Multimediale Spiele für Kinder:Ausweitung der Spielzone

Nuremberg Toy Fair 2014

Ein Playmobil Karussell auf der Nürnberger Spielwarenmesse im Januar 2014.

(Foto: Getty Images)
  • Das Kinderzimmer ist heute ein elektronischer Multimedia-Zirkus. Vielen Eltern macht das Angst.
  • Wie und in welchem Umfang darf elektronisches und virtuelles Spielzeug ins Kinderzimmer? Experten antworten.

Von Martin Schneider

Ein Junge beim Spielen. Er nimmt einen Fisch in die Hand und setzt die Plastikfigur auf eine leuchtende Station. Plötzlich taucht der Fisch, der eben noch starr in der Hand des Jungen lag, auf dem Bildschirm auf und beginnt, in einer 3-D-Welt seine Gegner mit seiner Harpune zu bekämpfen. Es folgen schnelle Schnitte, Kamerafahrten, im Hintergrund läuft Rockmusik.

So sieht die Fernsehwerbung für "Skylanders" aus, ein Computerspiel, für das man jedoch echte Spielfiguren braucht. In den Figuren ist ein Chip eingebaut, und so erscheinen Fisch und Co. auf dem Monitor, wenn man sie auf den speziellen Port setzt. Jede Figur kostet zusätzlich zum Spiel drei bis 22 Euro.

Die Welt in Kinderzimmern ist e elektronisch und virtuell geworden. Früher drehte sich alles um die Frage: Was und wie lange darf das Kind fernsehen? Irgendwann kam dann die Frage hinzu, ob und, wenn ja, ab wann ein eigener Computer im Kinderzimmer stehen sollte. Heute gibt es Geräte in Kinderbesitz, die alles sind: Ein Smartphone ist Handy, Computer, Spielkonsole und Fernseher in einem.

Der Zeitgeist ist wohl nicht mehr aufzuhalten

Und so widmete sich die Nürnberger Spielwarenmesse im vergangenen Jahr erstmals dem Schwerpunkt elektronisches Spielzeug - zum Ärger der etablierten Spielzeugmacher. Wolfgang Schühle, Vorsitzender der Fachgruppe Holzspielzeug im Verband der Spielwarenindustrie, meinte damals, man müsse doch nicht jedem Zeitgeist hinterherlaufen.

Dieser Zeitgeist ist aber wohl nicht mehr aufzuhalten. Die Frage ist heute nicht mehr, ob elektronisches und virtuelles Spielzeug ins Kinderzimmer darf, sondern: wie und in welchem Umfang?

Im August hat die Universität Oxford in einer Studie herausgefunden: Kinder, die mehr als die Hälfte ihrer Freizeit mit Computerspielen verbringen, sind unzufriedener mit ihrem Leben, haben eher Schwierigkeiten mit Freunden, sind hyperaktiv und neigen zu emotionalen Problemen.

Die Studie fand aber auch heraus, dass Kinder, die sich nie mit Videospielen die Zeit vertrieben, in den genannten Kategorien noch schlechter abschneiden als Kinder, die ab und zu mal elektronisch spielen.

Markt für Videospiele und elektronisches Spielzeug boomt

Gerade der Markt für Videospiele und elektronisches Spielzeug boomt. Es gibt die alten Nintendo-Klassiker wie Super Mario oder Donkey Kong auf neuen Konsolen, aber auch klassische Spiele, die digital sogar besser funktionieren als in der realen Welt.

Man kann beispielsweise Walter, das Männchen im rot-weiß-gestreiften Pullover und mit Bommelmütze, in gedruckten Wimmelbilderbüchern suchen oder aber in digitalen Ausgaben. Dort verwandelt sich das Buch auch zum Spiel: Die Kinder können gegeneinander antreten und Walter suchen. Wer ihn als Erstes findet, hat gewonnen.

