Patricia Kaas über...:Wut

Die französische Sängerin hat für den Erfolg einen hohen Preis gezahlt: Jahre voller Einsamkeit. Ein Gespräch über den Tod ihrer Mutter, die Angst vor dem Alter und das Leben als eines von sieben Geschwistern.

Interview von Anne Backhaus

In modischer Jogginghose, High Heels und Jackett empfängt Patricia Kaas in ihrer Suite. Vor wenigen Minuten wurde sie hier im Mandarin Oriental Hotel in München fotografiert. Da warf sie sich nicht nur professionell in Pose, sondern zupfte auch an ihrer Kleidung herum, fragte besorgt den Manager: "Sieht man, dass ich keine richtige Hose trage?" Die Grande Dame des Pop-Chansons hatte nicht mit Ganzkörperaufnahmen gerechnet.

SZ: Frau Kaas, in der Ankündigung Ihres neuen Albums "Patricia Kaas" heißt es, die Songs repräsentieren, wer Sie sind.

Patricia Kaas: Moment, das steht da? Na ja, es ist zumindest ein Album, das der Frau gleicht, die ich heute bin.

Sie sind seit Jahrzehnten im Musikgeschäft, haben allein zehn Studioalben, diverse Live-Alben und zuletzt eine Biografie veröffentlicht. Haben Sie sich sehr verändert?

Ich bin auf jeden Fall entspannter, habe einen besseren Blick auf mich und weniger Schuldgefühle. Nach dreißig Jahren Karriere muss ich auch nichts mehr beweisen.

Eines Ihrer neuen Lieder heißt "Madame Tout Le Monde", übersetzt meint das: Durchschnittsbürgerin. Das soll Ihnen entsprechen?

Sicher nicht. Jede Frau will einzigartig sein. Ich habe keine Lust, meiner Nachbarin zu gleichen. Als Frau muss man aber immer sehr viel, davon handelt für mich das Lied. Man muss hübsch sein, aber auch eine gute Hausfrau, dazu noch arbeiten und für andere da sein.

Ihr Leben fand zu einem Großteil auf internationalen Bühnen statt. Sie wurden Ende der Achtzigerjahre mit Ihrem Song "Mademoiselle Chante Le Blues" schlagartig bekannt und weltweit zur erfolgreichsten französischsprachigen Sängerin. Hatten Sie wirklich Probleme mit diesem Rollenbild der Frau?

Seit ich denken kann, ist mein Leben bestimmt von Momenten, in denen ich etwas muss. Das hätte vielleicht nicht so sein müssen, ich habe es aber so gelernt. Mein Vater war Grubenarbeiter, meine Mutter hatte sieben Kinder. Da war es für mich unmöglich, mich zu beklagen, zu sagen, ich schaffe das nicht, ich bin müde oder es ist zu schwierig. Ich habe stattdessen die Kraft gefunden, um es irgendwie durchzuziehen.

Sie hören sich wütend an, sind Sie das?

Schon, ja.

Warum?

Alle sagen immer, wow, hast du ein Glück. Dein Karrierestart! Du siehst all diese Länder, du hast alles! Ich konnte das aber nicht genießen. Parallel hatte ich immer diese Scheiße. Wahrscheinlich habe ich für manche Leute ein exemplarisch erfolgreiches Leben, aber darf ich deswegen nicht Scheiße sagen, oder Fuck you?

Dürfen Sie.

Muss man für eine Karriere so hart zahlen? Das ist meine große Frage. All die Traurigkeit, Einsamkeit und Disziplin. Nun gut, es war ja auch meine Wahl. Als ich angefangen habe, wollte ich dem Schmerz davonlaufen, weil ich meine Mutter verloren hatte.

Sie waren zwanzig und landeten gerade Ihren ersten Hit, als Ihre Mutter starb. Ihren Erfolg führten Sie schon früh auf dieses traumatische Erlebnis zurück.

Es hat auch viel damit zu tun. Ich habe für sie gesungen. Das Publikum gab mir Halt, ich fühlte mich geborgen auf der Bühne.

Der Tod Ihrer Mutter hatte über die vergangenen dreißig Jahre eine extreme Präsenz in Ihrem Leben. Sie sprechen jedenfalls sehr oft von diesem Verlust sowie von dem Ihres Vaters und Ihres Bruders. Reicht es Ihnen nicht mal mit der Trauer?

