Planeten-Forscherin:Die All-Wissende

Planeten-Forscherin: Die Österreicherin Lisa Kaltenegger, 38, ist Professorin an der renommierten Cornell University und leitet das Carl Sagan Institut. Sie gilt als Pionierin bei der Forschung nach Indikatoren für lebensfreundliche Planeten.

Die Österreicherin Lisa Kaltenegger, 38, ist Professorin an der renommierten Cornell University und leitet das Carl Sagan Institut. Sie gilt als Pionierin bei der Forschung nach Indikatoren für lebensfreundliche Planeten.

(Foto: Berthold Steinhilber/laif)

Gibt es außerirdisches Leben? Die Astrophysikerin Lisa Kaltenegger ist sich sicher, dass die Suche danach Sinn ergibt.

Interview von Jenny Hoch

SZ: Frau Kaltenegger, wann haben Sie das letzte Mal in den Himmel geschaut?

Lisa Kaltenegger: Gerade eben erst. Ein Blick in den Himmel ist immer zugleich ein Blick zurück in die Vergangenheit. Allein das Licht der allernächsten Sterne braucht vier Lichtjahre, bis es bei uns ankommt, das entspricht 41 Billionen Kilometern! Hätte das gesamte Sonnensystem die Größe eines Kekses, dann wäre der nächste Stern zwei Fußballfelder weit weg und unsere Sonne nicht größer als ein Staubkorn. Diese unglaublichen Dimensionen faszinieren mich immer wieder.

Angenommen, es gäbe tatsächlich Außerirdische, warum haben die eigentlich noch nie bei uns vorbeigeschaut?

Ist es nicht witzig, dass wir felsenfest davon ausgehen, dass jeder ausgerechnet zu uns kommen möchte? Ich meine, wir haben es gerade mal bis zum Mond geschafft. Haben wir anderen wirklich so viel zu bieten? Ich würde lieber dorthin fliegen, wo es wirklich interessant ist. Könnte ich es mir aussuchen, ich würde zu einem wesentlich älteren Planeten als unserem reisen. Von ihm und dessen potenziellen Bewohnern könnten wir bestimmt einiges lernen.

Kann man sagen, dass Sie Ihr Leben der Suche nach Aliens widmen?

Nicht ganz, die Frage ist, wie funktioniert ein bewohnbarer Planet? Dabei suchen wir auch nach Spuren von Leben auf Felsplaneten, sogenannten Exoplaneten. Das sind Planeten, die um einen anderen Stern als die Sonne kreisen. Die Suche nach Leben ist eher ein Beiprodukt unserer Forschung.

Aha?

Anhand von Gesteinsfunden auf der Erde kann man bereits viel über die Vergangenheit sagen, aber wie geht es in der Zukunft weiter? Was passiert mit unserer Atmosphäre? Nehmen wir zum Beispiel die Sonne. Unsere eigene können wir nicht von Anfang bis Ende beobachten, die ist zu langlebig, aber wir können anderen Sonnen in unterschiedlichen Altersstufen dabei zusehen, wie sie geboren werden und sterben und das Puzzle auf unsere Situation übertragen. Es wäre großartig, das auch mit erdähnlichen Planeten machen zu können.

Was wäre der praktische Nutzen davon?

Stellen Sie sich vor, wir würden feststellen, dass alle älteren Erden Schwefel in der Atmosphäre haben, den wir nicht atmen können. Das heißt noch lange nicht, dass es auf der Erde genauso kommen muss, aber es wäre trotzdem intelligent, eine Methode zu entwickeln, um den Schwefel rauszufiltern. Nur für den Fall, dass das jeder Erde passiert.

Bis dahin haben wir aber noch ein bisschen Zeit, oder?

Wir wissen, dass die Sonne, wie jeder andere Stern, mit der Zeit heller wird. Das bedeutet, dass die habitable Zone, also der Bereich, in dem es nicht zu kalt und nicht zu heiß für uns ist, sich nach außen verschiebt. In etwa einer Milliarde Jahre wird die Erde da rausfallen. Das ist lang, also keine Panik. Aber es ist trotzdem gut, sich schon Auswege zu überlegen. Wenn wir bis dahin nicht wissen, wohin - Pech gehabt.

Haben Sie schon erdähnliche Planeten entdeckt?

Wir haben schon das erste Dutzend gefunden, und es sind Tausende Planeten in der Warteschlange. Die Suche ist ein langwieriger Prozess. Auch, weil wir uns auf felsähnliche Planeten in der habitablen Zone konzentrieren. Auf solchen Planeten könnte es flüssiges Wasser geben - eine Voraussetzung dafür, dass Leben entsteht.

Wie definieren Sie Leben?

