Nachruf Isabella Blow:Ohne Hut war sie verloren

Die Grande Dame der Mode ist tot. Isabella Blow brachte Designer wie Alexander McQueen groß raus. Doch nun endete ihr Leben abrupt. Das Protokoll einer letzten Audienz.

Marion von Boxberg

Sie habe eigentlich keine Zeit mehr, sagt Isabella Blow vor ein paar Monaten am Telefon, als es darum geht, den Termin unseres Treffens für ein Filmporträt zu vereinbaren. Ich messe dem ,,mehr'' am Ende des Telefonats zunächst keine große Bedeutung zu, denn am nächsten Tag schon korrigiert sie sich und schickt mir Wunschtermin samt Adresse. Man stellt sich auf eine strapaziöse Begegnung im feinen Londoner Viertel Belgravia ein. Margaret Thatcher hat hier gelebt, auch Vivien Leighs Haus steht in unmittelbarer Nachbarschaft.

Isabella Blow

Von Schönheitschirurgen hielt Isabella Blow nichts. Sie setzte einfach einen Hut auf.

(Foto: Foto: AP)

Eine Woche später öffnet ein junger, smarter Mann punkt acht Uhr die Türe, während ein älterer aus dem Haus huscht: Ehemann Detmar Blow hat es eilig, grüßt kurz. Isabella Blow schwebt im weißen Morgenrock mit sehr weit geöffneten Armen aus der Wohnung, umarmt mich herzlich und bittet uns in ihren eleganten rosaroten Salon. Sie ist blass, ihre Züge wirken müde. ,,Guten Morgen'', sagt Isabella liebevoll und jede Silbe langsam betonend. Sie spricht deutsch. ,,Nur ein kleines bisschen. Ich mag Ihr Land sehr.''

Die zierliche, kleine große Dame der britischen Modeszene, die Entdeckerin vieler Modeschöpfer und Models wie Alexander McQueen, Philip Treacy, Sophie Dahl oder Stella Tennant, spricht nun weiter Englisch. Freilich, sie liebe Deutschland, die Menschen seien entspannter als hier, und die Städte fände sie wunderbar. Nun müsse sie aber schnell ihre Haare frisieren, danach das Make-up auftragen lassen und sich anschließend umkleiden. Sie bittet um Verständnis für die Wartezeit von only a few minutes. Aus den wenigen Minuten wird am Ende eine volle Stunde, in der zwei Stylisten Isabella mit Kämmen, Lockenstäben, Puderquasten, Make-up und Farbe direkt vor unseren Augen in ein lebendiges Kunstwerk verwandeln.

,,Bauen Sie in der Zwischenzeit alles in Ruhe auf'', empfiehlt sie und setzt sich ein wenig nervös an den gläsernen Esstisch, auf dem mindestens acht Philip-Treacy-Hüte stilvoll dekoriert sind. ,,Dort auf dem Sessel liegt ein Katalog, darin sehen Sie ein Schloss, schauen Sie rein, einfach traumhaft, wir waren gestern dort zum Dinner'', ruft Isabella, während der Lockenstab ihr schwarzbraunes Haar formt. ,,Schauen Sie sich bitte auch die Fotos in diesem Katalog an. Eine Ausstellung. Dorthin gehe ich heute Abend mit meinem Mann. Die Gemälde sind umwerfend gut. Bryan Ferry wird vielleicht auch kommen. Ich stelle Sie einander vor.'' Ihre expressive Art, mich an ihren Interessen teilhaben lassen zu wollen, ist rührend, fast kindlich. Sie möchte, dass ich an diesem Abend und in den kommenden Tagen alle ihre Freunde kennenlerne. Unbedingt. Über den ganzen Salon sind kostbare, fragile Objekte verteilt. Darunter auch ein orangener und in der Mitte gespaltener Kunststoffhut - Isabellas berühmteste Kopfskulptur. Die jungen Männer sind mit ihrem Haar beschäftigt und bitten sie, sich nicht so hastig zu bewegen.

