Pfarrerausbildung:Mein Gott, dein Gott

Die Schriftstellerin Maja Peter entschied sich mit 46 Jahren, Pfarrerin zu werden - im Schnellverfahren und als Quereinsteigerin.

Von Maja Peter

Der reformierten Kirche in der Schweiz mangelt es in naher Zukunft an Pfarrern. Obwohl sie wie Mittelschullehrer entlohnt werden und bei ihrer Arbeit viel Gestaltungsraum haben, interessieren sich wenige Junge für den Beruf. Die fortschreitende Säkularisierung der Gesellschaft ist sicher ein Grund dafür, ein anderer der Prestigeverlust des Berufs. Kürzlich sagte ein Freund, dem ich von einem Flirt erzählt hatte: "Der interessiert sich für dich, obwohl du Pfarrerin wirst." Und auf einer Party meinte jemand beiläufig, dass ich sicher etwas gegen Hypnose hätte.

Ich gehöre zu den ersten Quereinsteigern mit abgeschlossenem Studium, die seit diesem September an den Universitäten Zürich und Basel berufsbegleitend ein verkürztes, drei bis vier Jahre dauerndes Theologiestudium absolvieren. Nach einem anschließenden Vikariatsjahr in einer Kirchengemeinde werden wir ordiniert.

21 Männer und 16 Frauen im Alter zwischen 30 und 55 Jahren haben das mehrstufige Assessment des Konkordates der reformierten Kirche der Deutschschweiz bestanden - die Berner Kirche mit ihrem gesonderten Modell nicht mitgerechnet. "Wir haben keine Positivauswahl getroffen, sondern Risikomanagement betrieben", erklärt Pfarrer Matthias Bachmann, der auf Seiten des Konkordats für das Quest-Studium verantwortlich ist, das Auswahlverfahren. Ausschlusskriteren waren neben mangelnder Eignung für die praktischen Seiten des Pfarrberufs religiöse Intoleranz und Atheismus.

Nun sitzen neben mir im Hörsaal beispielsweise eine Biologin, die bis jetzt am Spital geforscht hat, ein Ingenieur, der bisher alternative Energien gefördert hat, ein Historiker, der Manager in der Kommunikationsbranche war, da sind Geschäftsführer, Betriebsökonomen, Musikerinnen, ein Filmschaffender, Theaterleute, ein Gerichtsschreiber, eine Psychologin, Menschen, die ihre teilweise gut bezahlte Karriere aufgegeben haben, um ihr Leben der Vermittlung der Bibel und der spirituellen Begleitung einer Gemeinde zu widmen. Wie kommen sie dazu?

Bei mir stand am Anfang das Verneigen. Nach der Meditation in meiner ersten Yogastunde vor 13 Jahren wurde mir bewusst, wie sehr ich diese Geste vermisst hatte.

Bis zu meinem 18. Lebensjahr hatte ich mich täglich verneigt: als Kind in der Ballettschule und auf der Bühne, als jugendliche Austauschschülerin in Thailand zum Gruß und zum Danken. Und natürlich zur Huldigung von Buddhas Lehre. Ich ging mit meiner Gastfamilie in den Tempel, obwohl ich reformiert bin und die Familie mich auch zum Gottesdienst in eine Kirche gefahren hätte. Ich mochte es, mich im Tempel auf den Boden zu setzen, innezuhalten und dann drei Mal die Stirn zu Boden zu senken.

Pfarrerausbildung: Unter anderem eine Biologin, ein Prorektor, ein Manager und eine Schriftstellerin drücken gemeinsam wieder die Schulbank, um Pfarrer zu werden.

Unter anderem eine Biologin, ein Prorektor, ein Manager und eine Schriftstellerin drücken gemeinsam wieder die Schulbank, um Pfarrer zu werden.

(Foto: Salvatore Vinci)

Inzwischen meditiere und verneige ich mich täglich. Was ich dabei erlebe, variiert. Manchmal ist es Ruhe, manchmal flutet Licht durch mich, dass ich jauchzen könnte, manchmal steigt Trauer auf, manchmal Dankbarkeit. Zeit und Raum lösen sich auf, ich werde Teil des Raums, wenn es mir gelingt, mich in Ruhe zu lassen. Manchmal taucht plötzlich eine Erkenntnis auf, manchmal überraschen mich ein Wort oder ein Bild. Für vieles, das ich in der Stille wahrnehme, gibt es keine treffenden Worte. Entweder sind sie zu groß oder zu klein, zu fantastisch oder zu banal.

Um nachzuforschen, was es mit dem Erleben in der Kontemplation auf sich hat, und um die spirituelle Praxis zu vertiefen, ließ ich mich vor ein paar Jahren zur Yogalehrerin ausbilden. Als ich danach über die Anstellung als Kommunikationsfachfrau bei der reformierten Kirche erfuhr, dass es im Christentum auch eine Kontemplationstradition gibt, wandte ich mich dieser zu, um mich innerhalb meines Kultur- und Sprachraums mit Transzendenz auseinanderzusetzen.

Obwohl ich im Herzensgebet, das seinen Ursprung in der orthodoxen Kirche hat, erlebe, dass es einen Unterschied macht, ob ich mich in der Kontemplation "nur" in die Leere sinken lasse oder ob ich meditierend Gott anrufe, ist es für mich bis heute keine Selbstverständlichkeit, von "Gott" zu reden. Denn dieses Wort verbinde ich mit dogmatischen Begriffen und Vorstellungen, mit eindeutigen Aussagen und moralischen Befehlen. "Der Allmächtige", "der Herr", "der Gefürchtete", "der Vater" passen nicht zu dem, was ich von Transzendentem wahrnehme. In meiner Wahrnehmung ist nichts Eindeutiges, nichts Personales und schon gar nichts, das gefürchtet werden müsste.

