SZ-Interview mit Altbundeskanzler:Gerhard Schröder warnt vor "neuem Rüstungswettlauf" mit Russland

Gerhard Schröder Mario Wezel

Gerhard Schröder Anfang Juni in seinem Büro in Hannover.

(Foto: Mario Wezel)

Der Altbundeskanzler hält die Beteiligung der Bundeswehr an der Nato-Truppenverstärkung für falsch. Im SZ-Interview bekennt er sich zu seinem Freund Putin - und zu seinem umstrittenen Engagement für eine Pipeline.

Von Joachim Käppner und Christian Mayer

Angesichts der wachsenden Spannungen zwischen den Nato-Staaten und Russland hat der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder eindringlich vor einer Eskalation gewarnt und es als schweren Fehler bezeichnet, weitere Nato-Truppen in Osteuropa zu stationieren. Beim Treffen der Verteidigungsminister in Brüssel hatten sich Deutschland, Großbritannien und die USA in dieser Woche darauf geeinigt, ab kommendem Jahr 4000 Soldaten in die baltischen Staaten und Polen zu schicken.

"Wir sollten jetzt darauf achten, nicht in einen neuen Rüstungswettlauf einzusteigen. Das trägt nicht dazu bei, Konflikte zu reduzieren und ein gutes Verhältnis mit Russland wiederherzustellen", sagte Schröder der Süddeutschen Zeitung. Der Altkanzler hält die Beteiligung der Bundeswehr an der Truppenverstärkung für falsch. Balten wie Polen seien Mitglied der Nato, ihre Sicherheit und Souveränität seien garantiert.

Kritik an anti-russischen Sanktionen

Die Ängste der Osteuropäer seien zwar historisch verständlich, aber man sollte keine überzogenen Schlüsse daraus ziehen: "Die Vorstellung, dass irgendjemand in der russischen Führung die Absicht haben könnte, in Nato-Staaten zu intervenieren, hat mit der Realität nichts zu tun." Wichtig sei nun, einen Schritt auf Russland zuzugehen.

Schröder zweifelt auch am Sinn der westlichen Sanktionen, die 2014 während der Ukraine-Krise gegen Russland verhängt worden waren. "Deutschland sollte aufpassen, dass seine privilegierte politische und ökonomische Partnerschaft mit Russland nicht verloren geht. Wir dürfen die Erfolge der Ostpolitik Willy Brandts nicht verspielen", sagte Schröder. Der Versuch von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier, die Sanktionen "schrittweise abzubauen", sei "richtig und muss unterstützt werden".

Verteidigung seines Nord-Stream-Engagements

In dem Interview verteidigt Schröder seine Tätigkeit für die russisch-europäische Erdgaspipeline. Der SPD-Politiker ist seit 2006 Vorsitzender der Aktionärsversammlung von Nord Stream, bei dem der russische Energiekonzern Gazprom 51 Prozent der Anteile hält und die deutschen Unternehmen Wintershall und Eon Ruhrgas mit jeweils 15,5 Prozent beteiligt sind.

Deutschlands "besondere Verantwortung"

Schröder erinnert im Interview für die Samstagsausgabe der Süddeutschen Zeitung an ein welthistorisches Ereignis, das im Bewusstsein der Russen tiefe Spuren hinterlassen habe, aber im Deutschland der Nachkriegszeit lange verdrängt worden sei: Vor 75 Jahren, am 22. Juni 1941, begann unter dem Decknamen "Unternehmen Barbarossa" auf Befehl Hitlers der Überfall der Deutschen auf die Sowjetunion. Es war der Anfang eines brutalen Vernichtungskrieges.

Historiker schätzen, dass etwa 27 Millionen Menschen während des Krieges in der Sowjetunion ums Leben kamen. "Das dürfen wir Deutschen nie vergessen. Deshalb tragen wir Deutschen gegenüber Russland eine besondere Verantwortung." Nur vor dem Hintergrund von 1941 ließen sich "die Einkreisungsängste Russlands verstehen, auch wenn uns diese irrational erscheinen und die Welt sich verändert hat".

Vater zu arm für eine Kamera

Im Gespräch mit der SZ blickt Schröder auch auf die eigene Lebensgeschichte zurück: Sein Vater Fritz Schröder starb im Oktober 1944 in Rumänien an der Ostfront, erst 2004 stand der damalige Bundeskanzler zum ersten Mal am Grab des Vaters in der Ortschaft Ceanu Mare. Es war ein bewegendes Erlebnis, zumal Schröder in seiner Kindheit nicht einmal Fotos von seinem Vater sehen konnte: Die Familie war zu arm, um sich eine Kamera leisten zu können.

"Manchmal frage ich mich: Was hätte ein einfacher Mann wie er, der sogar mal im Zuchthaus saß, weil er Essen geklaut hat, wohl gedacht, wenn er erlebt hätte, dass sein Sohn Bundeskanzler wurde? Meine Mutter hat das noch erlebt." Erika Schröder-Vosseler war 2012 im Alter von 99 Jahren gestorben.

Freundschaft zu Putin

Zum russischen Präsidenten gebe es nach wie vor ein freundschaftliches Verhältnis, das sich während seiner Amtszeit als Bundeskanzler entwickelt habe, sagte Schröder. "Vielleicht verbindet uns auch die Tatsache, dass unsere beiden Familien durch diesen Krieg gelitten haben. Ich habe meinen Vater verloren, Putins Bruder starb während der Belagerung von Leningrad durch die Deutschen, die Mutter wäre damals fast verhungert."

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