Pfarrer beim Weihnachtsgottesdienst:Das erste Mal

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An Weihnachten kommen mehr Menschen in die Kirche als sonst. Auch für Geistliche eine besondere Situation. (Foto: dpa)

Ob Kindermette oder festliche Mitternachtsmesse: Zu Weihnachten sind die Kirchen voller als sonst. Das macht jeden Pfarrer nervös. Vier Debütanten berichten, wie sie sich auf viel Publikum einstellen.

Von Matthias Drobinski und Laura Hertreiter

Deutschland mag auf dem Weg zum Heidenland sein - zu Weihnachten aber sind die Kirchen voll. Jeder zweite Deutsche will in der kommenden Woche einen Weihnachtsgottesdienst besuchen, ob die Kindermette am Nachmittag des Heiligen Abends mit Krippenspiel und Kinderwagenstau im Chorraum oder die festliche Mitternachtsmesse mit dem großen Auftritt des Kirchenchors. Allein der Berliner Dom, die evangelische Hauptkirche der Stadt, bietet am 24. Dezember sechs Gottesdienste an.

Der Theologe Matthias Morgenroth spricht vom "Weihnachtschristentum", das sich da entwickelt habe, von einer "Heiligabend-Religion", die weit über die christlichen Kirchen hinausgehe. Einmal im Jahr erfasst also die Heiligabend-Religion die Menschen, mit ihren eigenen Ritualen, die Leute feiern ein Kinder- und Kindheitsfest, sie lassen sich rühren und berühren, schenken und werden beschenkt, zelebrieren die Familie, den Frieden, das gute Essen. Und sie gehen in die Kirche. Wo schon der Pfarrer auf sie wartet oder die Pfarrerin.

Heiko Kiehn, 33, Kaplan in Schwerin

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"Das Mueßer Holz gilt als sozialer Brennpunkt mit vielen Arbeitslosen und Kriminalität. In diesem Viertel steht die Kirche Sankt Andreas. Sie wurde noch zu DDR-Zeiten gebaut, zwischen den Plattenbauten, außen aus rotem Backstein, innen mit warmem Holz. Da werde ich die erste Weihnachtspredigt halten, am 24. um 15 Uhr. Die meisten Menschen, die kommen, werden keiner Kirche angehören, nur drei Prozent der Schweriner sind Katholiken. Sie kommen, weil der Kirchgang zu Weihnachten gehört, weil sie mehr wollen als essen und trinken, weil sie was für ihre Kinder tun wollen. Ist doch nicht schlecht, oder? Ich werde ganz einfach predigen: Gott wird ein Kind. Das finde ich selber so schön und unglaublich. Dass Gott Wunder tut, das gibt es in allen Religionen. Aber dass Gott Teil seiner Schöpfung wird, weil er den Menschen so nah wie möglich sein will, das gibt es nur im Christentum. Gott ist da. Gott ist nah, wer immer wir sind, wie immer es uns geht. Ich weiß nicht, was die Menschen aus dem Gottesdienst mitnehmen werden. Aber wenn sie sich in zwei, drei Jahren erinnern, dass es ihnen damals gut getan hat, am Heiligabend um 15 Uhr in Sankt Andreas, dann bin ich glücklich und freue mich, dass ich Priester geworden bin. Ob ich aufgeregt bin? Überhaupt nicht. Man kann zu Weihnachten als Prediger eigentlich nur einen Fehler machen: den Leuten, die dann die Kirche füllen, vorwerfen, dass sie den Rest des Jahres nicht kommen. Das werde ich auf keinen Fall tun."

