Outdoor-Branche:Von Krise keine Spur

Der Hubschrauber wirbelt Schnee auf die Skifahrer. "Los!" schreit der Skilehrer. Das hier soll eine Freeski-Aufnahme werden, wie es sie noch nie gegeben hat.

Birgit Lutz-Temsch

Der Hubschrauber wirbelt Schnee auf die Skifahrer. Der Countdown hat null erreicht. "Los, los, los!", brüllt Skilehrer Jean-Pi durch sein Megaphon und wedelt mit den Armen. Knapp 250 Skifahrer starten. Alle gleichzeitig, nur maximal drei Meter voneinander entfernt.

Outdoor-Branche: Um den Nachwuchs muss sich die Outdoor-Branche keine Sorgen machen

Um den Nachwuchs muss sich die Outdoor-Branche keine Sorgen machen

(Foto: Foto: mammut)

Zusammen bilden sie ein großes V. In dem Hubschrauber sitzt der Schweizer Sportfotograf Robert Bösch. Sein Ziel: "Wir machen eine Freeski-Aufnahme, wie sie es noch nie gegeben hat" - das sagte er zumindest zuvor in seinem Briefing.

Ob das klappt, ist fraglich, denn das V franst schon nach wenigen Metern heillos auseinander. Am Ende des Hangs ist nur noch ein wildes Durcheinander übrig. Formationsfahren geht anders. "Das sah schon richtig super aus!", ruft Jean-Pi durch sein Megaphon, "aber das können wir sicher auch noch viel, viel besser!" Und drum steigen alle 250 Leute den Hang noch einmal nach oben und alles geht von vorne los.

Keiner murrt. Und dabei ist kein einziger der Skifahrer und Snowboarder ein Model, und keiner bekommt Geld für seinen Einsatz. Was an diesem Nachmittag an einem Hang abseits des Schweizer Skigebiets Melchsee-Frutt stattfindet, ist Teil des "Mammut Testevents" und ein Phänomen der Outdoor-Branche: Die Skifahrer sind ausnahmslos von der Marke begeisterte Kunden.

Und für die hat sich die Marketingabteilung des Unternehmens zusammen mit einer Agentur eine Veranstaltung ausgedacht, die so einfach wie genial ist: 200 Endkunden fungieren ein Wochenende lang als Models für die Werbekampagne der nächsten Saison. Dadurch werden zum einen ungewöhnliche Fotos möglich - beim ersten Event standen die 200 Hilfsmodels barfuß hintereinander auf einem Gletscher - und zum anderen wird die Veranstaltung in jeder nur möglichen Weise zur besseren Kundenbindung genutzt.

Weil das Unternehmen über die ersten beiden Events im Anschluss riesige Anzeigenstrecken in den einschlägigen Bergmagazinen schaltete, hat sich mittlerweile ein kleiner Kult um den Testevent gebildet - bei dem außer der Begeisterungsfähigkeit von Kunden gar nichts getestet wird. Wer dabei sein will, muss sich über das Internet bewerben; mehr als 3000 "Mammuts", wie sich die Träger der hochpreisigen Outdoor-Klamotten nennen, haben das beim jüngsten Event getan.

Etwas mehr als 200 wurden schließlich ausgewählt und für ein Wochenende nach Melchsee-Frutt in der Zentralschweiz eingeladen, ohne zu wissen, wie das neue Motiv aussehen soll.

Die Ausrüstung des Schweizer Herstellers umweht ohnehin schon der Hauch von Exklusivität: Wer Mammut trägt, so das Image, ist kein Spaziergänger, sondern gern mit Tourenskiern und Eisgerät unterwegs, irgendwo ganz weit oben in den Bergen der Welt.

