Nicht doch ein Horrorfilm?:Mutti tanzt

Sommernacht
(Foto: Phillip Gätz/plainpicture)

Der Film "Gefühlt Mitte Zwanzig" verhandelt ein Alter, in dem man Kinder bekommen und doch cool und jung bleiben soll.

Von Martin Wittmann

Cornelia und Josh sind recht zufrieden verheiratet, also unglücklich. Sie sind beruflich gefestigt, also festgefahren. Und vor allem sind die beiden in jenem Alter, in dem man noch Kinder bekommen kann, also muss. Jedenfalls haben alle anderen gerade ihre Freiheit gegen Kinder eingetauscht und schwärmen jetzt vom wahren Leben und echter Erfüllung, heillos kind-, also selbstverliebt.

Trotz mehrerer Versuche sind Cornelia und Josh jedoch kinderlos geblieben. So bleibt ihnen nach dem Besuch bei ehemals alten Freunden, die neuerdings frisch gebackene Eltern und damit die neuen Freunde anderer frisch gebackener Eltern sind, nichts anderes übrig, als einander zu bestärken, also zu belügen.

Er: "Ich mag unser Leben, wie es ist." Sie: "Ja, wir könnten morgen nach Paris fliegen, wenn wir wollten." Er: "Genau. So kurzfristig hätten wir zwar Schwierigkeiten, einen erschwinglichen Flug zu finden, aber: ja." Sie: "Ich weiß. Ich könnte auch nicht einfach so von der Arbeit weg." Er: "Wir sollten für die Reiseplanung vielleicht einen Monat einplanen." Sie: "Ein Monat zählt immer noch als spontan."

"Die neue Lebensphase kann mit einer neuen Hosengröße beginnen. Oder mit einem Baby."

Geschrieben und inszeniert hat das alles Noah Baumbach, der New Yorker Regisseur, der vor drei Jahren dank seiner Befindlichkeitsstudie "Frances Ha" mit Woody Allen verglichen wurde. Sein neuer Film "Gefühlt Mitte Zwanzig" läuft am Donnerstag in den Kinos an; viele Zuschauer werden den Film für eine Komödie halten. Für die Altersgruppe von Cornelia und Josh aber ist die Sache komplizierter.

Für sie ist das Werk erst mal ein Horrorfilm: Wie kein anderer Film hält er einer Generation den Spiegel hin, in dem sie graue Schläfen unter dem Käppi sehen und in ihren bereits leicht faltigen Augen den verdrießenden Wunsch, immer noch wie früher und doch auf der Höhe der Zeit, immer noch jung, aber dabei erwachsen zu sein. Bei all der Hin- und Hergerissenheit, der kräftezehrendsten seit der Pubertät, ist es von Bedeutung, die eigene Verzweiflung und Unsicherheit keinesfalls zu zeigen. Das ist der Anspruch: Alles kann, alles muss, und alles muss superduper gefunden werden, und man darf nie müde sein, damit ja niemand auf die Idee kommt, zu fragen: Wem machst du was vor?

Bei der besagten Altersgruppe muss man indes die Zeitverschiebungen zwischen New York und Hollywood und dem Rest der westlichen Welt - woanders kann man sich solche First World Problems eh nicht leisten - einberechnen: In Brooklyn wird man demnach erst mit Anfang 40 zum ersten Mal Eltern (oder eben nicht); und gespielt werden die Protagonisten von Naomi Watts, 46, und Ben Stiller, 49. Baumbach ist 45. Aber man kann sich und andere auch mit Mitte dreißig in dem Film wiederfinden, es geht weniger um einen Jahrgang als um eine lebensverändernde Phase, die ganz unterschiedlich eingeläutet werden kann: eine Heirat, die nächste Hosengröße, das erste Wohneigentum, das Gewahrwerden seiner Bandscheiben, der Tod eines Elternteils, eine Beförderung, eine Scheidung, oder eben ein Baby.

Der Übergang in die nächste Stufe, durch welches Ereignis er auch motiviert sein mag, ist kein Flutschen, sondern ein sirupzähes Mäandern: Will man sich zu viel vom früheren Ich (oder vom früheren Wir) bewahren, wird die Sache albern und anstrengend; passt man sich zu sehr der neuen Altersstufe an, muss man um Hipness, Lebensenergie und Ideale fürchten.

Um beim Baby zu bleiben: Viele junge Eltern wollen nicht akzeptieren, dass ein neues Leben auch einen neuen Lifestyle bedingt. Für sie bedeutet die neue Rolle als Eltern: Druck. Hier muss noch auf eine Party gegangen werden, dort zum Poetry-Slam und zum Schwitz-Yoga. Nicht nur muss die eigene Jugend fortgeführt werden, es muss die Jugend der Jüngeren adaptiert werden. Das ist harte, harte Arbeit.

