Nonsense-Wettbewerbe in der Provinz:Wer ist der beste Gockel im Land?

Wenn es um kuriose Wettbewerbe geht, hatte Deutschland lange kaum etwas zu bieten. Jetzt hat die Provinz hierzulande aufgeholt. Bestes Beispiel: Göcklingen - wo die Deutsche Meisterschaft im Gockelkrähen ausgetragen wird.

Von Roman Deininger, Göcklingen

Klaus Hess hatte noch zu entkommen versucht, vergeblich, die Journalisten haben ihn umstellt. Hess ist einer dieser Athleten, die keine Philosophen sein wollen, die keine großen Worte machen, sondern einfach ihr Ding. Der Fernsehreporterin, die ihm gerade ein Mikrofon unter die Nase hält oder streng genommen unter den Schnabel, kann er deshalb nur sehr bedingt helfen. "Wie machen Sie das?", fragt die Dame vom Fernsehen, durchaus glaubhaft fasziniert, und Hess sagt: "Ich weiß auch nicht." Er trainiere doch sicher die ganze Zeit, insistiert die Reporterin, anders seien solche fabelhaften Leistungen ja gar nicht erklärbar. Hess sagt: "Ich brauch' nicht üben. Wahrscheinlich bin ich ein Naturtalent."

Hätte der Pensionär Hess die besten Jahre eines Leistungssportlers nicht schon eine Weile hinter sich, trüge er kein weißes Gefieder mit rotem Hahnenkamm auf dem Kopf - man könnte ihn für einen Olympioniken halten. In der Tat muss Hess gleich zur Siegerehrung, er hat seinen 2014 errungenen Titel erfolgreich verteidigt, er ist der Star der Spiele von Göcklingen. "Krähen Sie doch noch mal", sagt die Fernsehfrau, als sie investigativ gar nicht mehr weiterkommt. Erleichtert schiebt Hess seinen Schnabel zurecht und kräht los, sehr melodisch, dabei wohlig scheppernd, so echt, dass man sich unweigerlich fragt: Wie macht er das?

Ein fröhlicher Pfälzer in grüner Latzhose

Das Naturtalent des Klaus Hess ist indes nicht mal das Verblüffendste an diesem brütend heißen Sonntag in der Pfalz. Noch verblüffender ist, dass sich im 960 Einwohner zählenden Göcklingen mehr als 2000 Menschen versammelt haben - zur Deutschen Meisterschaft im Gockelkrähen.

Vier TV-Teams machen Jagd auf die mehr oder minder liebevoll kostümierten Bewerber, ein Team kommt aus Wien, was dem Anlass aus Göcklinger Sicht eine eminent internationale Dimension gibt. In der Jury bringen ein Minister und eine Landtagsabgeordnete ihre Expertise ein. Mittendrin in diesem Volksfest treibt ein fröhlicher Pfälzer in grüner Latzhose die Kandidaten zu Höchstleistung an: "Sonst kommsch aufn Grill!" Von ihm will man am allerdringlichsten wissen: Wie hat er das nur gemacht?

Kleine Orte werden oft übersehen, sie müssen den Blick der Welt erst auf sich lenken. Göcklingen hat das offensichtlich geschafft, Gerhard Hoffmann hat das geschafft, der Mann in der grünen Latzhose, Bio-Winzer und Göcklinger mit Leib und Seele. Hoffmann ist optimistisch und mutig, dreist und schmerzfrei, er ruft dem Publikum zur Begrüßung zu: "Willkommen im Weltgockelkrähzentrum Göcklingen."

Es ist noch nicht lange her, da war Deutschland arg im Rückstand, was das Ortsmarketing mit kuriosen Wettbewerben angeht. Da blickte man neidisch auf das Moorschnorcheln in Wales, den Handy-Weitwurf in Finnland, das Käse-Rollen in England und besonders auf das "Ferret Legging" in den USA, bei dem die Teilnehmer ein Frettchen in ihre Hose stecken und stillhalten müssen.

Aber inzwischen hat die Bundesrepublik aufgeholt, es gibt das Gummistiefel-Schleudern in Würzburg, das Plastikbecher-Stapeln in Butzbach und das Dackel-Rennen um die "Goldene Wurst von Itzehoe". Sogar größere Städte machen sich den Nonsens dienstbar: Bottrop richtet neuerdings die WM im Handtaschen-Weitwurf aus, Roberto Blanco leitet - zweifellos kundig - die Jury.

Bei der Idee könnte "eventuell schon eine Schorle zu viel" im Spiel gewesen sein

Nun haben wohl weder die Bottroper noch Roberto Blanco vor ein paar Jahren geahnt, welche Neigung zum Handtaschen-Weitwurf in ihnen schlummert. Viel mehr Charme hat so ein Spaß-Wettkampf natürlich, wenn das Skurrile vor Ort grasverwurzelt ist, wie zum Beispiel im hessischen Witzenhausen. Die Gemeinde hat 120 000 Kirschbäume, eine Kirschkirmes, eine Kirschkönigin und nun halt auch ein ausnehmend fernsehtaugliches Kirschkernweitspucken. In Göcklingen, sagt Gerhard Hoffmann, haben sie sich "aus naheliegenden Gründen" gedacht: "Machen wir doch irgendwas mit Gockeln."

