Petula Clark über:Männer

Petula Clark hat Geschichte geschrieben, und das nicht nur mit dem Hit "Downtown". Nun sitzt der unbekannteste Weltstar der Welt auf einer Couch in den Räumen ihrer Plattenfirma in Berlin.

Interview von Martin Wittmann

Petula Clark hat Geschichte geschrieben, und das nicht nur mit dem Hit "Downtown". Nun sitzt der unbekannteste Weltstar der Welt auf einer Couch in Berlin, ganz in Weiß, britisch höflich. 83 Jahre alt soll die Sängerin schon sein. Muss ein Marketing-Gag sein.

SZ: Frau Clark, Sie stehen seit mehr als 75 Jahren auf der Bühne. Erinnern Sie sich an den Moment, als diese Karriere begann?

Petula Clark: Meinen ersten Auftritt hatte ich in einer Kirche in Wales, der Heimat meiner Mutter. Ich war zwar ein schüchternes Mädchen, aber da oben auf der Kanzel zu singen und die Reaktion des Publikums zu spüren - das hat mich gepackt. So richtig zum Star wurde ich aber erst im Krieg.

Wie alt waren Sie da?

Acht Jahre.

Wie wird man in so jungen Jahren in so harten Zeiten berühmt?

Durch Zufall. Die BBC nutzte damals das Criterion, ein Theater in London, um die Soldaten an der Front zu erreichen. Kinder konnten über das Radio ihre Väter grüßen: "Hallo Daddy, mach' dir keine Sorgen, uns geht es gut. Wir denken an dich." Eines Tages ging auch ich, vorbei an den Sandsäcken in der Stadt, ins Criterion, um meinem Onkel Dudley einen Gruß zu schicken. Er kämpfte im Irak.

Im Irak?

So war es, auch dort kämpften die Briten damals. Im Criterion nun waren noch zwanzig andere Kinder. Mitten in der Probe gab es einen gewaltigen Fliegerangriff, das waren Ihre Leute. Das Gebäude wackelte, viele Kinder kamen vom Land, die waren das nicht gewohnt und wurden nervös. Der Produzent fragte, ob ein Kind nach vorne kommen und ein Lied singen möchte, zur Beruhigung. Ich meldete mich, stellte mich auf eine Kiste, um ans Mikrofon zu kommen, und sang. Das gefiel den Produzenten so gut, dass sie mich im Radio singen ließen. Ich erinnerte die Soldaten an ihre daheim zurückgelassenen Kinder.

Ihr eigener Vater war in England . . .

Ja, er war Krankenpfleger, wie meine Mutter. Lieber wäre er aber Schauspieler geworden. Er sah wirklich sehr gut aus und wurde oft mit Errol Flynn verwechselt. Einmal wurde er sogar von einer Errol-Flynn-Verehrerin ins Bein gebissen.

Warum das denn?

Aus Leidenschaft, nehme ich mal an. Mein Vater selbst durfte allerdings nicht Schauspieler werden, der Beruf galt als unseriös.

So wurde er, ganz klassisch, Ihr ehrgeiziger Manager.

Er lebte seine Faszination durch mich aus. Ich war so was wie seine Raison d' Être.

Es heißt, er habe Sie nach zwei seiner Ex-Freundinnen benannt.

Pet und Ula. So hat er es mir jedenfalls erzählt. Aber ich habe nie von Leuten gehört, die tatsächlich so heißen.

Welche Rolle spielte Ihre Mutter in der Familie?

Sie war ganz anders als mein Vater, scheu, im Hintergrund. Sie starb früh an Tuberkulose. Ich wuchs also bei meinem Vater auf, und der wollte mich auf keinen Fall verhätscheln. Wir hatten eine schwierige Beziehung. Manchmal war ich mir nicht sicher, ob ich gerade mit meinem Vater oder mit meinem Manager spreche.

Sie hatten Hunderte Auftritte im Radio und drehten nebenbei Filme, etwa mit Peter Ustinov. Gingen Sie überhaupt noch zur Schule?

Ja, aber ich war ein hoffnungsloser Fall. Wie sollte ich auch gut sein? Ich drehte drei Wochen lang einen Film, kam wieder in die Klasse und hatte keine Ahnung von dem Stoff. Die anderen Schüler hänselten mich deswegen. Meine Jugend war ohnehin die schlimmste Zeit meines Lebens.

Weil Sie in der Schule gemobbt wurden?