Jemand schrieb einmal, die Natur habe Isabella nicht sehr verwöhnt. Aber Isabella schlägt der ungerechten Natur auf ihre Weise einen Haken. Sie holt sich die Schönheit, die ihr extravaganter Lebensstil von ihr verlangt, bei erstklassigen Friseuren und Designern. ,,Viele Leute gehen heute zum Schönheitschirurgen, sie legen sich unters Messer, lassen die Augenpartie operieren, Narkose. Sie müssen sich zwei Tage erholen, zehn Tage dürfen sie niemanden sehen. Es ist Unsinn, so viel Geld auszugeben. Es ist so viel einfacher, einen Hut aufzusetzen.'' Damit sind Philip Treacys Hüte gemeint. ,,Sie schmeicheln, werfen ein wenig Schatten auf die Augen, lenken von ihnen ab. Ein Hut ersetzt den Schönheitschirurgen und ist darüber hinaus schmerzfrei. Wenn ich Hüte trage, ist keine einzige Falte mehr in meinem Gesicht zu sehen. Philip ist mein Schönheitschirurg.''

Auch Camilla Parker Bowles habe eine gute Entscheidung getroffen, als sie sich von Philip Treacy vor ihrer Hochzeit beraten ließ. Nur leider trage die Frau des Kronprinzen oft eine unvorteilhafte Frisur. Das solle sie ändern. Überhaupt mache sie sich große Sorgen um das Modebewusstsein der Briten und ihre extreme Vernachlässigung der Kleidung. Es sei fürchterlich. Sie selbst lege absoluten Wert auf eine gepflegte Erscheinung. Ohne Hut, ein elegantes Kleid oder Mantel ginge sie nie aus dem Haus. Isabella in Jeans? Unvorstellbar. Isabella ohne Hut? Ein Ding der Unmöglichkeit. Ihr Haar glänzt jetzt und liegt perfekt.

Isabella entdeckte Philip Treacy 1986 am Royal College of Art in London. Sie arbeitete damals als Kreativdirektorin bei einem internationalen Modemagazin und suchte einfach nur einen Hut für ihre zweite Hochzeit. ,,Philip war noch so jung, als ich ihn kennen lernte. Irgendwann landete ein Pappkarton mit einem grünen Hut bei mir in der Redaktion. Er schien einem Gemälde von Kees van Dongen entsprungen zu sein. ,Wer zum Teufel hat diesen Hut gemacht', dachte ich. Dann lief ich sofort ins Royal College of Art, die Tische dort waren übersät mit Hüten. Ein Mann hatte sie alle entworfen, das war Philip Treacy.''

Die Kollegen in der Redaktion seien entsetzt gewesen, als sie verkündete, ihren Hochzeitshut von einem Studenten anfertigen zu lassen, und warnten: ,,Oh Darling, Isabella, das kannst du nicht tun, das wird ein Desaster. Du brauchst einen erfahrenen Hutdesigner für diesen wundervollen Tag!'' Isabella strahlt, die glamouröse Vergangenheit ist mit einem Mal wieder ganz Gegenwart. Sie habe Philips außergewöhnliches Talent gleich erkannt und sich auf keine Diskussionen mit Kollegen eingelassen. Und der grüne Hut machte tatsächlich Furore. Seither trägt Isabella Blow ausschließlich Treacys Kopfschmuck. Sie nennt ihn den Bildhauer unter den Hutmachern und schwärmt von seiner präzisen und phantasievollen Arbeit.

Treacy sagt später, ohne Isabella wäre er nie so erfolgreich geworden. Sie habe mit ganzem Herzen an ihn geglaubt, von Anfang an, und wenn man jung und begabt sei, brauche man Menschen wie Izzie. Sie habe ihm damals sogar Räume in ihrem Haus zur Verfügung gestellt: ,,Die Liebe zu Hüten hat uns vereint. Sie hat mich inspiriert und gefördert.'' Talente zu pflegen ist ihr Begeisterung und Bedürfnis, Philip Treacy vertraut sie sofort. Fortan wird sie seine Muse. Unzählige Künstler und Modeschöpfer wären heute nicht das, was sie sind, hätte es Isabella nicht gegeben.