Darüber streiten die Biologen noch. Ziemlich sicher ist, dass es eine Evolution im Darwinschen Sinn durchmachen und dass es von selbst entstehen muss. Und es muss Informationen weitergeben können, so wie wir mit unserem genetischen Code. Aus diesem Grund scheidet zum Beispiel Feuer aus. Es verändert sich zwar und kann von alleine entflammen, aber es gibt keine Informationen weiter.

Das heißt, Leben kann womöglich ganz anders aussehen, als wir denken?

Die volle Bandbreite können wir uns noch gar nicht vorstellen. Einblicke gibt uns Leben in den extremsten Regionen der Erde, wie etwa das Wasserbärchen. Es ist einen halben Millimeter groß, überlebt tiefgefroren bei Minus 200 Grad und gekocht bei 100 Grad Celsius, es kommt zehn Jahre ohne Wasser und im Weltall mindestens zehn Tage ohne Raumanzug aus.

Aber könnte es nicht sein, dass intelligente Lebensformen existieren, die nicht auf Kohlenstoff basieren?

Das ist komplett offen. Zunächst müssen wir rauskriegen, welche Lebensformen intelligent sind. Wir können nur mit Lebewesen kommunizieren, die uns sehr ähnlich sind. Bereits bei Schimpansen oder Gorillas haben wir Probleme. Versuchen Sie mal, mit einem Wasserbärchen zu reden!

Haben Sie Verständnis für Unternehmungen wie das Mars-One-Projekt, das Menschen auf dem Mars ansiedeln will?

Es gibt Leute, die gerne Pioniere sind, das waren auch die, die damals auf Schiffe gestiegen sind und die Erde entdeckt haben. Aber ohne Rückfahrticket? Auf jeden Fall nichts für mich. Was, wenn sie doch heim wollen? Im neuen Film von Ridley Scott, "Der Marsianer", spielt Matt Damon einen Astronauten, der versehentlich auf dem Mars zurückgelassen wird, und alle helfen mit, ihn da wieder wegzuholen. So sind wir glücklicherweise nun mal: Wir wollen nicht zuschauen, wie ein Mensch dort oben stirbt. Das wäre grausam.

Gehen Sie eigentlich täglich mit der Hoffnung ins Büro: Heute gelingt der Durchbruch?

Ich gehe da voller Spannung hin. Aber es ist Forschung, noch dazu an der Grenze dessen, was wir wissen, das kann also dauern. Und natürlich heißt es bei jeder Entdeckung erst einmal: testen, testen, testen.

Ist das nicht auch frustrierend?

Für mich ist Wissenschaft ein faszinierendes Gebilde, ein Gewölbe aus Wissen. Es spannt sich über Generationen hinweg und ist viel größer, als alles, was ein Einzelner jemals schaffen könnte. So ähnlich wie früher der Bau einer riesigen Kathedrale.

Ist es Luxus, das All zu erforschen, solange es viele Probleme auf der Erde gibt?

Grundlagenforschung wird oft als Luxus dargestellt, weil sie keine vorhersagbaren Ergebnisse liefert. Allerdings hätte man zum Beispiel Penicillin, Laser und viele andere Dinge, die unser modernes Leben bestimmen, nicht entdeckt, wenn wir uns diese Form der ungerichteten Forschung nicht leisten würden.

Sie haben ein populärwissenschaftliches Buch geschrieben, in dem Sie auch in Comics über Ihre Arbeit berichten.

Für mich ist Wissenschaft auch Dienstleistung. Was wir rauskriegen, betrifft schließlich jeden. Jeder kann einen Zugang dazu finden, aber dazu muss sie gut erklärt werden. Wenn sich zu viele Leute ausklinken, wird es gefährlich, dann sitzen sie leicht Fanatikern auf, weil sie nicht mehr unterscheiden können, welche Aussagen auf wissenschaftlichen Prinzipien basieren und welche nicht. In Amerika sieht man das an der wachsenden Popularität des Kreationismus, also jener pseudowissenschaftlichen Lehre, die die Evolution leugnet.

Haben Ihre Kollegen auch ein so pragmatisches Verhältnis zu ihrer Profession?

Das kommt aufs Land an. In Deutschland und Österreich ist es eher noch so: Wenn Sie als Größe in Ihrem Gebiet gelten wollen, müssen Sie ein Buch schreiben, das niemand versteht. Mir ist tatsächlich schon einmal passiert, dass ein Kollege nach meinem Vortrag gesagt hat: "Lisa, du musst aufpassen, bei dir geht man raus und hat alles verstanden, damit sprichst du dir selbst die Kompetenz ab." Das ist eine haarsträubende Schlussfolgerung.

Und wie ist es in Amerika, wo Sie nun Professorin an der Cornell University sind und ein eigenes Institut leiten?