Das ist furchtbar! Sie haben völlig recht. Wissen Sie, warum das so ist? Ich habe meine Trauer immer verschoben. Ich bin auf Tour gegangen. Anstatt zu trauern, habe ich mich mit den Auftritten aufgefüllt. Das hat mich so viel gekostet.

Am Ende Ihrer Autobiografie aus dem Jahr 2011 schrieben Sie, dass nun für Sie die Zeit des Glücks gekommen sei.

Das hat sich dann doch leider um einige Jahre verschoben. Ich hatte inzwischen sogar einen Burn-out, den hätte ich besser auch zehn Jahre eher erlebt.

Das klingt schon etwas bitter.

Die letzten Jahre waren hart für mich, weil ich nichts mehr verschoben habe. Ich habe mich meinen Problemen gestellt und bin eben endlich auch mal wütend geworden.

Wie haben Sie das gemacht?

Ich hatte Hilfe von einer Psychologin. Sie hat mir geholfen, die richtigen Fragen zu stellen. Heute ist mein Leben dasselbe, aber ich sehe es anders. Plötzlich sagst du dir dann, die Zeit vergeht so schnell, sie hat recht, ich sollte einiges ändern. Auch weil ich ja jetzt fünfzig bin, eine Scheißzahl, so viel Zeit bleibt nicht mehr.

Patricia Kaas, französische Sängerin, Portrait im Hotel Mandarin Oriental in München

"Ich bin schon froh, wenn sich überhaupt jemand mein neues Album anhört": Patricia Kaas.

(Foto: Matthias Ferdinand Döring)

Also haben Sie vor allem Ihr bisheriges Leben verarbeitet?

Genau, das ist emotional wirklich anstrengend. Mein erster Schritt war die Biografie. Die sollte sich jeder schreiben lassen, das tut gut, ist auch ein wenig wie Therapie.

Und der zweite Schritt war dann der Burn-out?

Ich habe meinen Hund verloren.

Ihren Hund Tequila, der Sie immer begleitet hat?

Er ist vor genau drei Jahren gestorben.

Das tut mir leid.

Danke. Er war wie mein kleines Kind. Sein Tod war zu viel für mich. Alle sagten, los, hol dir einfach einen neuen Hund. Das wollte ich aber nicht. Ich dachte, sie ist nicht umsonst gegangen. Sie hat Platz gelassen, wie um zu sagen, jetzt nimm dir endlich Zeit für dich selbst. Als ich also von meiner Tour zurückkam und mich wieder wie ein kleiner Soldat fühlte, der sich durchkämpfen muss, da schaute ich mir meine Wohnung an und dachte: Gut, das Gehäuse ist ja toll, aber wie sieht es bei dir drinnen aus? Da ging es mir dann nicht mehr so gut, es ging sogar tief bergab.

Und dann?

Dann habe ich zum ersten Mal in meinem Leben gesagt, das schaffe ich alleine nicht. Ich brauche jetzt Hilfe.

Was ist das Wichtigste, das Sie bei der Therapie gelernt haben?

Mach jetzt einfach, hör auf nachzudenken! Diese ewige Disziplin, die versuche ich zu lockern. Jeder Tag musste in meinem Kopf immer so gut sein wie der davor. Ich will aber endlich auch mal ausgehen, und wenn ich dann einen Kater habe, ist das halt so. Das darf ich mir jetzt erlauben. Ich habe auch alles an Verantwortung, was eigentlich nicht nötig ist, abgegeben.

Was zum Beispiel?

Meine Tournee und meine Alben habe ich immer selbst produziert, das machen nun andere für mich. Ich hatte ein Haus im Süden, da war ich nur einige Wochen im Jahr, das ist weg.

Warum wollten Sie denn nach einem Burn-out ausgerechnet noch ein Album machen?

Das habe ich mich auch gefragt. Die Antwort hatte ich sehr schnell: Es ist, was ich liebe. Warum ausgerechnet das wegnehmen, was mich am fröhlichsten macht? Es ist mein Einkommen, aber auch meine Leidenschaft. Die mit den Menschen zu teilen, zu sehen, dass die Musik sie berührt: Ich brauche das, um mich auszutoben. Ich singe nicht über mich selbst oder blöde Liebesgeschichten, und das neue Album ist nicht feministisch, aber es geht viel um Frauen. Es ist mir wichtig.

In Frankreich stehen die Präsidentschaftswahlen an, das Land wurde von Anschlägen heimgesucht, und die Gewalt in den Pariser Vororten nimmt zu. Sie leben dort, äußern sich allerdings nie zu solchen Themen. Interessiert Sie das nicht?

