Nanotechnologie:Inflation der Partikel

Von Putzlappen bis Kinderspielzeug: Viele Produkte enthalten Silber-Nanoteilchen. Das klingt fürstlich - doch Umweltschützer warnen vor Gesundheits- und Umweltrisiken.

Wiebke Rögener

Silber wirkt gegen Krankheitskeime, das wird seit Jahrhunderten überliefert. Fürsten speisten von silbernem Geschirr, die Untertanen warfen Silbermünzen in die Milch, damit sie länger hält. Heute paaren sich die mittelalterlichen Weisheiten mit dem Modethema Nanotechnik.

Nanopartikel; dpa

Im Labor: Kleine Fläschchen mit gelösten Gold- und Silber-Nanopartikeln. Wer mag, kann inzwischen zahlreiche Produkte mit Nanosilber kaufen.

(Foto: Foto: dpa)

Zurzeit werden unzählbar viele Gebrauchsgegenstände mit Silbernanoteilchen versehen - mit Partikeln also, die nur einige Millionstel Millimeter groß sind. In dieser Form soll Silber noch wirksamer gegen böse Erreger sein. Doch das könnte der Gesundheit und der Umwelt auch abträglich sein. So zumindest sieht es ein Bericht des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND), der am Mittwoch in Berlin vorgestellt wurde.

Wer mag, kann inzwischen seinen halben Hausstand versilbern: Socken mit Nanosilber werden gegen Stinkefüße angepriesen, Handys und Computertasten sollen dank der Silberpartikel ebenso keimfrei bleiben wie Holzspielzeug, das mit silberhaltiger Farbe lackiert ist. Silberteilchen finden sich in Wurstpelle, Tapeten, Putzlappen, Frischhaltefolie und Kosmetika sowie im einem Weichspüler namens "Nano-Kuschel".

Silberbeschichtete Türklinken oder Wasserhähne sollen Infektionen verhindern. Von derzeit rund 800 verbrauchernahen Nano-Produkten werden nach Angaben des BUND etwa 30 Prozent damit beworben, dass sie Nanosilber enthalten. Die jährliche Zahl der Patentanmeldungen beim Europäischen Patentamt für "Silber-Biozide" hat sich seit 1990 etwa verzehnfacht.

Tatsächlich greifen Silberionen Mikroorganismen an. Sie verbinden sich mit schwefelhaltigen Eiweißen, beispielsweise Enzymen, und schädigen das Erbgut. Außerdem lagern sich die Nanopartikel in Bakterienwände ein. Anders als normale Antibiotika wirken sie auch gegen Viren, beispielsweise gegen den Hepatitis-B-Erreger. Der entscheidende Unterschied zwischen herkömmlichem Silber und Nanosilber: Die winzigen Partikel bieten viel mehr Oberfläche und geben daher mehr Ionen ab. Eine weitere Besonderheit des Nanosilbers ist seine Mobilität. Es kann von Verpackungen in Lebensmittel eindringen, Zellwände queren, sich in der Umwelt ausbreiten und in der Nahrungskette anreichern.

Verkrüppelte Fischembryonen

Was es dabei anrichtet, ist bisher kaum erforscht. Zwar weiß man, dass Nanosilber in Laborexperimenten Fischembryonen verkrüppeln lässt und Wasserflöhe an der Fortpflanzung hindert. Ratten, die Nanosilber einatmen, reichern es in Leber, Nieren und Lunge an; in der Lunge entwickeln sich chronische Entzündungen, berichteten koreanische Forscher kürzlich (Toxicological Sciences, Bd.108, S.452, 2009).

Inwieweit solche Laborergebnisse auf natürliche Bedingungen übertragbar sind, ist jedoch ungeklärt. "Ob Oberflächen mit fest gebundenem Nanosilber, beispielsweise Computertastaturen, gesundheitsschädlich sind, lässt sich mangels Studien nicht mit Sicherheit sagen", erklärt der BUND-Chemikalienexperte Heribert Wefers. "Auf jeden Fall abraten würde ich aber von Sprays mit Nanosilber, wie sie als Deos oder als 'Pflanzenstärkungsmittel' im Handel sind. Solche Nanopartikel werden über die Lunge aufgenommen und sind mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Gesundheitsrisiko."