In Deutschland bekommt man einen wichtigen Posten oft erst, nachdem man bewiesen hat, was man kann, also als älterer Wissenschaftler. In den USA dagegen wird man oft für sein Potenzial angestellt. Kein Wunder, wenn der Nachwuchs dorthin abwandert.

Sie stammen aus einem Dorf in der Nähe von Salzburg, wie kamen Sie darauf, Astrophysikerin zu werden?

Das war kein gerader Weg. Um herauszubekommen, was ich machen will, habe ich mich für fünf Fächer gleichzeitig eingeschrieben: Astronomie, Technische Physik, Spanisch, Film- und Medienkunde und Wirtschaft mit Japanisch.

Alles auf einmal?

Ja, ganz bewusst ein Semester lang. Abschlüsse habe ich dann in Technischer Physik und Astronomie gemacht, das passt vom riesigen Universum bis zu technischen Details sehr gut zusammen, finde ich. Ein anderer entscheidender Schritt war mein erstes Stipendium im Ausland. Ich habe gemerkt, wie aufregend es ist, woanders zu leben. Seitdem ist die Welt für mich kleiner geworden.

Als Frau waren Sie im Studium bestimmt in der Minderheit.

In Technischer Physik waren wir zu zweit. Ein älterer Professor sagte mal in der Vorlesung: "Liebe Kollegen, die Physik ist keine Nebenfrau, sie ist die Hauptfrau. Wobei ich nicht sagen will, dass es nicht gut ist, Nebenfrauen zu haben." Ich dachte nur, super, bei dem machst du deine Prüfung. Da hat sich zum Glück einiges geändert.

Hatten Sie deswegen Nachteile?

Bei meinem ersten Job nach der Uni war ich die einzige Frau im Team und hatte zwei großartige schwedische Chefs. Auf einer Konferenz hatte der eine vergessen, die Folien für seinen Vortrag zu kopieren. Ich bot an, das zu erledigen, aber er sagte: Wenn du das machst, wirst du für immer die Sekretärin bleiben. Stattdessen stellte er mich als neue Ingenieurin vor und ging selber kopieren. Eine Kleinigkeit, aber eine, die einen riesen Unterschied machte.

Gerät man als Astrophysikerin auch selbst in die Rolle des Aliens?

Bei einem Klassentreffen fragte mich jemand einmal, was ich so mache. Als ich sagte, ich suche nach Planeten und arbeite mit der Nasa und der Esa an der Harvard-Uni, wurde er still. Ich finde das nicht besser oder schlechter als einen anderen Job. Aber da habe ich gemerkt, okay, war wohl nicht das richtige Smalltalk-Thema.

Was muss sich ändern, damit mehr Frauen in die Forschung gehen?

Ganz einfach, es muss mehr junge Frauen in wichtigen Positionen geben, und man muss sie auch sehen. Einen Teil meiner Aufgabe als Institutsleiterin und Spitzenforscherin sehe ich auch darin, große öffentliche Vorträge zu halten, mir Mühe zu geben, auch für junge Mädchen sichtbar zu sein. Als ich den Heinz-Maier-Leibnitz-Preis für Physik bekam, bin ich ganz bewusst im schwarzen Kleid hingegangen. Ich wusste, die Verleihung wird medial gecovert, das hat Symbolwirkung.

Sie halten sogar in Kirchen Vorträge über Aliens. Hat der Vatikan kein Problem mit extraterrestrischem Leben?

Es gibt da angeblich eine interne Direktive, die besagt, wenn es Außerirdische wirklich gäbe, dann gäbe es keinen Grund, warum man sie nicht missionieren könnte. Die denken praktisch progressiv.

Sind Sie religiös?

Ich bin katholisch. Und ich finde die Vorstellung schön, dass es jemanden gibt, der einen hört, wenn alle Stricke reißen. Ich finde es auch schön, an etwas zu glauben, das man nicht erklären kann. Allerdings muss man bei denen, die diesen Glauben auf der Erde umsetzen, kritisch sein. Ich nehme mir die Freiheit mitzudenken und zu entscheiden, welche Positionen der Kirche für mich okay sind und welche nicht.

Sind Sie stolz darauf, dass ein Asteroid nach Ihnen benannt wurde?

Die Geschichte war insofern witzig, weil ein Kollege aus dem Gremium, das die Asteroiden benennt, erst sichergehen wollte, dass es mir nichts ausmacht, wenn jeder mein Alter kennt. Die Nummer des Asteroiden ist nämlich mein Geburtsdatum. Für mich ist das kein Problem, mir war nur wichtig, dass er nicht mit unserem Planeten kollidiert. Die Schlagzeile "Kaltenegger stürzt auf die Erde zu" wollte ich lieber vermeiden.

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