,,Wir sind gleich so weit'', sagt Isabella, während einer der beiden Männer vor ihr steht und das zarte Make-up auf ihren blassen Teint aufträgt. Wir werden zu staunenden Zeugen der Gestaltwerdung einer leibhaftigen Madonna der Mode. Die Szene ist betörend und verstörend zugleich, auch gespenstisch unwirklich. Warum steht auf dem Esstisch mit den wie in einer Ausstellung arrangierten Hüten ein Strauß verwelkter weißer Lilien, während auf dem Kaminsims rotweiße Rosen köstlich duften? Ob ich die frischen Rosen auf den Esstisch stellen und die weißen Lilien wegwerfen dürfe, frage ich Isabella, deren Wangen gerade hauchzart gepudert werden. Keine Antwort. Ihre Lippen leuchten jetzt tiefrot, sie sieht zehn Jahre jünger aus. Die Zeichen harter Arbeit und intensiven Lebensgenusses sind übertüncht. Still tausche ich die Blumen aus.

Ohne Hut war sie verloren

Isabellas Lebenslauf liest sich atemberaubend zielstrebig. 1978 geht sie mit knapp zwanzig Jahren nach New York, um an der Columbia University Chinesische Kunst zu studieren. Dann bricht sie ab und reist nach Texas, wo sie bei Guy Laroche arbeitet. 1981, zurück in New York, heiratet sie zum ersten Mal. Die Ehe wird schon nach zwei Jahren geschieden. In New York lernt sie auch Bryan Ferry kennen, der sie gleich Anna Wintour vorstellt, der Chefredakteurin der amerikanischen Vogue. Kurz darauf bekommt sie in Wintours Redaktion eine Assistenzstelle. Der Job bringt den Durchbruch, sie wird Teil der New Yorker High Society und zählt bald Künstler wie Andy Warhol und Roy Lichtenstein zu ihrem engsten Freundeskreis. 1986 kehrt Isabella nach London zurück, wo sie auch gleich eine Stelle in der Redaktion des Tatler bekommt. 1993 klopft die britische Vogue bei ihr an. Zwischen 1997 und 2001 ist sie Modechefin des Sunday Times Style Magazins. Danach geht sie als Fashion director zum Tatler zurück: ein atemloses Leben in hoher Geschwindigkeit.

Was Isabella Blow auch macht, Hüte stehen stets im Mittelpunkt. Diese Leidenschaft beginnt früh. ,,Mit sechs Jahren nahm ich den Hut meiner Mutter. Es war ein riesiger pinkfarbener Hut, eine neue Welt. Mein Gott, wie glücklich war ich, als ich den Hut aufsetzen durfte, so unvorstellbar glücklich'', erinnert sich die Achtundvierzigjährige ein wenig wehmütig. Behütet wächst Isabella Delves Broughton auf dem Land im Nordwesten Englands auf. Ihr Großvater Sir Henry Delves Broughton lässt ein elegantes Haus bauen, das die Familie nach seinem Selbstmord später an eine Mädchenschule vermietet. Der Vater kauft ein neues Haus, es ist, wie sollte es anders sein: pink.

Isabella erinnert sich gern an ihre Kindheit, in der sie sehr geliebt worden sei. Niemand, aber auch niemand, habe in den nachfolgenden Jahren an ihrem Selbstbewusstsein rütteln können. Das Gespür für Mode habe die Großmutter geweckt, die übrigens auch den größten Thunfisch Europas gefangen habe. Die Kindheit legt das Fundament für den Mut, mit dem Isabella 1975 nach dem Abitur direkt in die Welt hinauszieht: arbeiten, selbständig sein, aufregende Menschen kennenlernen und jenseits der Langeweile etwas bewirken, was nicht alltäglich ist. In Amerika fühlt sich Isabella zu Exzentrikern hingezogen. Exzentrisch wird ihr ganzes Leben, wobei sie die Realität und ihre eigenen Gefühle nie aus den Augen verliert. Sie wird keine kalte, unnahbare Frau. Manche Stars, die sie entdeckt, vergessen freilich, wie viel sie ihr zu verdanken haben.

