Möbelmesse Köln:Der zahnlose Tiger

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Auf der Kölner Möbelmesse und den Passagen ist Neues kaum zu finden. Die Designer üben sich lieber in grünen Updates und richten sich zwischen Umweltbewusstsein und Naturliebe ein.

Catrin Lorch

Ein Halbfertig-Konstrukt, drei vier Rahmen aus Vierkanthölzern und hell verzinkten Verbindungs-Elementen. Mit Maschendraht gepolstert treten sie als Multi-Chaiselongue auf, ein Sitzmöbel für den Stadtraum. Nach all den Kilometern von Sitzlandschaften, die man als Besucher der IMM-Möbelmesse und der flankierenden Showrooms in Köln entlangflanierte, stellt man sich gerne eine Familie vor, die allabendlich die verschieden hohen Ebenen des überraschend bequemen Podestes erklimmt. Vielleicht brechen nach dem verschränkten Herumlümmeln auch andere starre Sitzordnungen ein, am Esstisch, oder im Auto?

Zeig dein Leben: ein Setzkasten für Souvenirs auf der IMM Cologne . (Foto: dpa-tmn)

Die Entwerfer-Gruppe Herrwolke stellt auch noch das Kindermöbel Wabloo vor, das entfernt an Buckminster Fullers Wohnwaben erinnert und dabei auch noch praktisch und billig ist, weil es nach Bedarf aus achteckigen, stabilen Kartons zusammengesteckt und mit Nylonschnüren fixiert wird. Es funktioniert als Riesenkugel, Iglu, Turngerät, Hocker, Vorratskiste oder Paravent und ist eine der Trouvaillen des Rundgangs "Passagen", auf denen zum 22. Mal die junge Szene ausstellt; 190 Teilnehmer, eine dezentrale Ausstellung jenseits der Messehallen, in denen die IMM, die internationale Möbelmesse, ihr Publikum versammelt und wo man sich neben einer Präsentation der Design-Schulen nur noch eine halbe Etage für junge Entwerfer leistet.

Schwerpunkt der Passagen ist das Ehrenfeld, das sich als Design-Viertel etablieren soll und wo in Gebäuden wie dem türkisweißgold verkachelten Barthonia-Forum auch Platz ist für die "Designer Fair 2011", die vom stapelbaren Regal bis zum Tischtablett mit Hundenäpfen einiges versammelt, was vielleicht so neu nicht ist, aber zumindest anders aussieht. Daneben hängt immerhin ein überall zu befestigendes, doppelt getrepptes Blumentopfgestell: Noch zwei Schritte mehr und man hätte eine echte Invention, ein paar Quadratmeter Fenstergarten für städtische Selbstversorger. Aber man bleibt beim Repertoire - Bett, Tisch, Stuhl, gemütliches Drumherum -, macht es nur hübscher, umweltfreundlicher, handlicher. Wie der Niederländer Klaas Kuiken, der für seine "Bottles" kleine grüne Bierfläschchen noch einmal erhitzt und zu blasigen Vasen aufpustet. Fernanda Piza musste für ihre "Lebendige Wand" Altglas zermahlen und in Beton versenken; vornehm gestromt wie Naturstein flammen die schimmernden Einschlüsse in den Platten spektakulär auf, wenn man sie rückseitig beleuchtet.

Doch in Zeiten von Smartphone und Kindle, in denen vielleicht tatsächlich die Nachfrage nach Hardware wie Bücherregalen sinken wird, triumphiert, wo es ums Wohnen geht, derzeit noch die Gegenwelt, eine grüne Zone zwischen Umweltbewusstsein und Naturliebe. Für die entwerfen die einen immer leichtere, hellere Möbel deren konstruktive Matrix von Veteranen wie Rietveld stammt: Regale, Tische, Möbel, alles klemmt und klebt zwischen Latten und Leisten und wäre der Ulmer Hocker (stapelbar, selbst herstellbar, transportabel, umfunktionierbar) nicht schon erfunden - hier würde er vermutlich stehen. Massiver sind die Naturfreunde, die ein paar Meter umgehauenen Wald in ihre Hütte schleppen wie eine Trophäe. Kultivierteste Ausformung dieses Trends sind die Briccole, Eichenpfähle, die in der Lagune von Venedig ausrangiert wurden. Die Firma Riva verbaut sie zu Tischplatten und Bänken und hat 29 weltbekannte Designer um Entwürfe gebeten. Die Resultate zeigt das Museum für Angewandte Kunst - ikonisch ist der Entwurf von Philippe Starck, der einen Set perfekt quadratischer Frühstücksbrettchen ablieferte.

Es sind die um Eleganz bemühten Entwürfe, die in Köln in Erinnerung bleiben. Dazu passt es, dass mit dem japanischen Designer Tokujin Yoshioka ein blütenheller, minimalistischer Japaner mit dem Design Award "A&W-Designer des Jahres 2011" ausgezeichnet wurde. Seine Präsentation im Kölnischen Kunstverein reiht Plexiglas-Entwürfe im Gegenüber mit Sitzmöbeln, die mit cremefarbenem Fetzenfell oder Plastikflechtmuster verkleidet sind. Ein Gegenbild zu "Back Room" von Designer Meiré und Meiré, der Eames-Klassiker und die ganze Palette der verchromten, lederbezogenen Sitzmöbel mit Handschellen behängt auf ihre Tauglichkeit als Fetisch austestet.

Das Café Hallmackenreuther musste sich dagegen von seinen Eames-Sitzschalen trennen, dort werkelt das Team des in Berlin lebenden Kanadiers Jerszy Seymour. Sein Design Workshop zimmert an Ort und Stelle Möbel aus Vierkanthölzern und grauem Kitt zusammen - und zwar kurz bevor sie benützt werden. Es kann einem also passieren, dass man darauf hingewiesen wird, sich bitte nicht aufzustützen, weil der Kleber des Gestells noch feucht ist. Meta-Möbel, die jeden Anspruch auf Uniformität oder Liefertermine konterkarieren.

Wirklich neue Produkte sind schwerer zu finden - auf der Young Designer's Competition der IMM sind wirkliche Erfindungen wie "Lamped", ein Modul aus OLED-Lichtquellen, die Ausnahme. Die Architektin Irena Kilibarda aus Belgrad, neben der sich diese Stehlampe wie eine aus weißen iPhones zusammengesteckte Königskobra aufbäumt, entwickelt ihre Lichtkacheln in Zusammenarbeit mit dem Dresdener Fraunhofer-Institut als energieeffiziente, nachhaltige Technik. Doch kann es sein, dass es mehr Existenzgründungsdarlehen als Erfindungen gibt? Außerdem klingen die Erfolgsgeschichten der Kreativwirtschaft - von der guten Idee bis zur Marktreife - zuweilen fatal nach Moritat: Im vergangenen Jahr schwebte über der jungen Sektion der Möbelmesse noch dieser bunte Kronleuchter aus Bauklötzen, für den Pepe Heykoop ausgeramschte Holzsteine lochte und auf unsichtbare Metallkonstruktionen steckte. Ein Jahr später sind die Klötzchen wieder da, aufgestiegen. Die Firma Furnism hält jetzt die Rechte und im Schaufenster wird das ringelige Konstrukt wohl als zahnloser Tiger enden. Das Material: ausschließlich fabrikfrische Brio-Klötzchen.

© SZ vom 20.01.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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