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Eine große Familie

Eine große Familie

Und wer es nun zum Event geschafft hat, fühlt sich als Insider - und ist stolz darauf. Genau das will die Agentur erreichen: "Hier vermischt sich alles, die Produktentwickler stehen mit den Kunden an der Bar und irgendwann sind wir alle eine große Familie", sagt Gabriel Peisker, Creative Director der Agentur Erdmannpeisker später am Lagerfeuer unter freiem Himmel. "Besser konnte sich unser Vorhaben nicht verwirklichen."

Wie Mammut gehen mittlerweile viele Outdoor-Ausrüster vor: Sponsoring ist schon lange nicht mehr das einzige Mittel, nah am Kunden zu sein - die Ausrüster werden mittlerweile selbst zum Veranstalter möglichst spektakulärer Events oder zum Betreiber dauerhafter Einrichtungen wie Skischulen.

Das Konzept "Learn to ride" des Snowboardproduzenten Burton ist so ein Beispiel: Mit einem speziell entwickelten Lernverfahren sollen Anfänger innerhalb von drei Tagen snowboarden lernen - und das natürlich in Burton-Schuhen, mit Burton-Bindungen, auf extra für Anfänger konzipierten Burton-Brettern. Der amerikanische Ausrüster The North Face richtet die internationale North Face Ski Challenge aus, die in Europa von Garmisch über das finnische Ruka, Chamonix und ins tschechische Jasna tourt, dem Besten winkt am Ende ein Sponsorvertrag.

Nah am Kunden zu sein ist in der Outdoor-Branche wichtig, in der die Identifikation mit Marken hoch ist. Snowboarder tragen selten Skikleidung, und Skifahrer sieht man so gut wie nie in den überdimensionierten Snowboardklamotten. Kletterer sind vom normalen Bergwanderer auch dann von weitem zu unterscheiden, wenn sie gerade keinen Gurt und kein Seil tragen - alles eine Frage der gewählten oder bewusst nicht gewählten Markenkleidung.

Hinzu kommt, dass manche Outdoor-Begeisterte einem wahren Ausrüstungswahn unterliegen und ihr Equipment alljährlich verfeinern und erneuern. Vielleicht auch deswegen ist die Outdoor-Branche erstaunlich krisensicher, wie die Zahlen zeigen. In Deutschland sind im Jahr 2008 Sportartikel für 7,1 Milliarden Euro verkauft worden, drei Prozent mehr als im Vorjahr; in ganz Europa sind es 37,5 Milliarden Euro.

Der Outdoor-Bereich wächst dabei mit am schnellsten: Seit Jahren steigen die Umsätze dort zweistellig, und auch 2008 machten Outdoor-, Wander- und Skiartikel die größten Sprünge bei den Umsätzen - neben den durch die Europameisterschaft angekurbelten Fußballartikeln.

Die Skihersteller, die seit Jahren mit dem weniger werdenden Schnee zu kämpfen haben, gehören wegen des lang anhaltenden diesjährigen Winters sowieso zu den Gewinnern. Auf dem Branchentreff, der Internationalen Sportartikelmesse in München, erklärte man sich vor wenigen Wochen das Abperlen der Finanzkrise an der Sportbranche damit, dass die Menschen gerade in schlechten Zeiten etwas für ihre Gesundheit tun wollen - und Sport treiben.

Der sogenannte Althaus-Effekt, die nach dem schweren Skiunfall des Politikers sprunghaft gestiegene Nachfrage nach Sicherheitausrüstung, ließ die Firmen in diesem Frühjahr noch zusätzlich jubeln: Der Sporthändlerverbund Intersport zum Beispiel verzeichnete den besten Januar in der Unternehmensgeschichte, die Umsätze stiegen um 27 Prozent.

Übungen zur Sicherheit im Schnee sind dazu passenderweise im Trend - und am zweiten Tag des Testevents wird dann doch noch zumindest ein bisschen getestet: Suchgerät, Schaufeln und Sonden kommen bei der Lawinenübung zum Einsatz. Und dabei, und das kann ja nur gut sein, stellen sich die meisten wesentlich besser an als bei dem großen V.

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