Nein, weil niemand wollte, dass ich erwachsen werde. Die Leute wollten das Mädchen. Mich aufwachsen zu sehen, machte ihnen ihre eigene Vergänglichkeit bewusst.

Wie konnten Sie sich retten?

Ich musste mit meinem Vater brechen. Die Trennung hat ihm sehr zugesetzt. Obwohl wir später wieder Kontakt hatten, sollte es immer hart für ihn bleiben.

Nach was sehnten Sie sich damals als junge Frau?

Ich wollte meine eigenen Fehler machen und nicht mehr nach seinen Regeln leben, wollte meine eigenen Entscheidungen treffen. Und ich träumte damals noch vom perfekten Leben, ich daheim als Ehefrau, mit einem weißen Zaun ums Häuschen und so. Als ich dann verheiratet war, habe ich allerdings schnell gemerkt, dass ich so nicht leben konnte.

1961 heirateten Sie den Publizisten Claude Wolff und zogen zu ihm nach Frankreich. War das eine Flucht? Oder eine Entscheidung für eine neue Karriere?

Ich ging aus Liebe. Wir lebten glücklich in Paris, die Stadt war damals noch viel französischer als heute. Die Frauen waren sexy und chic, alles, was ich nicht war. Außerdem sprach ich kein Wort Französisch. Mich schüchterte das alles ein, aber ich lernte auch viel dazu.

Die Stadt muss damals ein wunderbarer Ort gewesen sein: Jacques Brel, Charles Aznavour, Edith Piaf . . .

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(Foto: Pip)

Piaf traf ich einmal in einer Hotellobby in Brüssel. Sie war reizend, obwohl es sicher nicht leicht für sie war, dass ich damals zu Frankreichs beliebtester Sängerin gewählt worden war. Aber ich sah sie natürlich auch auf der Bühne, und glauben Sie mir, so etwas hatte ich noch nie zuvor gesehen.

Was meinen Sie?

Als Sängerin wurde ich in der britischen Tradition erzogen: Trag' ein glitzerndes Kleid und hör' mit einem großen Lied auf, halt' das Ganze bitte heiter und fröhlich und leicht. Und dann sah ich diese kleine Frau auf der Bühne stehen und aus dem Bauch heraus singen, über Liebe, Sex und den Tod. Unglaublich.

Mit Serge Gainsbourg haben Sie sogar zusammengearbeitet.

Er kam eines Tages in mein Apartment und wollte mir ein Lied vorspielen, das ich mit ihm aufnehmen sollte. Ich bot ihm erst mal einen Tee an.

Auch sehr britisch.

Na ja, er wollte lieber ein Bier. Ich verehrte ihn und war sehr schüchtern, aber er war auch ziemlich nervös. Er verschüttete das Bier in mein schönes Klavier.

Nicht das Klavier, an dem die Melodie von "Downtown" entstand, oder?

Genau das.

Das Lied Ihres Lebens.

Tony Hatch spielte die Melodie, während ich wieder einmal Tee machte. Ich kam aus der Küche zurück und sagte, dieses Lied würde ich liebend gerne singen.

Stimmt es, dass Sie daneben mehr als tausend Lieder eingesungen haben?

Das würde mich nicht überraschen, vielleicht waren es sogar mehr.

Stört es Sie da, dass die Leute aus diesem riesigen Werk immer nur "Downtown" hören wollen?

Mal ehrlich: Wenn ich einen entsetzlichen Song jeden Abend singen müsste, wäre es was anderes. Aber es ist ein großartiges Stück, ein Geschenk. Auch wenn es mein Leben damals gehörig verkomplizierte.

Inwiefern?

In Frankreich war ich in den Sechzigern bereits ein Star. Die Leute mochten meine Musik, meinen Akzent, ich hatte Geld, alles lief gut. Nach "Downtown" aber sollte ich plötzlich auf der ganzen Welt auftreten, dabei hatte ich ja noch vertragliche Verpflichtungen in Frankreich.

Sie sangen Ihre Lieder in mehreren Sprachen . . .

Sie spielen auf den "hoo-ha" in Montreal an?

Entschuldigen Sie, was ist ein "hoo-ha"?

Ein Wirbel. Ein Skandal.

Nein, ich meinte eigentlich Ihre deutschen Titel wie "Verzeih die dummen Tränen". Ich wollte fragen, ob Sie immer gewusst haben, was Sie singen.

Selten. Die Texte musste ich mir immer phonetisch aufschreiben. Niemand sagte mir, was sie bedeuteten. Ich denke aber nicht, dass sie sehr tiefsinnig waren.