Gemäß der sogenannten negativen Theologie, auf die sich christliche Mystiker beziehen, ist Gott allem unähnlich. Und was sagt Gott selbst? In der alttestamentarischen Geschichte, in der er sich Moses im brennenden Dornbusch offenbart, antwortet er auf die Frage nach seinem Namen: "Ich bin, der ich bin" oder je nach Übersetzung "Ich werde sein, der ich sein werde" (Ex 3, 14). Gott entzieht sich einer Bezeichnung, beschreibt sich als Verwandelnder, als sich Entfaltender. Mit diesem Gott werde ich Pfarrerin.

Pfarrerausbildung: "Es ist für mich bis heute keine Selbstverständlichkeit, von "Gott" zu reden. In meiner Wahrnehmung ist es nichts Eindeutiges, nichts Personales und schon gar nichts, das gefürchtet werden müsste." - Maja Peter

"Es ist für mich bis heute keine Selbstverständlichkeit, von "Gott" zu reden. In meiner Wahrnehmung ist es nichts Eindeutiges, nichts Personales und schon gar nichts, das gefürchtet werden müsste." - Maja Peter

(Foto: Salvatore Vinci)

Ich habe bis dahin als Journalistin und Schriftstellerin gearbeitet. Die Initialzündung für den neuen Beruf war die Einladung zum Schreiben einer literarischen Predigt, für die ich 2014 von der reformierten Kirche ausgezeichnet wurde. Das Lesen in der Bibel und das Schreiben über Adam und Eva und Gottes erstes Wort war damals so inspirierend, dass ich zum ersten Mal dachte, wie schön es wäre, regelmäßig zu predigen, Spiritualität mit einer Gemeinde zu leben und Menschen geistlich zu begleiten. Der Anstoß, das Quereinsteigerstudium Theologie mit dem Ziel Pfarramt zu absolvieren, kam dann aber von außen.

Anstehen vor der Kaffeemaschine und das Interesse für Jenseitsfragen verbinden

Nun lerne ich also zusammen mit 13 voll studierenden Erstsemestrigen ab 19 Jahren und den mehr als dreißig Quereinsteigenden an der theologischen Fakultät in Zürich biblisches Hebräisch und Bibelkunde, studiere Altes Testament, Religionswissenschaft und Dogmatik, lese fast täglich in der Bibel. Der Stundenplan ist so vollgepackt, dass Arbeiten daneben nur in kleinem Pensum möglich ist - finanzielle Engpässe sind absehbar. Ein erster Schritt ist Mitte Januar mit den Prüfungen in Dogmatik und Altem Testament geschafft. Bis dahin gilt: lernen, lernen, lernen.

Wie kann Gott Liebe sein und gleichzeitig Kriege zulassen? In welchem Verhältnis stehen Evolution und Schöpfung zueinander? Wir hören zu, schreiben mit, fragen.

Aus unseren Fragen im Unterricht blitzen die unterschiedlichsten Gottesvorstellungen. Sie spiegeln die Vielfalt der Wertehaltungen und Lebensweisen in unserer Gesellschaft wider. Einer der Ökonomen in der Klasse etwa zitiert Theologen, die aus der Bibel die Verpflichtung zur Leistung ableiten und stichelt gegen feministische Theologie. Einzelne Kunstschaffende unter uns hängen an der Vorstellung, dass Gott beim Verfassen der Bibel mitgewirkt hat, ein Ingenieur fragt in der Schöpfungslehre "Wie schafft Gott den Sprung auf die Makroebene?" Und ich löchere die Dozentinnen und Dozenten mit Fragen zu mystischer Tradition und Wörtern. Jeder der Quereinsteiger im Hörsaal hat "seinen" Gott dabei, jeder möchte über diesen Gott etwas erfahren und jeder reagiert empfindlich, wenn seine Gottesvorstellung infrage gestellt wird.

"Da treffen verschiedene Kulturen aufeinander", bestätigt Professor Thomas Schlag, Dekan der theologischen Fakultät der Universität Zürich, diesen Eindruck. Die Vielfalt der Gottesbilder bei den Erstsemestrigen ist für ihn nichts Außergewöhnliches, aber an das selbstbewusste Auftreten und die berufsbedingten Spezialkenntnisse der Quereinsteiger müssen er und die anderen Dozenten sich noch gewöhnen. Auch für die anderen Studierenden ist die Präsenz der Quereinsteiger nicht immer einfach. Eine 19-jährige Kollegin sagte einmal: "Ihr könnt euch alle so gut ausdrücken." Eine andere mokierte sich im Flur: "Was ihr macht, ist eine Hilfsausbildung." Doch das gemeinsame Gefordertsein, das Anstehen vor der Kaffeemaschine und das Interesse für die großen Lebens- und Jenseitsfragen verbinden.

Die intensive Beschäftigung mit Transzendenz zwingt mich, mich selbst immer wieder zu fragen, worum es mir geht. Ich antworte mit einer Verneigung. Es ist die Verneigung, die mit dem "Namaste", dem "Grüezi" und "Grüß Gott", einhergeht. Es ist die Verneigung vor dem Göttlichen und dem Menschlichen in jedem von uns.

Maja Peter, 46, schreibt Erzählungen, Theaterfassungen und Lyrik. Für ihren ersten Roman "Eine Andere" bekam sie mehrere Auszeichnungen. Im März 2013 ist ihr zweiter Roman "Nochmal tanzen" erschienen.

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