Judith Uhrmeister, 32, Vikarin aus Düsseldorf

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"Für viele Menschen ist Weihnachten am 24. Dezember. Deshalb muss ich bei meiner Predigt am 28. erst mal klarmachen, dass auch das ein Weihnachtsgottesdienst ist. Vor mir sitzen dann wahrscheinlich hauptsächlich unsere Stamm-Kirchgänger. Ich bin in einer riesigen Citykirche mitten in Düsseldorf, da kommen an einem gewöhnlichen Sonntag auch zwischen 80 und 100 Leute - hauptsächlich ältere Leute. Für mich auf der Kanzel ist das schön, weil sie eher mitmachen. Die Menschen, die selten in der Kirche sind und dann am Weihnachtsabend, zu Hochzeiten oder Taufen kommen, konsumieren einen Gottesdienst eher. Deshalb sind solche Anlässe oft kitschiger. Andererseits werden meine Zuhörer in ihrem Glauben viel erfahrener sein als ich. Und ich brauche gar nicht erst versuchen, über Themen zu sprechen, von denen sie mehr Ahnung haben. Die meisten sind sehr neugierig, was ich als junge Vikarin anders machen werde. Tatsächlich will ich aber zu Weihnachten ein klassisches Programm. Das ist nicht der Zeitpunkt, um zu provozieren. Ich werde von dem Tag erzählen, an dem das Jesuskind nach seiner Geburt im Tempel vorgestellt wird. Also von jenem Tag nach der rauschenden, heiligen Nacht. Ich werde eine Stunde vorher in der Kirche sein, um Stimmübungen zu machen und mich warm zu singen. Vorher habe ich meine Predigt zigmal mit meinem Mann geübt. Wenn Stimme und Mikrofon halten, kann eigentlich nichts schiefgehen."

Stephanie Mages, 29, Pfarrerin in Riedenburg

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"Ich sammle seit Wochen alle Schachteln, die mir unterkommen, sie stapeln sich jetzt in meinem Büro. Ich brauche sie, um Action in meinen ersten Weihnachtsgottesdienst zu bringen. Für die Action sorgt eigentlich das Krippenspiel, aber darauf muss ich leider verzichten. In meiner Gemeinde gibt es noch keine groß ausgebaute Kinder- und Jugendarbeit - deshalb fehlen mir die Darsteller. Stattdessen staple ich also für den Familiengottesdienst die Geschenkschachteln in der Kirche. Während der Predigt dürfen sich die Kinder eine holen und auspacken. In den Päckchen sind kleine Zettel, auf denen Dinge stehen, die uns nicht als Geschenk in den Sinn kommen, aber durchaus eines sein können. Ein Lächeln etwa. Geschenke sind das Thema des Abends - aber nicht konsumkritisch-moralisch. Ich freue mich ja auch über materielle Geschenke. Was ich predigen werde, schreibe ich vorher auf und übe es laut zu Hause, damit alle Betonungen stimmen. Ein bisschen aufgeregt bin ich trotzdem, so voll ist die Kirche ja sonst nicht. Da sitzen dann die vielen Menschen, und ich kann von oben gar keine Gesichter erkennen. Aber mein Mann und meine Familie werden kommen, und das ist schön zu wissen. Zum Schluss soll es dann klassisch werden: mit einem gemeinsamen "Stille Nacht". Es gibt ja Leute, die sagen, man solle das nicht singen, bevor die heilige Nacht tatsächlich beginnt. Aber ich finde, mit dem Lied geht man in einer besonderen Ruhe aus der Kirche. Mit innerem Frieden in den Festbratentrubel, sozusagen."