So wird der Wunsch, von der Jugend akzeptiert zu werden, schnell zur Panik, zum alten Eisen zu gehören, und biedere Begriffe wie "zum alten Eisen gehören" oder "frisch gebacken" oder "superduper" zu gebrauchen. Früher mag der Satz "Ich fühle mich so alt" bedeutet haben, dass das Knie schmerzt; heute bedeutet er: "Ich bin sehr traurig, weil ich von der neuen Nummer eins der FM4-Jahrescharts zuvor nie gehört habe und ich sie nun beim besten Willen nicht leiden kann." Es ist, als würde man auf einem dieser Laufbänder, wie man sie an Flughäfen findet, zurücklaufen wollen, aber das Laufband ist unerbittlich schnell. Das Ziel ist unerreichbar, die Gefahr, sich zum Affen zu machen, groß.

Anderen Leuten nimmt ein Baby ebendiesen Druck. Konservative Gedanken, die schon lange in ihnen schlummerten, dürfen jetzt mit dem Argument, man sorge sich doch nur ums Kind, endlich raus an die frische Pupsluft. Und weil man damit oft genug in der Mehrheit ist - Krippenkindereltern, Spielplatzsitzer oder eben geburtsterminlich synchronisierte Freundeskreise -, heißt das ehedem Spießige nun Verantwortungsbewusstsein.

Von seinen eigenen Eltern grenzt man sich nicht mehr ab, sondern nähert sich ihnen an, weltanschaulich, aber oft genug auch mit Wohnsitz. Wegen des enkelfreundlichen Gartens, also wegen der kostenlosen Babysitter. Der Soundtrack ihres neuen Lebens ist eine alte CD. Das Kind berechtigt seine Eltern zur erlösenden Selbstsuboptimierung. Die Themen Sinnsuche, Ästhetik, Sex, Selbstreflexion, Neugier, Zeitgeist, Beziehungspflege, Abendgestaltung und Selbstverwirklichung können sie erleichtert auf den Stapel "zur Wiedervorlage" werfen. Wiedervorgelegt wird indes nie mehr (jedenfalls nicht bis zur echten Midlife-Crisis, und dann jemand anderem).

Das Einzige, was alle Eltern eint: die Erwartung, dass Außenstehende beim Anblick des Kindes verzückt-neidisch zusammenbrechen, aus der Hosentasche einen Fair-Trade-Luftballon ziehen und daraus eine Raupe Nimmersatt basteln. Sagt das beschenkte Menschlein dann noch auf Elternbefehl "Danke", sollte der Außenstehende mit den Tränen kämpfen. Wer das nicht kann, gilt fix als, und das ist in diesem Alter das fieseste Urteil: verbittert.

Bei Baumbachs Film muss man sich zwischen zwei Lagern entscheiden, und man kann dabei nur verlieren: Die einen, die erbärmlich Jugendgierigen, kaufen sich neue Hüte, nehmen Drogen und zappeln in Hip-Hop-Kursen mit neuen, zwanzigjährigen Freunden. Die anderen sitzen in lächerlichen Babytanz-Gruppen und sprechen den (heimlich beneideten) Kinderlosen paternalistisch jedes Verständnis vom Leben und von der Liebe ab.

Zwei Lager, die nur schwer miteinander können: die Eltern und die Kinderlosen

Selbst wenn man sich mit beiden Lagern identifizieren kann, gehört man qua Geburt doch nur zu einem. Der oft unvermeidliche Konflikt zwischen den Parteien wird subtil, ja wortlos ausgetragen. Die Kinderlosen denken: Kriegt euch wieder ein! Und die Eltern denken bemitleidend zurück: Kriegt endlich Kinder (oder könnt ihr etwa nicht?). Zur Sicherheit bleibt man unter sich, viele Wege trennen sich in dieser Zeit. So ist "Gefühlt Mitte Zwanzig" auch ein Kriegsfilm.

Es hätte auch ein Ensemblefilm werden können, aber Baumbach präsentiert keine Patchwork-Familien. Es hätte auch ein Psychothriller werden können, aber der Regisseur verzichtet auf Singles (In dem Alter! Höchstverdächtig. Da stimmt doch was nicht). Am Ende aber ist "Gefühlt Mitte Zwanzig" doch ein Liebesfilm. Weil irgendwann alle vereint sind in der Kapitulation vor den eigenen und den fremden Ansprüchen; wenn sie zugeben und zulassen, sehr wohl verzweifelt und unsicher zu sein.

Als Zuschauer, der zu dieser Altersgruppe gehört, ist man am Ende versöhnt mit diesem Alter. Nicht, weil alle Probleme der Protagonisten gelöst werden; sondern weil man diese orientierungslosen, narzisstischen zwanzigjährigen Hipster im Film irgendwann so öde findet, dass jede Sehnsucht nach ihrer Freiheit, ihrem Stil, ihrem Leben verflogen ist.

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