Neues Gesicht Indiens:Die Schöne und die Biester

Bollywood-Schauspielerin Shilpa Shetty startet von London aus eine Musical-Karriere - in England gilt sie als das neue Gesicht Indiens.

Wolfgang Koydl

Schönheit, das wusste schon Shakespeare, liegt im Auge des Betrachters, was nichts anderes heißt, als dass man über Geschmack nicht streitet. Des einen Hexe ist des anderen Beauty Queen, mein Adonis ist dein Waldschrat - das Prinzip ist so alt wie die Menschheit, und es gilt für Menschen ebenso wie für Musik, für Leibgerichte wie für Literatur.

Aber dann gibt es noch Shilpa Shetty, und sie setzt das Prinzip außer Kraft.

Denn die junge Frau, die steif wie eine Porzellanpuppe neben ihrer Mama auf dem Damast-Sofa sitzt, ist schlicht und einfach schön, und da ist es völlig egal, wer der Betrachter ist, und mit welchen Augen er sie sieht. Die einzige Ausnahme wäre vielleicht ein Alien aus einer anderen Galaxie, wo radikal andere Schönheitsparameter gelten. Sterblichen vom Planeten Erde hingegen erstirbt beim Anblick der 32-jährigen Inderin mit den ebenmäßigen Gesichtszügen, den leuchtenden Augen und der schlanken, 178 Zentimeter hohen Figur jede Krittelei im Halse. Es würde ja auch niemand eine Marmorstatue von Phidias oder einen Sonnenaufgang in den Bergen hässlich nennen.

Shetty sieht nicht nur gut aus, sie ist obendrein klug. Ihren Shakespeare kennt sie besser als mancher Brite, und außer Englisch spricht sie noch neun andere Sprachen. Denn sie ist auf Spitzeninternate und Colleges in Indien gegangen, an denen man häufig eine profundere Ausbildung erhält als im ehemaligen britischen Mutterland. Nur gespielt hat Shilpa Shetty Shakespeare noch nie, was vermutlich weniger an ihr liegt als daran, dass "Hamlet", "Lear" oder "Macbeth" ganz ohne Tanzeinlagen auskommen.

Aber Musik und Tanz sind es, wovon die Produktionen aus der indischen Filmfabrik Bollywood leben, und Shilpa Shetty ist nun mal ein Bollywood-Star - vielleicht nicht der größte, aber sicherlich einer der populärsten. Mit 18 stand sie zum ersten Mal vor der Filmkamera, seitdem hat sie mehr als 50 Filme gedreht, hinzu kamen TV-Auftritte und eine Model-Karriere. In jedem Dorf in Indien kennt man ihren Namen, ihr Gesicht lächelt von unzähligen Postern herab.

Skandal bei Big Brother

Was sie von anderen Bollywood-Größen unterscheidet, ist, dass ihr Name auch außerhalb ihrer Heimat ein Begriff geworden ist. ,,Es scheint da eine eiserne Regel zu geben'', sagt sie schüchtern, "bislang hat noch kein Inder jemals den Durchbruch auf dem internationalen Markt geschafft." Nun, für sie scheint diese Regel nicht zu gelten. In Großbritannien beschränkt sich ihre Popularität nicht mehr nur auf die große indische Gemeinde, sie ist bereits als Bond-Girl im Gespräch. Spätestens seit der Kuss-Affäre mit Richard Gere ist sie einem internationalen Publikum bekannt - bei einer Pressekonferenz in Indien hatte Gere die junge Kollegin auf die Wange geküsst und war wegen dieser ,,obszönen Handlung'' von Hindus angefeindet worden. Die steigende Beliebtheit von Bollywood-Filmen in Deutschland ist der Grund, dass Shetty nun auch in einem deutschen Theater auftritt: Ende September hat das Musical "Miss Bollywood" in Berlin Premiere.

"Die Deutschen lieben indische Musik und indischen Tanz", sagt sie, und ein wenig klingt es, als ob sie sich über diese Entwicklung wundern würde. Shetty gastiert in sieben deutschen Städten zwischen Hamburg und München, danach in Manchester und London. Ein Musical im eigentlichen Sinn ist die Show übrigens nicht. Eher ungewöhnlich für ein Musical kommt sie ganz ohne Gesangseinlagen aus. "Ich habe noch nie im Leben gesungen", sagt sie lachend. "In unseren Filmen werden wir von Sängern synchronisiert. Überhaupt möchte ich den sehen, der acht Minuten voll tanzt und dabei noch die Puste zum Singen hat!"

