Otto Geisel über den Studiengang Kulinaristik:"Ein weltoffener Mensch sollte nur Bio-Fleisch kaufen"

In Bad Mergentheim gibt es den ersten Studiengang "Food Management & Kulinaristik". Initiatoren sind der Starkoch Eckart Witzigmann und der "Slow-Food"-Vorsitzende Otto Geisel, der sich damit eine Abkehr vom Dosenfraß erhofft.

Robert Lücke

War Genießen bislang eher Bauchsache, wird im baden-württembergischen Bad Mergentheim seit Oktober auch Gehirnschmalz gefordert: Zusammen mit der Berufsakademie Mosbach bietet die "Deutsche Akademie für Kulinaristik" den bundesweit ersten Studiengang "Food Management & Kulinaristik" an, bei dem Studierende Fachwissen zur Lebensmittelproduktion, Handel und Ernährung pauken. Zusammen mit Eckart Witzigmann hat Otto Geisel, 47, Hotelier und Vorsitzender der deutschen "Slow Food"-Bewegung, den Studiengang initiiert.

Otto Geisel über den Studiengang Kulinaristik: Der Weinfachmann Otto Geisel begutachtet in Stuttgart einen Rotwein.

Der Weinfachmann Otto Geisel begutachtet in Stuttgart einen Rotwein.

(Foto: Foto: dpa)

SZ: "Food Management & Kulinaristik" klingt nicht so appetitlich, eher nach BWL für Köche und Besteckhersteller. Was müssen Studierende da lernen? Und wie geht denn Genießen, Herr Geisel?

Geisel: Genießen können einige schon, da sie aus der Praxis kommen. Zunächst geht es bei dem Bachelor-Studium um 70 Prozent BWL und 30 Prozent Kulinaristik. Dazu kommen unter anderem Essgeschichte, Volkskunde, Hirn- und Geschmacksforschung - eben alles, was mit Essen und Trinken zu tun hat.

SZ: Wer studiert das denn überhaupt?

Geisel: Restaurantfachfrauen, Weinbauingenieure, Bierbrauer, Metzger und Bäcker. 20 der 25 Studierenden sind Frauen. Im Herbst verdoppeln wir die Studentenzahl wegen des großen Zulaufs; es gab mehr als 300 Bewerber. Wir nehmen ausschließlich Studierende, die bereits in einem Unternehmen arbeiten und vierteljährlich dorthin zurückkehren. So bleiben Theorie und Praxis nahe beieinander.

SZ: Welchen Job kann ich nach einem Studium bei Ihnen besser machen?

Geisel: Zum Beispiel Einkäufer werden im Lebensmittelhandel. Wenn diese mehr Qualitätsverständnis bekommen, ist das kein Schaden. Oder Gastronom, der über regionale Produkte Bescheid weiß. Der Erfolg der Fastfoodketten basiert ja auf einfachen Konzepten: Billig, schnell, einfach. Das geht auch, zu etwas höheren Preisen, mit hochwertigen Zutaten.

SZ: Kulinaristik an die Hochschule zu bringen, ist nicht ganz neu. In Italien gibt es das seit drei Jahren an der "Università di Scienze Gastronomiche" in Pollenzo und Colorno. Was ist bei Ihnen anders?

Geisel: Im Grunde ist das derselbe Ansatz, Pollenzo stand Pate für uns. Allerdings gibt es in Italien in der Gastronomie nicht solche Lehrberufe wie bei uns, deswegen ist einiges anders. Bei uns studieren nur Leute aus der Praxis und es liegt ein stärkeres Gewicht auf Volkskunde. So doziert etwa ein Volkskundler, inwieweit die Ernährung innerhalb dreier Jahrhunderte Einfluss auf die unterschiedliche Entwicklung von Gesellschaften genommen hat. Und 2011 führen wir noch den Masterstudiengang "Kulinaristik" ein.

SZ: Erwartet uns also in Zukunft eine neue Elite von Köchen und Erzeugern?