Aber erzählen Sie doch ruhig vom hoo-ha in Montreal. Was ist da passiert?

Als ich das erste Mal im französischen Teil Kanadas aufgetreten bin, war ich ein französischer Star, ich hatte eine Menge französischer Hits. "Downtown" aber war ein englischsprachiger Erfolg, und ihm folgten viele weitere. Als ich danach wieder in Montreal auftrat, entschied ich mich natürlich für eine zweisprachige Show.

Aber?

Es war wie im Krieg. Bei den englischsprachigen Liedern riefen die einen: "Français!", bei den französischen die anderen: "No, sing in English". Ein Albtraum. Mein Team versuchte, mich zu beruhigen, aber mich hat das sehr umgetrieben. Nach zwei Auftritten suchte ich Rat, ich musste mit jemandem reden, der mir nicht nahestand.

Zu wem sind Sie gegangen?

Zu John Lennon. Er war gerade in der Stadt, er veranstaltete eines seiner Bed-ins mit Yoko. Erinnern Sie sich daran?

Erinnern nicht, aber ich habe natürlich davon gehört. Die beiden ließen sich dabei zuschauen, wie sie im Bett liegend gegen den Vietnam-Krieg protestieren.

Er hatte dafür ein Zimmer im "Queen Elizabeth" gebucht, das gegenüber von meinem Hotel lag. Ich lief durch den Regen hinüber, ich war klatschnass, als ich ankam. An der Rezeption fragte ich nach John Lennon, und sie schickten mich hoch, keine Security, nichts. Die Tür war offen. Er umarmte mich. Yoko schaute ein wenig komisch.

Waren die zwei angezogen?

Ja. Was los sei, fragte er, und als ich ihm alles erzählt hatte, sagte er: "Weißt du was? Fuck 'em." Ich bedankte mich für den Rat und wollte gehen, aber John meinte: Warum trinkst du nicht noch was im Nebenzimmer? Dort saßen bereits ein paar lustige Gestalten und tranken Wein, Timothy Leary etwa. Es lief Musik, recht einfache Musik. Bald wurde ein Liedtext verteilt. Wir fingen an zu singen. Ich wusste nicht, dass das aufgenommen wurde.

Zur Person

Petula Clark wurde 1932 in Epsom in England geboren. Schon als Kind drehte sie Filme und trat im Radio auf, ihre Lieder unterhielten während des Zweiten Weltkriegs die Soldaten an der Front. 1961 heiratete sie und zog nach Paris, 1964 veröffentlichte sie den Welthit "Downtown". Mit Harry Belafonte ging sie vier Jahre später in die Geschichtsbücher ein, als sie bei einem Duett seinen Arm hielt - die erste Berührung einer Weißen und eines Schwarzen im US-Fernsehen. Clark wurde für mehr als 70 Millionen verkaufte Platten vom Guinness-Buch der Rekorde als erfolgreichste Sängerin Großbritanniens ausgezeichnet. Die Grammy-Gewinnerin hat drei Kinder und lebt in Genf. Ihr Album "From Now On" erschien am 16. September.

Was war es?

"Give peace a chance".

Nicht Ihr Ernst!

Doch, ich bin auf der Aufnahme.

Nach "Downtown" waren Sie nicht nur als Musikerin ein Weltstar, sondern auch als Schauspielerin. Wer hat Sie in Hollywood am meisten beeindruckt?

Wahrscheinlich Fred Astaire. Er hatte Klasse und war sehr bescheiden, ein Perfektionist. Manche sagen, er sei ein Snob gewesen. Aber er konnte Ordinäres einfach nicht ausstehen.

Sie waren seine letzte Tanzpartnerin, in "Der goldene Regenbogen".

Ich hatte furchtbare Angst vor dem Tanz mit ihm, das können Sie sich vorstellen. Ich übte mit seinem Choreografen ein paar Wochen, es war eigentlich keine allzu komplizierte Abfolge. Aber wir sprechen hier von Fred Astaire! Francis Ford Coppola führte Regie, und als es schließlich losging, nahm mich Fred in seine Arme - und es war, als sei ich zum Tanzen geboren. Seine Partnerin gut aussehen zu lassen, das war Teil seiner Kunst. Charlie Chaplin war auch nett, und Dean Martin war natürlich sehr lustig. Die Leute dachten, ich hätte was mit ihm gehabt. Aber das stimmt nicht. Oh Gott, keiner dieser Menschen ist mehr am Leben.