Unsinniges Bedürfnis nach Keimfreiheit

Möglich sind auch indirekte Nachteile: Der sorglose Gebrauch von Nanosilber im Alltag könne dazu führen, dass Krankheitserreger resistent werden, warnt der BUND-Bericht. Silber wirkt gegen Mikroorganismen, bei denen andere Antibiotika versagen. Es wird beispielsweise verwendet, um Knie-Implantate und Katheter zu beschichten, sowie in Salben und Verbandsmaterial, insbesondere bei der Versorgung von Brandwunden. Doch wurden bereits silberresistente Keime gefunden, sowohl in Krankenhäusern als auch in silberhaltigen Industrieabwässern. "Hier könnten wir uns ein erhebliches medizinisches Problem einhandeln, um ein völlig unsinniges Bedürfnis nach Keimfreiheit im Alltag zu befriedigen", warnt Wefers.

Ohnehin ist zweifelhaft, wie wirksam Silberprodukte im Haushalt sind. Vor einigen Jahren hatte das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) in Berlin festgestellt: Kühlschränke, die innen mit Silber beschichtet sind, bieten keinen zusätzlichen Schutz vor Keimen. Wo regelmäßig geputzt wird, sind desinfizierende Beschichtungen überflüssig. Textilien verlieren zudem ihre Nanosilber-Verstärkung beim Waschen. Schon bei der ersten Wäsche landet mehr als ein Drittel des Edelmetalls mancher Silbersocken in der Waschlauge. Das zeigte eine Studie der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt im schweizerischen St. Gallen.

Giftiges Düngemittel

Nanosilber im Abwasser ist dabei nicht nur für den Kampf gegen Schweißfüße verloren, sondern auch eine Umweltgefahr. Es müsse untersucht werden, ob Silber in Kläranlagen die Mikroorganismen beeinträchtigt, die dort den Schmutz abbauen, forderte das Umweltbundesamt (UBA) im Oktober. Eine Studie der Fraunhofer-Institute in Karlsruhe und Schmallenberg, die das UBA in Auftrag gab, schätzte dieses Risiko zwar eher gering ein. Doch verweisen die Autoren auf ein anderes Problem: Wenn der Klärschlamm auf Felder ausgebracht wird, vergiftet das darin enthaltene Silber möglicherweise Pflanzen und Bodenorganismen.

Mehr Forschung sei nötig, um herauszufinden, welche Folgen Nanosilber für Umwelt und Gesundheit hat, fordert der BUND. Bisher werden nur 3,6 Prozent der Mittel, mit denen das Bundesforschungsministerium (BMBF) die Nanotechnologie fördert, für Risiko-Studien ausgegeben (Abschlussbericht der Nanokommission der Bundesregierung 2008). Damit erforschte beispielsweise das vom BMBF unterstützte Konsortium aus Universitäten und Unternehmen "NanoCare" von 2006 bis 2009 gesundheitliche Aspekte.

Der in diesem Sommer publizierte Abschlussbericht von NanoCare, erwähnt Nanosilber - das im Alltag wohl am weitesten verbreitete Nanomaterial - jedoch nicht. Das BfR, das UBA und die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin formulierten vor zwei Jahren eine umfassende Forschungsstrategie zu Gesundheits- und Umweltrisiken von Nanomaterialien.

Niemand zuständig

Etliche in dem Papier genannte Vorhaben, etwa zur Wirkung von Nanopartikel aus Lebensmittelverpackungen, sollten 2009 abgeschlossen werden. Doch nach den Ergebnissen sucht man vergebens. Das UBA verweist auf NanoCare sowie auf laufende Projekte der OECD-Staaten, im BfR ist nach Auskunft eines Sprechers derzeit niemand für diesen Bereich zuständig.

Vorerst fordert der BUND ein Moratorium für die Verwendung von Nanosilber außerhalb der Medizin, bis die offenen Fragen geklärt sind. Zumindest müsse der Verbraucher die Wahl haben, ob er Produkte mit Nanoteilchen erwerben will oder nicht. Doch ist eine Kennzeichnung bisher nicht vorgeschrieben. Nur für Kosmetika hat der Europäische Rat in der vergangenen Woche beschlossen: Wo Nano drin ist, muss - von 2012 an - auch Nano draufstehen. Gegen den Willen der deutschen Vertreter übrigens: Es sei nicht auszuschließen, dass das Nano-Label als Warnung missverstanden werde, gab die deutsche Ratsdelegation zu Protokoll.

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