Ich bin nicht engagiert. Ich bin kein Mensch, der auf den Tisch haut und sagt, jetzt müssen wir etwas tun.

Halten Sie auch nichts davon, sich als Künstlerin politisch zu engagieren?

Ich kann sehr gut über Frauen und ihre Probleme singen, ich muss nicht mutig oder politisch aktiv sein. Wir leben in einer Zeit, in der wir nicht wissen, was morgen ist. Ich sehe es an meinen Freunden, diese Unsicherheit macht etwas mit uns. Seit den Attentaten in Frankreich habe ich das Gefühl, es wäre für uns alle vor allem wichtig, uns leichter über schwierige persönliche Themen unterhalten zu können.

Haben Sie eine Idealvorstellung davon, wo man Ihre Musik hören sollte?

Es ist angenehm, ein Album zu haben, das nicht zu festgelegt ist. Mein neues Album kann man überall hören. Ich bin aber schon froh, wenn es sich überhaupt jemand anhört.

Wieso?

Das heißt ja, dass sich jemand dafür interessiert.

Fürchten Sie, dass Sie niemand mehr hören will?

Ich habe zwar in den letzten zwei Jahren viel mehr Selbstvertrauen bekommen, aber ich bin mir trotzdem nicht sicher. Meine letzten Alben waren Konzeptalben mit Liedern von Sängerinnen der Dreißigerjahre oder von Edith Piaf. Seit dreizehn Jahren hatte ich kein Album mehr, auf dem ich eigene Lieder gesungen habe.

Warum schreiben Sie Ihre Lieder eigentlich nicht selbst?

Ich habe nicht das Talent dazu. Es ist schwierig, ein gutes Lied zu schreiben. Ein Text kann aber immer deine eigene Sprache adaptieren, meine Autoren machen das sehr gut. Andererseits bin ich die letzten Jahre ja gewachsen, vielleicht schreibe ich später mal.

Sie haben eben schon Ihr Alter angesprochen. Weshalb setzen Ihnen die 50 zu?

Ich fühle mich gut im Kopf und in meinem Körper. Es ist einfach eine blöde Zahl.

Sie wirken im Moment aber gar nicht so, als wäre es nur eine blöde Zahl.

Die Zahl steht ja doch für etwas. Die Haut ist nicht mehr so gut, wie sie war. Man braucht drei Tage, bis es einem nach dem Ausgehen besser geht. Ich dürfte das eigentlich nicht sagen, weil ich ja für die starken Frauen bin, aber ein Mann, der fünfzig wird, den finde ich persönlich interessant. Graue Schläfen, Falten, das ist charmant. Bei einer Frau kann man schnell sagen, die sieht etwas müde aus.

Zur Person

Patricia Kaas, geboren 1966, ist die international erfolgreichste französischsprachige Sängerin. Sie wächst als jüngstes von sieben Geschwistern in bescheidenen Verhältnissen in Lothringen auf. Bereits als Dreizehnjährige singt sie im Saarbrücker Tanzlokal "Rumpelkammer". Den ersten Hit landet Kaas 1987 mit "Mademoiselle Chante Le Blues". Ihr erstes Album verkauft sich 1,4 Millionen Mal, die erste Frankreichtournee wird zur Welttournee. Seitdem spielt Kaas auf internationalen Bühnen vor Hunderttausenden Zuschauern. Privat ergeht es ihr jedoch nicht gut. Gleich zu Beginn der Karriere verliert sie ihre Mutter. Kaas leidet lange daran sowie an weiteren Verlusten, was sie Jahre später in ihrer Biografie aufarbeiten wird.

Sie sehen ganz wach aus.

Ich bin gut geschminkt.

Okay.

Wissen Sie, ich möchte nicht mehr zwanzig oder dreißig sein. Zehn Jahre jünger, das wäre gut, aber ich habe ja trotzdem schöne Momente in meinem Leben. Ich bin wie das Wetter. Manchmal stehe ich auf und denke, puh, heute siehst du nach nichts aus, wie grauer Himmel. Aber es gibt auch Tage, an denen es geht.

Wie fühlen Sie sich heute?

Ich hätte keine Jogginghose anziehen dürfen. Danach habe ich mich gefühlt, aber ich wusste nicht, dass Ganzkörperfotos gemacht werden.

Im Januar startet Ihre Welttournee mit 175 Konzerten. Machen Sie sich Sorgen, bald wieder auf der Bühne zu stehen?