Elektronisches Spielzeug, das sind nicht mehr nur wie einst der lustig herumratternde Roboter oder Spielzeugautos mit Batterien. Es gibt echte Puzzles, die - nachdem alle Teile zusammengesetzt sind - mit Handy oder Tablet eingescannt werden. Dort erwachen sie als Videoanimation mit 3-D-Effekten zum Leben.

Zum Beispiel kann man sich im Paris-Puzzle die Stadt bei Nacht angucken. Oder das Dinosaurier-Puzzle wird auf dem Handy ein Dinosaurier-Quiz. Auch reale Spielzeugautos verknüpfen sich mit der digitalen Welt: Mit speziellen Wagen, die einen Sensor in sich tragen und so gebaut sind, dass der Bildschirm nicht verkratzt, fährt man über einen Tablet-PC.

Dort erscheint eine Rennstrecke, die es abzufahren gilt, während man Hindernissen ausweicht und Rennen fährt. Was man sich früher noch vorstellen musste, liefert heute der Rechner.

Darauf sollten Eltern achten

Die klassischen deutschen Spielehersteller Ravensburger, Playmobil oder Simba-Dickie machen mit den elektronischen Artikeln viel Geld. Ravensburger etwa erzielt eigenen Angaben zufolge ein Viertel seines Umsatzes mit sogenannten Hybridspielen, die analog und digital funktionieren.

Auch bei klassischen Brettspielen - etwa bei einem Quiz, das auf einem althergebrachten Spielfeld gespielt wird - kann man nun das Smartphone über dem Tisch montieren. Die Kamera registriert dann die Spielzüge, damit das Telefon Tipps zum Spielverlauf geben kann. So kann man sich das Lesen der Anleitung sparen.

Eines der erfolgreichsten Produkte ist übrigens ein Lernspiel, ein elektronischer Stift namens "Tiptoi", der Audiodateien mit Anweisungen oder Informationen abspielt, wenn man damit bestimmte Punkte in Büchern, Puzzles oder Spielbrettern antippt. So lernen Kinder etwa im Atlas, in welchem Land Elefanten leben oder bekommen auf Englisch die Anweisung, den Bus im Bilderbuch zu suchen und mit dem Elektro-Stift zu berühren.

Pädagoge Gurt zufolge sollte man Kinder mit dem Medium nicht allein lassen

Für Eltern ist es nicht ganz einfach, sich in diesem Genre mit seinen ständigen Neuerungen zurechtzufinden. Das JFF-Institut für Medienpädagogik in München beschäftigt sich mit Jugend, Film und Fernsehen. Dort forscht Michael Gurt zum Thema Kinder und Computerspiele. "Es gibt natürlich ein paar grundlegende Sachen, auf die man achten sollte, wie keine überzogene Darstellung von Gewalt oder eine altersgerechte Bedienung", sagt der Pädagoge.

Dazu hat das Bundesgesundheitsministerium einen Leitfaden entwickelt, in dem aufgeschlüsselt wird, wie viel Medienkonsum für jede Altersstufe sinnvoll ist. Bei Elf- bis 13-jährigen steht da zum Beispiel: "Maximal 60 Minuten intensives Fernsehen oder vor dem Computer sitzen sind als täglicher Richtwert angemessen."

Gurt hält solche Vorgaben nicht für besonders hilfreich. "Klar kann man sich daran orientieren, aber man darf die Kinder auf keinen Fall mit dem Medium allein lassen." So wie man ihnen beibringt, Fahrrad zu fahren, müsse man ihnen heute den Umgang mit neuem Spielzeug erklären.

Der Buchautor Thomas Feibel beschäftigt sich ebenfalls mit Kindern und Medien und gibt jedes Jahr einen Preis namens "Tommi" heraus, bei dem eine Erwachsenen-Jury kindgerechte Computer- und Konsolenspiele, Apps und elektronisches Spielzeug vorschlägt und eine Kinderjury anschließend den Sieger bestimmt.