Im Mittelpunkt von "Miss Bollywood" steht Tanz; die Hauptfigur ist eine klassische indische Tänzerin, die im Londoner East End eine Tanzschule aufbauen will. Dabei gerät sie - die Handlung spielt kurz vor den Olympischen Spielen 2012 - in einen Strudel aus Intrigen, Bauspekulationen und Eifersüchteleien. "Wir tanzen Tänze aus Indien und aus der ganzen Welt", erklärt Shetty, "aber ein Ballett ist es nicht, weil wir auch Dialoge sprechen. Ich nenne es deshalb ein 'Dancical'".

Dass Shetty in Europa Erfolg hat, verdankt sie einigen der schwärzesten Stunden ihres Lebens. Denn der Durchbruch kam, als sie in Großbritannien eine Celebrity-Staffel der Reality Show "Big Brother" gewann. Vorangegangen war ein wochenlang breitgetretener Skandal, als Mitbewohner im Big-Brother-Haus die Inderin kübelweise mit rassistischem Unrat übergossen. Der Dramaturgie tat es keinen Abbruch, dass die Wortführerin der Schmähkampagne - ein Schandmaul namens Jade Goody - ein geradezu perfekt hässliches und vulgäres Gegenstück zur liebreizend scheuen Shilpa war: die Schöne und das Biest im TV-Format.

Die Schöne und die Biester

Perfekte Botschafterin Indiens

Shetty gibt unumwunden zu, dass die Erfahrung bei "Big Brother" der "Katalysator" war, der ihren Ruhm in Britannien begründete. "Ich bereue keine Sekunde, die ich in diesem Haus war", betont sie. Anfangs sei sie freilich schockiert gewesen. Denn die behütete Tochter, die noch immer bei ihren Eltern wohnt, fand das Zusammenleben mit dem üblichen BB-Sortiment an Sozialkrüppeln, Freaks und Psychopathen gewöhnungsbedürftig. "Aber ,Big Brother"hat zugleich eine Pandora-Büchse geöffnet, aus der der ganze versteckte alltägliche Rassismus gegen Inder in Großbritannien ans Licht drang'', stellt Shetty fest. Dies wiederum habe einen lehrreichen Effekt für die ganze Gesellschaft gehabt. Zudem hätten die Briten ein völlig neues Indien-Bild bekommen: "Oh, sie spricht ja fließend Englisch, sie sieht sexy aus, und sie kann intelligent reden", parodiert die Schauspielerin die Zuschauerkommentare.

Nach Big Brother konnte sie sich vor Einladungen und Angeboten kaum retten. Sie besuchte das Unterhaus, Ex-Premierminister Tony Blair umschmeichelte sie, und sogar die Queen bat zur Garden Party. Eine beliebte TV-Serie offerierte eine Titelrolle, der Sender Sky verfertigte eine schwärmerische Dokumentation über sie, und das Promiblatt OK Magazine hob sie auf den Titel. Missgünstig raunten Neider, dass Shetty schamlos "die Rassistenwelle" reite.

Tatsächlich gründet Shettys Popularität eher auf der Tatsache, dass sich generell die Vorstellung ändert, die Europäer bisher von Indien hatten. Nicht mehr Armut und Elend, Fakire, Schuldknechtschaft oder Schlangenbeschwörer prägen das Bild, sondern Top-Technologie, Innovation und Wirtschaftskraft.

Dachte man einst an Mutter Teresa oder Indira Gandhi, so fällt vielen heute eben Shilpa Shetty ein. "Ich glaube, es stimmt, wenn die Leute sagen, dass ich das Gesicht des neuen Indiens bin", sagt Shetty durchaus selbstbewusst.

Das sieht auch Roona Patel so. Sie stammt aus Indien und betreibt zusammen mit ihrem Mann am Kingston Hill einen Zeitungsladen. "Ich war so stolz auf sie", erinnert sie sich an die Big-Brother-Affäre, "so stolz, dass sie trotz der widerwärtigen Angriffe ihre Würde und ihre Ruhe nicht verloren hat. Sie ist eine perfekte Botschafterin Indiens." Nur ihr Mann kann sich einen missmutigen Seitenhieb nicht verkneifen: "Ich möchte mal wissen, ob die morgens nach dem Aufstehen auch so hübsch aussieht."

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