Pakistanische Drag Queen "Begum":"Ich werde so heiß aussehen!"

Im sittenstrengen Pakistan moderiert Ali Saleem eine Late-Night-Show in Frauenkleidern und kämpft für die sexuelle Befreiung. Dafür liebt ihn die Bevölkerung. Und auch im Alltag ist er nicht weniger schrill.

Tobias Matern

Ali Saleem sitzt in Islamabad am Frühstückstisch, er hat in dieser Nacht nicht geschlafen. Er schläft fast nie nachts. Er lebt nach einem anderen Rhythmus, weil er die Dunkelheit nicht ausstehen kann. Dann habe er Angst, erzählt er. Angst davor, dass jemand in seine Wohnung einbrechen und ihn umbringen könnte. "Als glücklicher Mensch ist es schwer, in einem Land voller Unglücklicher zu überleben", sagt Ali Saleem. Später wird er das Gegenteil behaupten: Er fühle sich nicht unsicher, niemand wolle ihn umbringen. Er widerspricht sich hin und wieder mal.

Pakistanische Drag Queen "Begum": Millionen Pakistaner kennen Ali Saleem aus seiner Fernsehshow, in der er seit fünf Jahren Frauenkleider trägt. Manche Zuschauer glauben immer noch nicht, dass ein Mann darin steckt.

Millionen Pakistaner kennen Ali Saleem aus seiner Fernsehshow, in der er seit fünf Jahren Frauenkleider trägt. Manche Zuschauer glauben immer noch nicht, dass ein Mann darin steckt.

(Foto: SZ/Tobias Matern)

Vielleicht liegt das daran, dass in ihm mehrere Charaktere stecken. Der 32-Jährige wechselt häufig die Kleider, trägt Rouge und Lippenstift auf, lässt sich eine Dauerwelle wickeln, schlüpft in einen engen Sari, um für ein Millionenpublikum zu "Begum" zu werden. Begum ist eine zickige, schrille Schönheit aus der Oberschicht, die in ihrer Late-Night-Show sexuelle Gesten und Anspielungen über alles liebt. Schauspieler, Politiker, sogar ein Religionsgelehrter waren zu Gast auf dem Plüschsofa. Auch im Alltag ist Ali immer wieder für ein paar Minuten wie Begum, zumindest klingt er sehr weiblich, wenn er Sätze sagt wie: "Darling, komm wir müssen los, nun mach schon." Er hält den Arm halb angewinkelt, um dann abzuwinken und zückt das pinkfarbene Handy.

Seit fünf Jahren schon begeht Ali Saleem einen öffentlichen Tabubruch. Nicht irgendwo auf der Welt, sondern im muslimischen Pakistan, das mit dem Stigma als gefährlichstes Land der Welt zu kämpfen hat. Das als Epizentrum des Terrors gilt, als Tummelplatz für Taliban und andere Extremisten, in deren Weltbild sicher kein als Frau verkleideter Mann passt. Ali Saleem überschreitet dennoch gerne Grenzen und redet darüber, dass er auf Frauen und auf Männer steht. Nach seiner ersten Sendung als Begum habe ihn ein Vertreter vom Militär angerufen: Wenn dir jemand wegen deiner Show Probleme bereitet, meldest du dich bei uns - wir kümmern uns darum.

"Einer Frau würde man solche Auftritte bei uns nicht durchgehen lassen. Mein Land ist noch viel zu verklemmt. Wir brauchen eine sexuelle Befreiung, und ich will meinen Teil dazu beitragen", sagt Ali, während ihn sein Fahrer zum Flughafen von Islamabad bringt. Pakistans berühmteste Drag Queen ist auf dem Weg in die Hafenmetropole Karatschi, in der nicht nur die TV-Sender angesiedelt sind. Es gibt dort auch eine Glitzerwelt für die Reichen und Schönen des Landes, mit Partys, Drogen und Alkohol, "zwanglosem Sex", wie Ali sagt.

Er beobachtet während der Fahrt die Menschen, die auf den Feldern ackern, die Tagelöhner, die im wirtschaftlich ausgezehrten Pakistan nur von einer Mahlzeit bis zur nächsten denken können. Er redet und redet, spricht von seiner Vision eines friedlichen Landes, das in aller Welt geachtet wird. Kurz bevor das Auto am "Benazir Bhutto International Airport" ankommt, sagt Ali Saleem: "Ich will irgendwann Mal Premierminister werden." Es sei Zeit für die pakistanische Wende, ruft er. Die Mächtigen, die Politiker und das Militär, hätten sich schamlos an dem Land bereichert. Sie seien "wie Termiten, die uns von innen auffressen".

Ali Saleem kommt selbst aus dem Establishment. Die Kindheit verbrachte er nicht auf dem Spielplatz, sondern auf dem Kasernenhof, der dieses Land mehr geprägt hat, als es das Parlament je vermochte. Sein inzwischen pensionierter Vater hatte bei der Armee Karriere gemacht, die Familie genoss viele Privilegien, verbrachte in den achtziger Jahren auch eine Zeit in Deutschland bei der Bundeswehr. Zurück in Pakistan durfte der kleine Ali im Inneren der Kriegsfahrzeuge herumturnen. Das faszinierte ihn.