Die inzwischen vollendet geschminkte Ikone der britischen Modewelt bittet uns noch um etwas Geduld, weil sie sich jetzt umkleiden müsse. Sie sagt das ganz beiläufig. Isabellas Exzentrik ist voller Lust, sie trägt sie selbstverständlich und graziös, wie ihr in Lindgrün und Rot schillerndes indisches Gewand, das bis zum Boden reicht. Darin rauscht sie lächelnd in den rosaroten Salon, zieht genüsslich an einer Zigarette, nippt kurz am Tee und fragt einen der Angestellten, ob er ihr den Hut, den sie in der Hand hält, aufsetzen könne. Der Hut, ein schwarzer, filigraner Reif aus biegsamen Material, bedeckt nun ihre Stirn. ,,Philip hat ein so feines Auge. Er nimmt die Federn, mit denen er seine Hüte schmückt, biegt sie, verdreht sie, kräuselt sie. Er formt sie auf eine höchst erotische Art und Weise. Er behandelt die Feder wie einen Körper. Er macht Sachen mit Federn, von denen ich niemals träumen würde.''

Am Flughafen oder an Grenzen habe sie keine Schwierigkeiten, wenn sie einen ihrer Hüte trägt. ,,Ich muss noch nicht einmal meinen Ausweis zeigen, gehe schnurstracks durch die Kontrolle. Mein Hut ist mein Pass. Er gibt Selbstvertrauen, Kraft und verleiht Würde. Er macht Menschen verführerisch und sorgt für gute Laune. Menschen lieben Hüte'', sagt Isabella und strahlt dabei. ,,In meinem Alter kann man mit Hut einen Mann viel leichter verführen als ohne. Ich brauche die Hüte, um zu verführen, sonst bin ich verloren'', fügt sie schmunzelnd hinzu.

Draußen fährt ein Unfallwagen vorbei. Wir unterbrechen das Interview, weil die Sirene den Ton stört. ,,Wir haben Berge, und wir haben den Himmel. Warum hat Gott die wohl gemacht?'', fragt Isabella, nachdem die Sirene verklungen ist. Sie antwortet selbst: ,,The rock is so hard, the sky is so soft, but they look great together - a sort of mutual penetration. That's what my life and my work is all about.'' Beim Abschied wird sie nervös, geradezu euphorisch, als fiele es ihr schwer, uns gehen zu lassen: ,,Kommt an den Tisch. Ich möchte euch noch ein paar Geschichten zu den Hüten erzählen, bevor ihr geht'', ruft sie. Isabella setzt nun einen Hut nach dem anderen auf; den, der so ausieht wie ein Oktopus, und den orangenen gespaltenen Kunststoffhut, und auch noch den großen blauen Stern. Sie infiziert uns mit ihrer Heiterkeit, holt ein Buch mit einem Nacktfoto von Sophie Dahl aus einer Schublade und zitiert Joe Cocker: Baby take your coat off real slow/take off your shoes/Baby take off your dress , yes, yes, yes/But you can leave your hat on.

Als Isabella sagte, sie habe nicht mehr viel Zeit, wusste sie mehr als wir. Sie hatte Krebs und starb am 7. Mai an den Folgen einer suizidalen Vergiftung.

Marion von Boxberg ist freie Filmautorin und Publizistin. Für das Kulturmagazin ,,Metropolis'' bei Arte drehte sie im Februar den Film ,,Isabella Blow und Philip Treacy''.

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