Geisel: Es geht um mehr Qualität. Aber wie definiert man sie? Heute sind die Grenzen im Lebensmittelhandel verwischt. Im Discounter und im klassischen Supermarkt gibt es oft ähnliche oder sogar identische Produkte. Der klassische Händler hat aber doch nur dann eine Chance, wenn seine Waren besser sind. Dafür müssen die Händler aber erst mehr Wissen über Qualität bekommen, um das gute Produkt bei ihrem Einkauf auch erkennen zu können.

SZ: Das ist aber nun nichts Neues.

Geisel: Leider. Aber wer hat denn bei uns noch den Bezug zu regionalen Produkten? Überall gibt es holländischen Matjes. Aber warum nicht Starnberger Seeränken oder Maränen aus Mecklenburg?

SZ: Deutschland holt im Moment kulinarisch gesehen mit so vielen Sternerestaurants wie nie zuvor zwar auf, aber der Norden und der Osten sind für Genießer immer noch Wüsten. Wollen Sie ändern, was Generationen nicht geschafft haben?

Geisel: Die Spitze hat aufgeholt, ja. Aber für diese Spitze interessiert sich leider nur ein sehr spitzer Prozentsatz der Bevölkerung. Es fehlt die Breite. Deswegen muss unser Ansatz der sein: Mehr Wissen und Selbstbewusstsein über heimische Zutaten und Gerichte in die Breite der Bevölkerung tragen. Die Menschen suchen nach Identität, und mit Produkten aus der Heimat kann man sie vermitteln.

SZ: Also wieder Kochen wie Oma?

Geisel: Nein! Eben nicht. Diese Retrowelle schafft nur Emotionen, ändert aber gar nichts, wenn ich für das Weihnachtsgans-Rezept aus Omas Kochbuch tiefgefrorene Ware aus Ungarn kaufe, statt eine Weidegans vom Bauern draußen auf dem Lande zu holen. Es geht also zunächst um das Produkt und dann um das Rezept.

SZ: Wenn nun im Studium ein Metzger lernt, nur noch Fleisch von glücklichen Bioschweinen einzukaufen, was macht der denn, wenn seine Kunden doch wieder das Kilo Nacken für 1,99 wollen?

Geisel: Dann wissen die nicht, dass auch geschmacklich Schwein nicht gleich Schwein ist. Den Markt für gute Produkte gibt es ja schon. Für jeden jungen Menschen, der weltoffen ist, muss selbstverständlich sein, dass er nur Fleisch von artgerecht oder besser noch nach Bio-Richtlinien gehaltenen Tieren kauft und isst.

SZ: Wie soll sich der Metzger denn nun verhalten? Es geht doch darum, das Wissen an die Kunden weiterzugeben.

Geisel: Der Metzger lernt, seinen Kunden eine Geschichte zum Produkt zu erzählen, so wie ein Italiener oder Franzose uns immer sofort erzählt, was er Leckeres eingekauft hat und gleich kochen wird. In welcher deutschen Metzgerei steht denn heute der Metzger vor Ihnen? Stattdessen eine Verkaufskraft, die einem nichts über Rasse, Herkunft oder Zubereitung erzählt - und dass es noch anderes gibt als nur Roastbeef, Filet und Gulasch.

SZ: Wie überzeugen Sie die Millionen Tütenaufreißer und Mikrowellenaufwärmer davon, besser selber zu kochen?

Geisel: Es geht um Wissen und Unwissen. Ein Wissenschaftler hat errechnet, dass eine vierköpfige Familie im Jahr 700Euro mehr ausgeben muss, wenn sie sich statt von Convenience-Produkten von gesunder, frischer Ware ernährt. Das ist pro Person und Tag nicht viel.

SZ: Es sind 48 Cent am Tag.

Geisel: Ist das zu viel für die wichtigste Sache im Leben? Es geht nicht nur um Genuss, sondern auch um Gesundheit. Aber die Leute gucken eben lieber diese Kochshows, in denen man rein gar nichts über irgendetwas lernt, und weil sie nicht mehr selber kochen, holen sie sich das Kochspektakel eben so ins Wohnzimmer.

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