Feibel mag elektronische Spiele, aber wenn man sich länger mit ihm unterhält, bemerkt man auch seine Skepsis. "Vor allem Smartphones haben bei Spielen vieles verändert", sagt er.

Gefahren bei Smartphone-Apps

Ein Smartphone sei ein besonderes Gerät, weil Spiele darauf nicht mehr nach klassischen Regeln funktionieren würden. Durch In-App-Käufe kann man etwa in einem eigentlich kostenlosen Spiel Zusatzleistungen kaufen. Ein Beispiel: "Clash of Clans" ist eines der beliebtesten Spiele für Smartphones, gerade bei Kindern. Es geht im Prinzip darum, mit seinen Kriegern gegen andere Krieger zu gewinnen. Dazu benötigt man Ressourcen.

Die wertvollste Ressource sind Juwelen, und wer keine Lust hat, sie im Spiel selbst zu erwirtschaften, kann sie für knapp 90 Euro zu dem sonst kostenfreien Spiel hinzukaufen. Im Eifer der Schlacht drückt ein Zehnjähriger möglicherweise auf diesen Knopf und bezahlt mit der im App-Store hinterlegten Kreditkarte der Eltern.

Eine Altersempfehlung von der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) gibt es nicht, die beiden größten App-Verkäufer Apple und Google empfehlen das Spiel von neun (Apple) beziehungsweise 13 Jahren an. Ob sich jemand daran hält, wird nicht überprüft.

Relevant wird das Alter allerdings, wenn ein In-App-Kauf getätigt wird. Denn Kinder unter sieben Jahren sind gar nicht und Kinder unter 18 Jahren beschränkt geschäftsfähig. Man kann den Kauf also gerichtlich anfechten - theoretisch hat man auch gute Chancen, allerdings kommt es immer auf den Einzelfall an.

In den USA musste Apple etwa Anfang des Jahres bei einer Sammelklage geschädigten Eltern insgesamt 32,5 Millionen Dollar zurückzahlen. Unabhängig davon kann man auf dem Smartphone mittlerweile In-App-Käufe in den Einstellungen verhindern oder per Passwort schützen.

"Spiel mich, spiel mich, spiel mich"

"Außerdem", sagt Feibel, "senden diese Spiele Push-Nachrichten." Das sind Mitteilungen, die automatisch auf dem Handy erscheinen, wenn etwas in dem Spiel passiert. "Clash of Clans" etwa pausiert nie, die virtuelle Welt läuft auch dann weiter, wenn man die Anwendung schließt. Wenn in der virtuellen Welt etwas geschieht, meldet sich das Spiel per Nachricht.

"Man muss sich das mal vorstellen, das ist, als würde ein Buch nachts schreien: Lies mich, lies mich, lies mich", erklärt der Experte. Wenn Eltern sich bei ihm über zu viel Elektronik in Kinderzimmer beschweren, rät Feibel zu einem jederzeit einsetzbaren Hilfsmittel, nämlich selbst mit dem Nachwuchs zu spielen. "Die Geräte haben immer Zeit."

Auch in Deutschland wird übrigens in einer Studie der Umgang von Kindern mit Computern untersucht. Sie erscheint alle zwei Jahre und heißt "KIM" (Kinder, Internet, Medien). Auf 84 Seiten kann man da nachlesen, dass knapp die Hälfte aller Kinder unter zwölf Jahren ein eigenes Handy oder Smartphone besitzen, dass Jungs sehr viele lieber Computerspiele spielen als Mädchen und dass sie sich geschlechterübergreifend mehr für Computer-, Online- und Konsolenspiele (69 Prozent aller Befragten) interessieren als für Sport (67 Prozent).

Allerdings steht da auch, dass weder Sport noch Computerspiele eine Chance gegen das haben, was Kinder offenbar am meisten interessiert: Der Punkt "Freunde/ Freundschaft" liegt mit 95 Prozent weit vorn.

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