Sie waren umgeben von all diesen talentierten, begehrenswerten Männern. Waren Sie nie in Versuchung, wenn Sie wissen, was ich meine?

Natürlich weiß ich, was Sie meinen, das waren alles gut aussehende Menschen. Man ist permanent in Versuchung, vor allem, wenn man miteinander arbeitet. Das ist eine intensive Beziehung, da muss man vorsichtig sein. Herb Alpert fand ich zum Beispiel sehr attraktiv. Aber wir benahmen uns.

Elvis machte Ihnen Avancen, Sie widerstanden. War denn Ihr Mann gar nicht eifersüchtig? Er begleitete Sie und bekam das Werben der anderen ja mit.

Wenn er ein ungutes Gefühl hatte, ging er einfach aus dem Raum. Er wollte sich nichts anmerken lassen. Das war seine Art, damit umzugehen.

Von Ihren vielen Duetten ist das mit Harry Belafonte wohl das folgenreichste. Wie haben Sie diese Zusammenarbeit erlebt?

Wir haben für das Fernsehen ein Duett aufgenommen, ein Antikriegslied, das war 1968. Ich berührte dabei seinen Arm, ganz natürlich. Auf einmal stoppte alles, die Lichter gingen aus, und jemand sagte: "Wir probieren es noch mal, diesmal etwas anders. Harry, du gehst da hin, und Petula, du gehst da drüben hin, eine technische Sache, vertraut mir, es wird gut aussehen."

Wussten Sie sofort, was los war?

Ich nicht, aber Harry hat es gleich begriffen. Wir machten insgesamt drei Aufnahmen. Danach ging mein Mann zusammen mit meinem Anwalt und mir in den Keller, wo die Filmrollen lagen. Dort zwangen wir den Verantwortlichen, zwei der drei Aufnahmen zu zerstören. Gesendet wurde schließlich die ursprüngliche Version.

Es war die erste Berührung einer weißen Frau und eines schwarzen Mannes im US-Fernsehen. Im Archiv finden sich neben diesen glorreichen auch kuriose Geschichten über Sie. Sagt Ihnen etwa der Name Harvey Davidson noch was?

Der aus Vegas? Der mich aus meiner Ehe freikaufen wollte?

Er bot Ihrem Mann 1972 vier Millionen Dollar. Oder nehmen wir eine andere Schlagzeile, ein Jahr später: "Ganz England ist empört, dass ausgerechnet sie zur ,Mutter des Jahres' gewählt wurde."

Was hat es damit auf sich?

Ihnen wurde dieser Titel verliehen, obwohl Sie ständig auf Tour waren. Sie selbst sagten damals: "Wenn ich nicht singen kann, bin ich schlecht gelaunt. Und was sollen meine Kinder mit einer schlecht gelaunten Mutter?"

Es stimmt, ich dachte damals, ich sei Superwoman und könnte Karriere und Kinder unter einen Hut kriegen. Ich versuchte, alle Teller gleichzeitig zu balancieren. Aber so was ist sehr, sehr hart, ich habe in manchen Dingen versagt.

Wo war Ihr Mann damals?

Er spielte mit den Kindern, wenn ich nach den Konzertabenden lange schlafen musste. Sie waren oft mit auf Tour, flogen erste Klasse um die Welt und schliefen in den besten Hotels. Aber ich habe immer noch ein schlechtes Gewissen, auch wenn mich meine Kinder heute beruhigen: Hör auf damit, wir hatten eine großartige Zeit!

Sie machten sich große Vorwürfe, als Ihre Tochter Bara heroinabhängig wurde.

Wir gingen durch eine harte Zeit, aber sie hat es geschafft. Sie ist heute eine beeindruckende Frau und selbst Mutter.

Sie sind dreifache Mutter, haben zwei Enkel, und Sie sind immer noch mit Claude Wolff verheiratet, oder?

Ja, aber wir sind nicht mehr zusammen.

"Die Ehe ist kein Rosenbett." Ihre Worte.

Sehr weise von mir. Wir leben immer noch unter einem Dach in Genf, aber wir sind oft unterwegs. Er hat seine Freunde, ich meine, wir gehen eigene Wege. Wir sprechen aber immer noch über meine Arbeit.

Ihr neues Album schließt mit dem Lied "Happiness". Sind Sie glücklich?

Es kommt und geht. Manchmal ist alles wunderbar. Dann sehe ich die vielen schrecklichen Nachrichten und schäme mich dafür, glücklich zu sein. Aber man muss diese Momente des Glücks packen und feiern. Das können nicht viele Menschen.

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