Pegida:Dresden - die Vergiftung einer Stadt

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Pegida demonstriert am 16. November in Dresden.

(Foto: AFP)

Seit mehr als einem Jahr geht Pegida in Dresden auf die Straße. Was macht das mit der Stadt und ihren Bürgern?

Von Annette Walter, Dresden

Claus Kemmer ist ein Mensch, der das Glück hat, sich mit schönen Dingen beschäftigen zu dürfen. Als Kunsthistoriker ist er mit der architektonischen Pracht Dresdens mehr als verwöhnt. Aber manchmal wird er auch mit der hässlichen Seite konfrontiert. Wie an jenem Tag, als er wieder einmal Kunstliebhaber durch seine Stadt führte, Gäste aus Südkorea. Frauenkirche, Zwinger, Gemäldegalerie, Residenzschloss, Semperoper. Unbeabsichtigt gerieten sie in eine ausländerfeindliche Pegida-Kundgebung. Gedränge, Hetzreden und Erklärungsbedarf. Die Touristen bleiben freundlich: Es sei doch gut, dass man in Deutschland ungefährdet seine Meinung äußern könne. "Da war ich beschämt", erzählt Kemmer.

Jetzt ist ein anderer Tag, wieder Montag, aber noch früh am Morgen. Claus Kemmer passiert den Theaterplatz. Noch keine Spur von den etwa 8000 Menschen, die am Abend wieder Deutschland- und Sachsenfahnen schwenken werden. Die "Lügenpresse" grölen und klatschen werden, wenn Pegida-Gründer Lutz Bachmann vom Podium aus gegen Flüchtlinge als "Invasoren" hetzt.

Die Fremdenfeinde trauen sich mehr

Der Montagvormittag ist auch immer der Zeitpunkt, an dem Carsten Krebs, Pressesprecher der Gläsernen Manufaktur von VW Sachsen, eine Mail in seinem Postfach findet. Absender: John F. Nelson, Direktor der Internationalen Schule mit etwa 500 Schülern aus 40 Nationen. "Liebe Familien", schreibt Nelson, "heute Abend findet wieder eine Demonstration auf dem Theaterplatz statt. Näher an der Schule als letzte Woche." Das klingt vorsichtig. Aber dass es diese Mails überhaupt gibt, zeigt, wie besorgt der Schulleiter ist.

Carsten Krebs, seine Frau und die Kinder fühlen sich sehr wohl in Dresden. Eigentlich. Denn es hat sich etwas verändert im vergangenen Jahr, seit es Pegida gibt.

Viktor Vincze, 38 Jahre alt und gebürtig aus Ungarn, ist Referent des sächsischen Ausländerbeauftragten. Er erzählt, dass es für ihn schon fast normal geworden ist, wenn er beschimpft und angepöbelt wird. Wie am Abend des 9. November, dem Jahrestag der Reichspogromnacht, als er einen Stolperstein symbolisch "reinigt". Vincze, hochgewachsen, schmale Statur, ganz in schwarz, ist dafür keine 100 Meter von der Pegida-Demo entfernt. Sein Gedenkritual dauert nicht lange, über den Stolperstein wischen, drei weiße Rosen ablegen und eine Kerze anzünden. Aber es dauert lange genug, um dumme Sprüche zu kassieren. "Der wurde ermordet", ruft ein Passant und lächelt dabei, wie Vincze später fassungslos erzählt.

Es ist dieses Unbehagen, das Gefühl, dass etwas gewaltig falsch läuft, das überall in Dresden zu spüren ist. "Rassistische Menschen haben Selbstbewusstsein bekommen", erklärt Florian Frisch, Pressesprecher des Max-Planck-Institutes. Er berichtet von amerikanischen Wissenschaftlern, die bei Spielen von Dynamo Dresden dumm angeredet werden, wenn sie im Stadion Englisch sprechen. Oder von der Familie eines indischen Wissenschaftlers, die von Nachbarn aufgefordert wird, Deutsch zu kochen, weil "das indische Essen widerlich rieche". Die Stimmung habe sich verschlechtert, sagt Frisch.