Bernhard Holl, 33, Kaplan in Berlin

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"Lichtenrade ist ein kleinbürgerlicher Stadtteil, und so ist auch die Gemeinde Sankt Salvator. Mancher fremdelt, wenn ich mit meinem Triumph-Motorrad zum Hausbesuch komme, andererseits gibt es nicht viele junge katholische Priester in Berlin, da habe ich einen Sympathiebonus. Ich predige zum ersten Mal als Priester zu Weihnachten, aber nicht das erste Mal zu Weihnachten. Vergangenes Jahr habe ich als Diakon über den Propheten Jesaia geredet: ,Das Volk, das im Dunkeln lebt, sieht ein helles Licht.' Nichts muss bleiben, wie es war, ob im Palästina-Konflikt oder hier in Berlin mit unseren Ängsten, Nöten, Abhängigkeiten. Diesmal werde ich über den Jubel der Engel reden: ,Und Friede auf Erden!' Das ist die Verheißung Gottes: Es gibt diesen Frieden. Wir müssen was für ihn tun, im eigenen Leben, in der Politik. Klar bin ich aufgeregt vor Weihnachten. Ich möchte nicht über die Köpfe der Menschen hinweg reden. Ich möchte aber auch nicht belanglos werden und sagen: Es ist Weihnachten, und alles ist schön und harmonisch. Ich möchte die Menschen, die kommen, zum Nachdenken bringen, und nicht einfach nur ein gutes Gefühl vermitteln. Erst recht jetzt, wo ich Priester bin: Ich habe ja mit der Weihe nicht den Schalter eingebaut bekommen, mit dem ich die Wahrheit anknipsen kann. Aber ich möchte Zeuge dieser Wahrheit sein. Oder um es ganz unpazifistisch zu sagen: Wenn ich die Leute schon mal vor mir habe, darf ich nicht mit Platzpatronen knallen."

Sie haben es nicht ganz leicht miteinander, die Weihnachtschristen und das professionelle Bodenpersonal des Herrn. Der Pfarrer ist jeden Sonntag da, die anderen kommen bestenfalls noch mal zu Ostern in die Kirche, da entstehen Fremdheiten und Reibungen. Der Pfarrer hat sich seine eigenen Gedanken gemacht, so genau aber wollen es die Weihnachtschristen gar nicht wissen, er hat nicht nur die üblichen Traditionslieder ausgesucht, doch die neuen singt keiner mit. Die treuen Gemeindemitglieder, die übers Jahr die ersten beiden Bankreihen füllen, sind sauer, weil die Weihnachtschristen früh dran sind und die besten Plätze besetzen und nun selbst der Pfarrgemeinderatsvorsitzende stehen muss. So manche Weihnachtspredigt beginnt deshalb mit dem Vorwurf: Soso, da sitzt ihr nun und wollt, dass ich euch spirituell unterhalte - und wo seid ihr den Rest des Jahres? Was nun dem Kirchenbesuch im Januar auch nicht zwingend auf die Sprünge hilft.

40 Millionen Deutsche wollen zu Weihnachten in die Kirche gehen

Andererseits sind die Weihnachtsgottesdienste eine geradezu unglaubliche Gelegenheit, Menschen anzusprechen: 40 Millionen Deutsche wollen zu Weihnachten in die Kirche gehen! Es gilt, die rechten Worte zu finden für die Menschen, die da einmal kommen und wieder gehen. Eine gute Pfarrerin, ein guter Pfarrer darf nicht über die Köpfe der Leute hinwegreden, sie aber auch nicht für dumm halten, soll sie berühren, ohne sie zu vereinnahmen, sie auf Gedanken bringen und nicht ihnen einhämmern, gar unterhaltsam sein, ohne zum Flachwitz zu greifen.

Keine leichte Aufgabe, vor denen die Arbeiterinnen und Arbeiter im Weinberg des Herrn da stehen. Schon gar nicht, wenn sie es zum ersten Mal tun, wie Stephanie Mages und Judith Uhrmeister, Heiko Kiehn und Bernd Holl. Es gibt Rhetorikseminare und Predigthilfen, den Spiegel zum Üben und vor dem Auftritt Baldrian zur Beruhigung. Doch dann geht es los, die Orgel spielt, das Evangelium wird verlesen, und man ist dran. Steht da vor all den Leuten, die heute was ganz Besonderes wollen oder ganz besonders nichts Besonderes, die einen mustern, als wäre man nackt wie das Jesuskind in der Krippe, und muss reden bis zum Amen. Kurze Frage also an die Neuen: Wie geht's, fünf Tage vor dem Fest?

© SZ vom 20.12.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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