Olympia in Hamburg:Kernbotschaft: Sexuelle Vielfalt

Gay Games Chicago 2006

Bunte Spiele: Die Hamburger Grünen werben für schwulen- und lesbenfreundlichen Spitzensport.

(Foto: Getty)

Die Grünen wollen eine Initiative gegen Homophobie in den Mittelpunkt der Hamburger Olympia-Bewerbung stellen. Kann das die Chancen der Stadt vor der Volksabstimmung erhöhen?

Von Thomas Hahn

Der Brite Tom Bosworth aus Leeds mag die Aufmerksamkeit, die er jetzt bekommt, aber er findet sie auch seltsam. Im August hat er etwas geschafft, was nur ganz wenige Menschen schaffen. Er ist als Geher bei den Leichtathletik-Weltmeisterschaften in Peking gestartet und hat dort im Rennen über 20 Kilometer den 24. Platz belegt. Dicke Schlagzeilen hat er damit nicht gemacht, die Leistung brachte ihm auch keine Einladung zu einer Podiumsdiskussion im Ausland.

Aber dann hat Tom Bosworth etwas getan, das im Grunde jeder tun könnte. Er hat sich öffentlich zu seiner Liebesbeziehung bekannt. Damit machte er Schlagzeilen, die groß genug waren, um die Grünen in Hamburg auf ihn aufmerksam zu machen. Er bekam eine Einladung in die Hansestadt zu einer politischen Podiumsdiskussion im Rahmen der örtlichen Olympia-Bewerbung mit dem Titel "Gay Olympia - wie queer werden die Spiele".

"Immer noch eine Nachricht"

Die Liebesbeziehung, über die Tom Bosworth Mitte Oktober in einem BBC-Interview gesprochen hatte, hat er nämlich mit einem Mann, und er muss selbst zugestehen, dass man damit auffällt in seiner Berufsgruppe. "Darüber als Spitzensportler zu sprechen, ist immer noch eine Nachricht. Leider."

Am 29. November findet der Volksentscheid statt, bei dem Hamburg darüber abstimmt, ob die Stadt sich für die Olympischen und Paralympischen Spiele 2024 bewerben soll. Ja- und Nein-Sager führen deshalb in diesen Tagen einen kleinen Wahlkampf auf mit Plakaten und Veranstaltungen. Und die Grünen machen natürlich mit, wobei die Spiele-Frage gerade sie vor ein Dilemma stellt.

Einerseits können sie schlecht dagegen sein als Teil der Regierungskoalition unter SPD-Bürgermeister Olaf Scholz. Andererseits gehört eine gewisse Kommerzsport-Skepsis zum grünen Selbstverständnis einfach dazu - zumal das Internationale Olympische Komitee (IOC) bei Menschenrechtsfragen und Umweltschutz oft keine gute Figur macht.

Sexuelle Vielfalt als Kernbotschaft der Bewerbung

Themen fürs grüne Gewissen sind also gefragt, und der Umgang des Spitzensports mit der sexuellen Orientierung seiner Athleten ist so ein Thema. Deshalb hatten die Grünen am Dienstagabend unter anderem Tom Bosworth zum Gespräch geladen - als Zeitzeugen eines Gewerbes, in dem sich erst allmählich herumspricht, dass gleichgeschlechtliche Liebe nichts Falsches ist.

Hamburgs Olympia-Betreiber lassen schon die ganze Zeit durchblicken, dass sie sich als Könige der Nachhaltigkeit sehen. Die Grünen wollen den Eindruck noch schärfen. Sie wollen sexuelle Vielfalt zu einer Kernbotschaft der Bewerbung machen. "Ich habe den Eindruck, dass wir da richtig punkten können", sagt Katharina Fegebank, Hamburgs grüne Senatorin für Gleichstellung.

Martin Dolzer, queerpolitischer Sprecher der Hamburger Linken-Fraktion, fand nicht überzeugend, dass die Grünen das Coming-out des Briten Bosworth in ihre Olympia-Kampagne einbanden. "Frau Fegebank ist es offensichtlich nicht einmal peinlich, diesen wichtigen persönlichen Schritt zu instrumentalisieren, um für das IOC-Spektakel Werbung zu machen", sagte er. Und möglicherweise ist es auch etwas naiv zu glauben, dass sich die konservativen IOC-Funktionäre aus aller Welt umgehend für Hamburgs Bekenntnis zur Gleichstellung begeistern werden.

Kampf gegen ein Tabu

Der Vorstoß ist trotzdem gut, denn er hilft, ein Tabu aufzuheben. In den Machogesellschaften des Sports ist es vor allem für Männer ein Wagnis, offen schwul zu sein. Der erste aktive Fußballprofi, der sich das traute, war der Engländer Justin Fashanu - 1998 nahm er sich das Leben, weil er wegen der homophoben Stimmung keine Chance mehr für sich sah.

In manchen Ländern gibt es Anzeichen einer neuen Toleranz. Prominenten-Bekenntnisse haben dazu beigetragen, wie das des früheren deutschen Fußball-Nationalspielers Thomas Hitzlsperger oder das des britischen Wassersprung-Weltmeisters Tom Daley. Und das IOC hat reagiert, nachdem es bei den Spielen in Sotschi den Eindruck erweckte, als trage es die homosexuellenfeindliche Gesetzgebung des Gastgebers Russland mit. Seit Kurzem steht die Freiheit der sexuellen Orientierung als olympisches Grundprinzip in der IOC-Charta.

"Wo sind die anderen?"

Aber die Vernunft setzt sich nur langsam durch. Der Spitzensport ist eine globale Bewegung, in den Weltverbänden sind auch jene Nationen vertreten, in denen Homosexualität immer noch als Verbrechen gilt. Und wer im Stadion Zeichen setzt im Dienste universeller Werte, riskiert die Disqualifikation wie die schwedische Hochspringerin Emma Green 2013 bei den Moskauer Leichtathletik-Weltmeisterschaften, als sie in der Debatte ums russische Homo-Gesetz ein Zeichen setzte. Sie startete mit Fingernägeln in Regenbogenfarben - und bekam dafür eine Verwarnung.

Sportverbände halten sich lieber zurück beim Kampf um die Menschenrechte, weil sie die Mitglieder-Nationen nicht verprellen wollen, in denen die Regierungen gegen diese verstoßen. Aber ein Olympia-Gastgeber kann durchaus Räume der Toleranz schaffen.

Die grünen Spiele-Befürworter hatten deshalb auch Louise Englefield eingeladen, die Direktorin der Gleichstellungs-Agentur Pride Sports. Sie erzählte, wie sie bei Olympia in London 2012 die schwul-lesbische Begegnungsstätte Pride House betrieb. Und Tom Bosworth konnte auch noch mal erklären, wie er sich sportliche Toleranzarbeit vorstellt. "Ich bin nur einer, der sich geoutet hat", sagte er, "wo sind die anderen? Da muss es mehr geben." Und es war klar, was er den anderen schwulen Spitzensportlern eigentlich zurufen wollte: Geht raus und erklärt euch!

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