Hilflosigkeit und Beschwichtigungsversuche

Aber es ist mehr als nur vergiftete Atmosphäre, Besucher bleiben weg, Wirtschaftsevents werden abgesagt: Microsoft hat der Sächsischen Zeitung zufolge im Herbst einen dreitägigen Kongress mit 1600 Gästen gecancelt. Die Volkswagen-Spritspar-Weltmeisterschaft wurde am 9. November von Dresden nach Berlin verlegt. Man könne den 53 Teilnehmern aus aller Welt nicht zumuten, auf Pegida-Anhänger zu treffen, lautete die Begründung. Hotels werden momentan von Dienstag bis Sonntag gebucht. Von Januar bis August sank die Zahl der Übernachtungen um 2,6 Prozent.

Man begegnet viel Hilflosigkeit und Beschwichtigungsversuchen in diesen Tagen. Eine Microsoft-Sprecherin beteuert, Pegida war nur "Grund Nummer 20", die Veranstaltung in einer anderen Stadt zu veranstalten. Die japanische Biochemikerin ist nach Wien gegangen, weil der Job so gut war und nicht, wie man von anderer Stelle hört, weil sie Angst hatte, ihre Kinder allein auf die Straße zu schicken. Viele befürchten, dass die Stadt schlechtgeredet wird. Dass man denkt, die Montagsmarschierer seien repräsentativ für die rund 542 000 Einwohner. Manche sind unsicher, wo sie die Marschierer verorten sollen. "Mein Bäcker geht auch zu Pegida. Trotzdem würde ich ihn nicht als Nazi bezeichnen", sagt Kai Schulz, Pressesprecher der Stadt.

Wenn nicht mal der Oberbürgermeister eine Lösung weiß

Als was dann? Wenn Oberbürgermeister Dirk Hilbert diese Frage beantworten soll, in seinem Büro vor einem Gemälde der Semperoper sitzend, atmet er tief durch: "Das ist ein Sammelbecken von Unzufriedenen. Spinner. Wo wir kaum ausländische Mitbürger in unserer Region kennen."

Im Wahlkampf hat Hilbert von Plakaten mit dem Slogan "In Dresden zu Hause" gelächelt - gemeinsam mit seiner Frau, der Sängerin Su Yeon Hilbert, und seinem Sohn. Jetzt wirkt er müde und ratlos. Er hat Prügel einstecken müssen. Weil er am ersten Jahrestag von Pegida im Urlaub war, weil die Stadt nicht versucht hat, den Aufmarsch am 9. November zu verhindern, weil er sich nicht mit den Gegendemonstranten solidarisiert. Hilbert beruft sich auf die Versammlungsfreiheit.

OB-Wahl in Dresden - Zweiter Wahlgang

Dresdens Oberbürgermeisterwahl Dirk Hilbert.

(Foto: dpa)

Ansonsten klingt der Oberbürgermeister resigniert: "Alles, was in den letzten Jahren geleistet wurde, ist zunichtegemacht. Pegida ist für uns ein riesiger Imageschaden." Warum ausgerechnet Dresden? "Das fragen wir uns auch manchmal." Es klingt nicht, als hätte er eine Lösung.

Andere werden deutlicher. Die SPD-Wissenschaftsministerin Eva-Maria Stange etwa: "Die Demokratie ist nicht bei uns angekommen", sagt sie. Und dass sie eine geschlossene Bürgergesellschaft wie in anderen Städten vermisse. Rico Gebhardt, Oppositionsführer der Linkspartei im Landtag, spricht vom "rassistischen Grundkonsens in Sachsen".

Reden mit der schwankenden Mitte

Was also tun? Reden, sagt Frank Richter, Direktor der Landeszentrale für politische Bildung. Richter wurde als "Pegida-Versteher" gescholten, als er sein Haus nach einer Bombendrohung für eine Pressekonferenz mit Bachmann und dessen damaliger Mitorganisatorin Kathrin Oertel öffnete. Pegida sei nun in einer "Phase von Radikalisierung, Gewalttätigkeit und Asylfeindlichkeit, in einer Eskalationsschraube". Um die zu entschärfen, müsse man auf Dialog setzen.

Aber wie mit einer Gruppe reden, deren Anführer Innenminister de Maizière unlängst als "harte Rechtsextremisten" bezeichnete? Mit dem harten Kern der Pegidisten seien Gesprächsversuche tatsächlich aussichtslos, sagt Richter. Aber: "Wir müssen die schwankende Mehrheit in der Mitte gewinnen." Nach den Anschlägen von Paris, die Pegida für die eigenen Zwecke instrumentalisiert, wird das vermutlich noch schwieriger.

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