Bei der Ausarbeitung der Idee, gesteht Hoffmann, könnte "eventuell schon eine Schorle zu viel" im Spiel gewesen sein, egal, jedenfalls darf er jetzt einen echten Umweltminister in Göcklingen begrüßen - nicht den eigenen aus Rheinland-Pfalz, sondern den aus Nordrhein-Westfalen. Hoffmann hat diesen Johannes Remmel mal auf einer Messe kennengelernt und so lange "vollgebabbelt", bis der kapitulierte und die Göcklingen-Visite zusagte. "Ist das die Weinkönigin?", fragt Remmel nun seinen Gastgeber und deutet auf eine Dame im grünen Kleid. Hoffmann sagt: "Das ist die Landtagsabgeordnete Schneider."

Bevor Remmel (Grüne) neben seiner neuen Bekannten Schneider (CDU) am Jurytisch Platz nimmt, erklärt er ganz ernsthaft sein Interesse an der Gockelei: "Ich finde es gut, wenn der ländliche Raum seine Schätze blank putzt und ausstellt." In NRW hätten sie übrigens eine Hirschruf-WM.

Der Name Göcklingen geht gar nicht auf den Gockel zurück

Göcklingen - 15 Winzer, 130 Besucherbetten - liegt an der Südlichen Weinstraße, da liegen zwischen Wald und Reben viele lauschige Gemeinden, die das mit dem Blankputzen versuchen. Ein Weinfest hat jede, "da muss man sich schon ein bisschen mehr einfallen lassen, um die Leute anzulocken", sagt Hoffmann.

In Göcklingen funktioniert das: Viele Leute aus der Umgebung machen sich einen heiteren Sonntag, eine Touristengruppe aus Hamburg kürt am Biertisch ihren internen Meisterkräher. Während Hoffmann auf der Bühne vor der Kirche den Gockeln die Bewertungskriterien erläutert ("Stolzieren ist auch wichtig"), erzählt Bürgermeister Fritz Garrecht im Pfarrheim von der "anfänglichen Skepsis" im Dorf, die - das hört man durch - wohl auch den Bürgermeister selbst erfasst hatte. Jetzt sagt er: "Natürlich hilft so ein Wettbewerb, Göcklingen ins Bewusstsein zu rücken."

Garrecht trägt einen bunten Gockel-Anstecker am weißen Hemd, er ist Lehrer, vielleicht hält er deshalb eine Klarstellung für angemessen. Die Sache mit dem Gockel sei "historisch eigentlich falsch". Der Name Göcklingen gehe nämlich gar nicht auf das Tier zurück, sondern auf den Franken Gakilo, der sich einst hier niederließ. Als die Göcklinger 2004 zum 750-jährigen Ortsjubiläum ein Plakatmotiv suchten, sagt Garrecht, seien sie eher pragmatisch auf den Gockel gekommen. Heute sieht man das Logo überall im Ort, auf Briefkästen, Laternen und Autos. Der Männerchor hat sein Repertoire um das "Gockellied" erweitert.

Der grüne Minister wirkt, als hätte er ganz akut Heimweh nach NRW

Auf der Bühne läuft jetzt das "Küken"-Turnier: Die Kinder, die Hühner imitieren ("Bog-bog-bog-bog"), lösen die Sonne als Hauptursache für das Dahinschmelzen der Zuschauer ab. Kandidat Tim berichtet von seiner Vorbereitung: "Heute Morgen hat mich der Papa schon dressiert." Bei den Gockeln hat Hoffmann die Belegschaft seines Landauer Stammgriechen zum Mitkrähen verdonnert. Anni Naab, 77, Seniorin aus dem Nachbarort Eschbach, tritt freiwillig an: "Ich will meinen Sohn blamieren." In Eschbach, berichtet Naab, habe man ja den Esel zum Symboltier erkoren. Hoffmann zeigt sich unbeeindruckt: "Eselfleisch hab i no net gesse."

Nach der Krönung des Top-Gockels Klaus Hess befiehlt Hoffmann das Absingen der Nationalhymne. Die Gockel machen den Rücken gerade und legen die Flügel aufs Herz; der grüne Minister wirkt, als hätte er ganz akut Heimweh nach NRW. Hernach wird ein Ausflug in die Autostadt Wolfsburg verlost. Es gewinnt Anni Naab aus der Eselsstadt Eschbach, sie kann ihre innere Distanz zum Urlaubsziel Wolfsburg nicht verhehlen: "Was soll ich da?"

Hoffmann übt noch kurz konstruktive Kritik am Kostüm eines früh gescheiterten Kandidaten ("Hosch notlande müsse?"), dann umreißt er seine Pläne, wie sich der Gockelwahnsinn noch steigern lässt. Ein Gipfeltreffen von Göcklinger Gockeln und Eschbacher Eseln schwebt ihm vor, und für nächstes Jahr hat er einen "Weltrekordversuch" angesetzt: Er will so viele Gockel-Nachahmer zum "Teamkrähen" versammeln wie nie zuvor auf dem Planeten Erde. Welche Marke es da zu knacken gibt? "Gar keine", sagt Hoffmann. "Wir sind die Einzigen, das ist ja das Praktische."

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