Aber noch magischer fühlte er sich angezogen vom Kleiderschrank und den Schminksachen seiner Mutter. Als Zehnjähriger hantierte er mit Lippenstift herum und probierte Damenmode an. Seine Mutter war entsetzt, sie brachte ihn zu einem Psychologen. Der sagte, er könne nichts feststellen, solle Ali sich doch anziehen, wie er wolle. Die Mutter kapitulierte. Immer wieder trat er dann im Bekanntenkreis in Frauenkleidern auf, spielte Sketche. Er genoss die Aufmerksamkeit, die Lacher, das Gefühl, das Publikum für sich einnehmen zu können.

Seinen Durchbruch erlebte er mit einer Persiflage der inzwischen ermordeten Premierministerin Benazir Bhutto. Sie hat ihm einmal gesagt: "Wenn ich krank bin, kannst du in einer Burka einfach meine Termine wahrnehmen. Das merkt dann niemand."

Der Islam ist nur noch Ritual

Am Flughafen von Islamabad kommt eine ältere Frau mit schwarzem Kopftuch auf Ali zu: "Ich liebe deine Sendung", sagt sie. "Nur mein Mann lässt sie mich nicht immer gucken."

Ein Lächeln hier, ein Foto dort. Viele Jugendliche sagen Ali, wie großartig er sei, dass er ihnen Mut mache, sich selbst etwas zu trauen. Ein Mann erzählt, wie er die Sendung früher immer mit seinen Eltern angesehen habe. Seine Mutter will bis heute nicht wahrhaben, dass Begum im richtigen Leben keine Frau ist. "Das kann nicht sein, das darf nicht sein, Schluss damit", hat seine Mutter ihm zu verstehen gegeben. Auch das ist Pakistan: Was nicht sein darf, gibt es nicht.

Im Flugzeug nach Karatschi schläft Ali Saleem ein wenig auf Platz 2A in der Business-Klasse. Vor ihm, auf Platz 1A, sitzt der Senatspräsident. Weil Staatschef Ali Asif Zardari gerade im Ausland ist, ist er nun der ranghöchste Politiker im Land. Als die Maschine gelandet ist, reden sie miteinander. "Kommen Sie mal demnächst in mein Büro", sagt der Senatschef. Ali fühlt sich geschmeichelt und malt sich eine Karriere im diplomatischen Dienst aus: "Der macht mich bestimmt zum Sonderbotschafter", jauchzt er am Gepäckband.

Im Taxi zündet sich Ali Saleem eine Zigarette an, das Verbotsschild an der Kopflehne übersieht er. Er drängt den Fahrer zur Eile. Überall in Karatschi beginnen nun die Freitagsgebete, der Muezzin ruft die Gläubigen über die Lautsprecher in die Moschee, auch auf dem Bürgersteig knien sie auf ihren Gebetsteppichen nieder. "Sieh sie dir an", sagt Ali.

Der Islam in seinem Land definiere sich nur noch über Rituale, "nicht mehr über das Humanitäre, was ihn eigentlich ausmacht". Ali Saleem lässt auch diesen Gang in die Moschee aus, der für die meisten Pakistaner obligatorisch ist. Vor sechs Jahren war er dort das letzte Mal. Als der Imam anfing, gegen Juden und die USA zu predigen, hat er den Raum verlassen. "Warum sollte ich mir eine Hetzrede anhören?"

Ein paar Minuten später ist er an seinem Ziel angekommen. Ali geht jetzt nicht mehr, er tänzelt durch eine blank gewienerte Shopping-Mall, in der es von Lebensmitteln bis zu Dessous alles gibt. Im dritten Stock befindet sich ein Schönheitssalon, in dem gedämpfte Jazzmusik läuft. Es riecht nach Haarschaum. Ali trifft sich mit seiner "Ästhetik-Beraterin", die eine Brille mit dickem, schwarzem Rand trägt. "Ich brauch' einen kompletten Neuanfang", sagt Ali.

"Zehn Jahre? Das ist kein Problem", sagt sie. Sie überlegen, wie die plastische Chirurgie Alis Traum erfüllen könnte, wie Anfang 20 auszusehen.

"Willst du ein Sixpack haben oder lieber dünn sein wie eine Frau?"

"Lieber dünn wie eine Frau."

"Und deine Nase sollten wir kleiner machen, ein wenig das Gesicht straffen."

"Wunderbar."

Das Treffen dauert nicht lange, draußen im Shopping-Center klatscht Ali begeistert in die Hände. "Ich werde so heiß aussehen", ruft er. In drei Wochen stehen die Operationen an: Er will sich wieder einmal neu erfinden.

Ali fährt jetzt noch zu seinem Sender, um über die Begum-Shows zu sprechen, die sie in den nächsten Tagen aufzeichnen werden. Danach soll erst einmal Schluss sein, von der Diva hat er nach fünf Jahren genug. Ob er wieder in diese Rolle, die ihn berühmt gemacht hat, schlüpfen wird, weiß er noch nicht. In der letzten Show will er zwei Sequenzen drehen lassen, damit es so aussieht, als ob die fiktive Begum den echten Ali Saleem interviewt. Und danach wird er schreiben. Ein Verlag hat schon die Rechte gekauft. Natürlich wird das bei ihm nicht einfach nur eine Autobiographie werden. "Das werden meine Memoiren", sagt Ali.

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