet".

In der Autobiographie schreibt er, wegen einer Jugend in "echter deutscher Provinz" wisse er, dass "Menschen, die in einfachen Verhältnissen zurechtzukommen versuchen, Respekt verdienen, nicht Kitsch". Ist die Provinz nicht allgemein der Stoff, aus dem Deutschland zusammengesetzt ist? Verbürgen ärmliche Verhältnisse am Beginn eines Lebens Lauterkeit bis zum Ende?

Nicht nur die Sozialdemokratie wirbt mit Kleine-Leute-Biographien. Auch die FDP will jeden Verdacht zerstreuen, sie halte es mit den "Großen". Über Rainer Brüderle erfuhren wir letzte Woche, sein Vater habe ein "Geschäft für Unterwäsche und Hüte" betrieben. Otto Fricke wies in einer TV-Plauderstunde laut darauf hin, er komme "aus einem kleinen Städtchen, Stadtteil von Krefeld". Die Mutter arbeite trotz ihrer 72 Jahre als Scheidungsanwältin. Er wisse darum genau, "wie schwierig es ist, wie der Pfennig umgedreht wird".

In derselben Runde schalt Renate Künast von den Grünen ihren linken Nebenmann Bodo Ramelow, der mit einer Karstadt-Erwerbsbiographie geprunkt hatte: "Ich komme aus einfachen Verhältnissen. Da brauche ich mir von Ihnen nichts erzählen zu lassen."

Gerne ließe man sich etwas erzählen von den Schwierigkeiten, anno 2009 jene Tugenden zu erwerben, die für Verantwortung prädestinieren. Stattdessen hören wir, als lebten wir in der Welt der Bildungsromane und des 19. Jahrhunderts: Aufstieg war möglich, schaut mich an, die einfachen Verhältnisse liegen hinter mir. Aber auch damit hat es am Sonntag ein Ende.

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