Österreich:Ein Paradies für gesunde Esser

Lob der Kleinbauern: Warum die österreichischen Konsumenten im Supermarkt gegenüber ihren Nachbarn im Vorteil sind.

Michael Frank

Paradeiser! Paradiesäpfel! Wer je im Spätsommer auf ostösterreichischen Märkten Tomaten erworben hat, der weiß, warum die Menschen hier die rote Frucht so poetisch benennen. Was für eine Süße. Und diese Würze!

Kühe; AP

Glückliche Kühe schmecken besser.

(Foto: Foto: AP)

Österreicher haben schon immer mehr auf Qualität und Geschmack dessen geachtet, von dem sie leben. Und sie waren schon immer bereit, ein wenig mehr hinzulegen für das tägliche Brot als die Deutschen, zwangläufig, denn Nahrungsmittel sind hier traditionell teurer. Aber auch besser. Wer sich in München die wirklich guten Metzger merkt, bei denen man unbesehen alles kaufen kann, der merkt sich in Wien jene, bei denen man dezidiert nicht kaufen sollte. Die Durchschnittsware ist weit respektabler.

Zwar hat auch Österreich seine Lebensmittelskandale, die aber mit den teutonischen Gammelfleischexzessen niemals mithalten können. Denn so konservativ und unbeweglich manchmal die austriakische Gesellschaft erscheint: Die Nachbarn lernen zu ihrem Vorteil, schnell ihre Ernährungsgepflogenheiten zu ändern. Und in diesem schon lange andauernden Lernprozess ist Österreich zum absoluten Vorreiter einer gesunden und naturnahen Agrikultur geworden, wo der Begriff "Kultur" wieder seine Urbedeutung bekommt.

Der Öko-Österreicher

Der Lebensmittelbericht des österreichischen Landwirtschaftsministeriums, das sich etwas schönfärberisch "Lebensministerium" nennt, spricht eine deutliche Sprache: Von Anfang 2005 bis Ende 2007 haben sich Herkunft und Qualität gegenüber dem Preis als die entscheidenden Kaufmotive bei den Konsumenten durchgesetzt. Die Kosten sind auf den siebten Platz zurückgefallen, obwohl auch in Österreich Arme immer ärmer werden.

Die deutsche Sprache weiß sehr schön zu differenzieren: Wir kennen Nahrungsmittel und Lebensmittel. Zu viel wird verhökert, was gerade noch zur Ernährung taugt. Was wir essen, sollte aber dem Leben dienen, es erfüllen und gesund sein. Früher übrigens haben die Wiener nichts so gehasst wie das Vitamin, das sie für eine heimtückische Substanz hielten. In den letzten zehn Jahren aber ist der Pro- Kopf-Verbrauch an Obst um 18 Kilo pro Kopf und Jahr angewachsen, der von Gemüse um 8 Kilo. Vom guten Geschmack haben sich die Nachbarn nie des Geizes wegen abbringen lassen.

Hier liegt der Grund, warum die riesigen Handelsketten seit Jahrzehnten ein großes, dem lokalen Geschmack angepasstes Angebot aus der Region vorhalten und respektable Bioabteilungen bestücken. Ob chemisch messbar oder nicht: Bioware besticht meistens über den Geschmack. Und der Markt normalisiert sich weiter. Der Boom des Abholverkaufs flaut ab, die Bauernmärkte schwinden leicht, dafür gibt es mehr Bioläden und eben ein beträchtlich erweitertes Angebot dieser Ware beim Discounter oder Supermarkt.

Österreicher suchen so oft wie Deutsche, nämlich 24-mal im Monat, so einen Massenladen auf, sind aber dennoch große Biokonsumenten. Nur neun Prozent greifen niemals nach Ökokost, eine phantastisch niedrige Zahl. In den drei Jahren seit 2005 verzehrten Österreichs Verbraucher um 35 Prozent mehr Bioware. 64 Prozent des Umsatzes geht über den Einzelhandel.

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Ein Paradies für gesunde Esser

Sensible Österreicher

Österreich hat aus seinen schwierigen topographischen Verhältnissen Vorteile gezogen. Nur im flachen Osten, der Steiermark und Oberösterreich ist riesige, industrialisierte Flächenlandwirtschaft möglich. Vielerorts führte die durch Berglagen und andere Geländenachteile vorgegebene kleingliedrige Agrikultur dazu, dass Bauern ohne Umweg über Massentierhaltung und industriellen Anbau vom archaischen Lebensunterhalt früherer Tage in den Bioanbau heutiger Qualitätsvorstellungen übergegangen sind.

Nahezu 20.000 Biobauern wirtschaften in Österreich, das sind 15 Prozent aller Betriebe, die mehr als 12 Prozent der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche beackern. In manchen Gegenden wirtschaften bereits mehr Bauern nach ökologischen Prinzipien als nach konventioneller Chemie-Kunstdünger-Methode.

Österreichs Konsumenten sind sensibel. So hat das erfolgreichste Volksbegehren aller Zeiten schon in Jahren, als das in Deutschland noch gar kein Thema war, das Verbot genveränderter Nahrungsmittel erzwungen. Österreich streitet sich mit der EU herum, die aus Sicht des Landes viel zu laxe Regeln beim Anbau und bei der Verfütterung von genmanipulierten Agrargütern duldet. Deutsche Verbraucher erinnern sich gerne an den Glykolweinskandal. Obwohl der schon 23 Jahre zurückliegt, prägt er manchen fälschlich abschätzigen Blick.

Denn der Umgang damit ist exemplarisch: Auch wenn damals viel vertuscht und verschoben wurde, hat man ihn zum Anlass zu einer radikalen Gesetzesverschärfung genommen - und zum Startsignal für eine grandiose neue Weinkultur, die aus dem Sauerampfer in der Doppelliterflasche ein weltweit begehrtes Produkt gemacht hat.

Und um der Wahrheit die Ehre zu geben: Verdorbener deutscher Weingeschmack war Initiator des Skandals, Wiener hätten die gefälschte süße Plempe niemals gesoffen. Früher einen delikaten Käse in Österreich zu bekommen, war nachgerade unmöglich. Heute wetteifern nicht nur Bauern und Biokäser, sondern auch die großen Molkereien mit Rohmilchfeinheiten von Kuh, Ziege und Schaf.

Neuester Star der delikaten Naturküche ist das südsteirische Sulmtal-Huhn, eine beinahe ausgestorbene, fleischige, kerngesunde Sorte. Ausgerechnet in dem Land, aus dem mit Hendl-Jahn die Hühnerbraterei als Massenverköstigung kam, erstarkt eine alte Hühnerrasse, für die Liebhaber zwischen 18 und 34 Euro pro Kilo hinblättern. Geiz ist alles andere als geil.

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