Nein, daran bin ich ja gewöhnt. Egal wie müde ich bin, auf der Bühne bekomme ich viel Energie zurück. Wie oft habe ich in der Garderobe gesessen und gedacht, wenn die Leute mich jetzt sehen würden, die hätten Angst. Sobald ich auftrete, bin ich aber wie aufgeladen.

Sie sagen oft, dass Sie sich nur durch die Liebe des Publikums schön und lebendig fühlen. Und auch, Ihre größte Liebesgeschichte sei die mit Ihren Fans.

Den Zuschauern gebe ich mich völlig hin, was ich mit Männern eher nicht mache. Mal sehen, wie es mit dem nächsten ist.

Sie sind derzeit Single. Was für einen Mann würden Sie gerne kennenlernen?

Ich suche keinen, der kommt eh nicht, wenn man ihn sucht. Ehrlich sollte er sein.

In Ihrer Biografie haben Sie von George Clooney geschwärmt. Ein niedlicher Moment: Sie rempelten ihn aus Versehen auf einer Party an und trauten sich dann nicht, irgendetwas außer einer Entschuldigung zu ihm zu sagen.

So etwas Idiotisches. George Clooney! Danach wollte ich vor Wut in meine Handtasche beißen. Wäre ich nur frecher gewesen, aber ich habe mich nicht getraut. Vielleicht wäre das jetzt anders, aber nun ist es eh zu spät, Herr Clooney ist ja verheiratet. Mir gefällt außerdem inzwischen ein anderer Mann besser.

Welcher?

Ich komme nicht auf den Namen, auch ein Schauspieler.

Wo hat er denn mitgespielt?

Jetzt fällt es mir ein: Michael Fassbender. Der ist nicht schlecht, oder?

Der ist ganz okay, ja.

Haben Sie gesehen, was er am Arm hat?

Sie meinen die schwedische Schauspielerin Alicia Vikander?

Auf jeden Fall eine hübsche junge Frau.

Ich glaube, die sind getrennt.

Na, zum Glück glaube ich noch an die Liebe. Ich hatte ja auch vor Kurzem eine Beziehung, aber er war etwas schneller als ich, und das machte mir wahrscheinlich Angst. Wir sind jetzt Freunde.

Ihr Manager Cyril Prieur ist auch ein Exfreund von Ihnen.

Ich bin mit den meisten, mit denen ich zusammen war, befreundet. Nicht mit allen, es gibt auch Idioten, die ich nicht sehen möchte. Generell mag ich Männer aber ja schon. Es wäre schön, wieder Momente mit jemandem zu teilen. Als das Album fertig war, hatte ich Lust, nach Hause zu einem Mann zu rennen und zu rufen, ich bin froh! Mit Freunden geht das natürlich auch, aber es ist nicht dasselbe.

Fühlen Sie sich Ihrer Familie nah?

Ich habe keine Probleme mit meiner Familie. Wir lieben uns, sehen uns viermal im Jahr. Manchmal fühle ich mich aber doch eher weit von ihnen entfernt, nicht nur durch die Kilometer.

Woran liegt das?

Meine Schwester hat einen Komplex, weil ich so erfolgreich bin und sie mit drei Kindern in unserer Heimat lebt. Zeit für sich will sie sich aber gar nicht nehmen, die Kinder sind ihr Ein und Alles, da fühlt sie sich gebraucht. Das kann ich verstehen.

Meinen Sie, es wäre anders, wenn Sie Kinder hätten?

Es wäre anders, aber nicht wegen der Kinder. Es wäre anders, weil ich mit den Kindern vielleicht einen andren Beruf hätte. Weil ich vielleicht dort geblieben wäre.

Wie feiern Sie zusammen Weihnachten?

Ich leihe mir ein kleines Auto, fahre einen nach dem anderen alle Geschwister ab und schlafe im Hotel. Wir hatten als Kinder nie viel, es gab kaum Geld, aber das brauchten wir auch nicht, wir hatten ja uns. Das fehlt mir sehr. Ich wollte so ein Fest schon vor ein paar Jahren wieder auf die Beine stellen. Ein Weihnachtsfest wie früher, alle zusammen an einem Ort.

Das hat nicht funktioniert?

Mir kam damals zu Ohren, na ja, für sie ist das leicht, in einem Restaurant zu feiern! Dabei hatte ich das vorgeschlagen, um niemanden mit der Großfamilie zu Hause zu belasten. Nach diesem Kommentar habe ich mir aber gesagt, okay, dann eben nicht. Also fahre ich dieses Jahr eben wieder allein mit dem Auto umher.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: