Modelabel Kitsuné:Die ideale Strandclique

Und Lässigkeit ist doch käuflich: Das Label Kitsuné produziert einen perfekt abgestimmten Lifestyle aus Mode und Tanzmusik. Ein Besuch in Paris.

Dirk Peitz

Tock, tock, die Lederabsätze von Herrenstiefeln hallen durch die eher unscheinbare Rue de Richelieu im ersten Arrondissement. Gildas Loaëc hat es eilig an diesem regnerischen Februarnachmittag, "Welcome to rainy Paris" sagt er zur Begrüßung, mit einem leeren Blick aus totmüden, rotgeränderten Augen. Die letzte Nacht war kurz, die nächste wird noch kürzer werden, in dieser Nacht muss Paris genommen werden. Oder zumindest der Teil des jungen Paris, der verrückt ist nach der Musik und der Mode, die Gildas Loaëc und Masaya Kuroki seit sechs Jahren unter dem Label Kitsuné verkaufen. Das Bataclan, ein ziemlich großer Club auf dem Boulevard Voltaire, ist für die Kitsuné-Party gebucht.

Modelabel Kitsuné

Oberstes Gebot: Schmal und unifarben muss die Kleidung sein.

(Foto: Foto: Kitsuné)

Gildas Loaëc, 34 Jahre, mittelgroß, Stoppelbart, typisch sorgsame Pariser Jungsfrisur, leicht abstehende Ohren, ist der Musikmann von Kitsuné. Masaya Kuroki ist der Modemann, die Aufgabengebiete sind strikt getrennt, Kuroki aber ist krank, entschuldigt Loaëc die Abwesenheit seines Partners. Loaëc trägt eine enge Röhrenjeans, die er in den Schaft seiner grauen, halbhohen Stiefel gestopft hat. Bei anderen Männern wirkt so etwas leicht bemüht modefreakig, bei Gildas Loaëc nicht. In so einer Pseudofliegerjacke mit Pelzkragen, wie sie Loaëc gerade anhat, sieht eigentlich jeder Typ aus wie Tom Cruise 1986 in "Top Gun". Also wie ein Trottel. Gildas Loaëc steht die Lederjacke. Gildas Loaëc ist cool.

Coolness: Eine Frage der Haltung

Coolness ist zunächst eine Frage der Haltung, und die beinhaltet unter anderem, dass man als cooler Mensch eine Abweichung von der Norm mit der gebotenen lässigen Nonchalance zur Schau stellt, lange bevor diese Abweichung möglicherweise irgendwann zur Norm wird. Und man das dann Mode nennt, weil es viele so tragen, zum Beispiel ihre Jeans in Stiefel gestopft. Die Coolen sind dann längst schon wieder mit anderen Normabweichungen beschäftigt. So war es mit dem Jeans-in-Stiefel-Stopfen auch vor Jahren bei den Frauen, da gibt es heute einen komplizierten Kodex, welche Hose man noch in welche Stiefel stopfen darf. Die Männer trotten wie immer etwas hinterher.

Damit dieser ganze komplexe Prozess der Cool-Werdung der Dinge überhaupt losgeht, braucht es einen sozialen Resonanzraum, eine Umgebung, die Coolness als solche begreift, informell absegnet, und ihre neueste Form schließlich übernimmt. Ein noch besserer Ort als die Straße ist ein guter Club, und deshalb ist die Idee von Kitsuné, die richtige Tanzmusik und die richtige Mode aus einer Hand zu liefern, so schlicht wie bestechend. Kitsuné verkaufte von Anfang an einen kompletten Lifestyle aus Mode und Musik. Andere Modelabels basteln sich ihr ganzheitliches Lifestyle-Angebot, ihre Anzeigenkampagnen-Pseudowelt erst im Nachgang. Sie machen das meist ziemlich ideenlos, indem sie bloß den eigenen Namen auf alles Mögliche drucken, Parfums, Accessoires, Möbel, Wandfarben, weiß der Teufel was. Sie tun das auch deswegen, weil sich mit dem Kram leichter und mehr Geld verdienen lässt als mit Mode.

Gildas Loaëc stoppt jetzt vor dem Laden mit der Adresse Rue de Richelieu 52, ein Eckgeschäft an einer alten kleinen Passage, auf den schwarzen Holzbrettern, mit denen die Fenster abgehangen sind, steht schon der neue Name in goldenen Lettern: "Boutique Kitsuné". Der erste richtige Shop, das wird das neue Schaufenster des Modeteils der Marke, die eine eher traditionelle Coolness besitzt: klassisch, aber modern. Das ist nicht neu, aber was ist schon noch neu in der Mode mit ihren unüberschaubar vielen Retrotrends.

Und in der Mode gibt es eben ein ehernes Formgesetz, das sich nicht verändern lässt: Schmal und unifarben ist eher cool, weit und grellbunt eher uncool. Das unverbesserbare ästhetische Ideal bleibt, wie junge Menschen sich in den sechziger Jahren angezogen haben, obwohl sich der damalige modernism sein ästhetisches Ideal auch bereits bei den Jazz-Hipstern und Beatniks geliehen hatte; fast alles aber, was danach kam an guter Junge-Menschen-Mode, der College-, Popper-, Neomod-, Preppie-Look, wurzelt in seinen besten Momenten im modernism. Weil es halt nicht besser geht.

Kitsuné-Mode ist also fast immer schmal, unifarben und irgendwie Mod-haft. Die Frühlings- und Sommerkollektion dreht das Thema auch nur etwas ins Sportliche, die Idee kam Kuroki und Loaëc, als sie voriges Jahr in Australien am Meer saßen und sich fragten: Wie müsste heute die ideale Strandclique ausschauen? Deshalb gibt es viel Weiß in der neuen Kollektion und einfache Polohemden, Kitsuné hat sich bei Lacoste und Eric Rohmer bedient für den Sommer, nur eben mit Sachen für junge Leute von heute. Wenn es halt nicht besser geht?

Viel Weiß und einfache Polohemden

Kitsuné-Musik hingegen war von Anfang an beseelt von der Idee, dass es bessere Musik geben müsste als die, die vor sechs, sieben Jahren in Clubs gespielt wurde. Die elektronische Tanzmusik hatte damals all ihre ursprüngliche Energie, Euphorie und Eleganz verloren, Indie-Rock trat als führende neue Retromusik auf den Plan, aber zu Indie-Rock eine ganze Nacht zu tanzen, das konnte sich niemand vorstellen. Kitsuné stieß mit seinen "Kitsuné-Maison"-Compilations in die Lücke, die sich auftat, zusammen mit einem anderen Pariser Label namens Ed Banger. Ausgerechnet in Frankreich, der führenden House-Nation der neunziger Jahre, wo danach kaum mehr anständige Musik herkam, wurde die einstweilige Zukunft der Tanzmusik gefunden: Man mischt einfach die neue Energie, Euphorie und Eleganz des Indie-Rock mit der Wucht elektronischer Beats. Wieder schlicht, aber bestechend.

Kitsuné fand diese Musik, die man wahlweise Indie-Elektro, Nu Rave oder sonstwas taufte, gar nicht so sehr in Frankreich selbst. Das Label nahm zunächst auch keine Bands unter Vertrag, Gildas Loaëc lizensierte, was er entdeckte, kompilierte das Beste und ließ den Hausgraphiker dafür CD-Cover zeichnen, auf denen die Köpfe von Leuten aus seiner Clique abgebildet waren.

Das Geschäftsmodell war günstig, und mit den Covers schaffte man die Illusion einer coolen Gemeinschaft, in die man sich als Hörer per CD einkaufen konnte. Simian Mobile Disco und die Klaxons aus Großbritannien oder Digitalism und Boys Noize aus Deutschland wurden erst durch ihre Kitsuné-Tracks heiß und bekannt, in Europa und Japan vor allem. "Kitsuné Maison" - Ausgabe Nummer fünf ist gerade erschienen - ist mittlerweile ein totsicherer Geschmacksverstärker für gute Tanzmusik: Wer den Hörtest von Gildas Loaëc besteht, bekommt den Coolness-Stempel von Kitsuné aufgedrückt.

Lesen Sie auf der nächsten Seite mehr über die Coolness von Kitsuné und wie alles angefangen hat ...

Die ideale Strandclique

Präzises Timing bei der Auswahl ist da alles, und präzises Timing haben Kuroki und Loaëc auch beim Standort ihres neuen Ladens bewiesen. Die Gegend um den Jardin du Palais Royal war bis vor ein paar Monaten fast tot, die Arkaden der Galerie de Montpensier, wo früher vor allem wurmstichige Antiquitäten und gediegenes Kunstwerk verkauft wurden, drohten wegen zu vieler Geschäftaufgaben zu verwaisen. Als Kuroki und Loaëc ihren Mietvertrag für die Rue de Richelieu schon unterschrieben hatten, machten fast über Nacht Marc Jacobs und Martin Margiela neue Boutiquen um die Ecke auf, nun ziehen Acne Jeans und Chloé nach, und in ein paar Monaten wird in den Neuauflagen der Reiseführer stehen: Der Jardin du Palais Royal ist der neue Hot Spot für Hip-Design. Die vergleichsweise immer noch kleine Marke Kitsuné wird dann mittendrin sein.

"Kitsuné war von Anfang an langfristig gedacht, wir setzen auf natürliches Wachstum", sagt Gildas Loaëc. Er sitzt jetzt im ersten Stock des alten Kitsuné-Ladens auf der Rue Thérèse, drei Straßen vom neuen entfernt. Wobei Laden das falsche Wort ist, die Tür unten wird nur geöffnet, wenn man vorher telefonisch einen Termin vereinbaren durfte. Viel Auswahl gäbe es ohnehin nicht, im winzigen Showroom steht nur eine einzige Kleiderstange, an der Wand lehnen ein paar Vinylausgaben der Veröffentlichungen des Labels. Das alles ist nur ein Bruchteil des Kitsuné-Angebots. Und es ist Ausdruck einer Geschäftsstrategie, die man arrogant oder jedenfalls merkwürdig finden kann, die aber auch wieder zur Coolness beiträgt: Loaëc und Kuroki wissen um die magische Anziehungskraft, die einerseits seltene, andererseits teure Güter auf Menschen haben. Also verknappen sie von Fall zu Fall die Verfügbarkeit von Kitsuné-Produkten.

Coolness ist auch Taktik

Sie tun das aber nicht so plump wie die großen Designhäuser, die ihre Kunden zum Beispiel damit quälen, dass sie Wartelisten auf begehrte, aber potentiell massenhaft produzierbare Handtaschen erfinden. Kitsuné machen einfach die Tür nicht auf. Ist erheblich lässiger.

Kitsuné-Kaschmirpullover werden in Schottland teuer gefertigt und kosten ein paar hundert Euro, aber man bekommt sie bislang kaum, bloß in Japan sind Kitsuné stark vertreten, in Deutschland gerade mal in vier Läden, in Berlin, München und Stuttgart; Kitsuné-Vinylplatten sind begehrte Sammlerobjekte, die "Kitsuné Maison"-CDs mit den gleichen Liedern jedoch kann man selbstverständlich überall kaufen.

Coolness ist eben auch Taktik, und gelernt haben Kuroki und Loaëc darüber viel von zwei Freunden, die zu den coolsten Menschen gehören, die es in der Popkultur gibt. Thomas Bangalter und Guy-Manuel de Homem-Christo kennt man unter ihrem Bandnamen Daft Punk, doch ihre Gesichter kennt fast niemand, die haben Bangalter und de Homem-Christo von Anfang an versteckt. Das war einerseits praktisch, so kann man selbst als Popstar ein anonymes Leben führen; andererseits kreiert man damit einen unschlagbar coolen Mythos, der die Leute wesentlich länger und intensiver fasziniert, als es öder Gossip aus dem Privatleben von Popstars je tun wird.

Eine ziemlich ideale Strandclique

Begonnen hat die Freundschaft zu Bangalter und de Homem-Christo in Loaëcs allererstem Geschäft, einem Plattenladen. Knapp 15 Jahre ist das her, Loaëc war von einem anderen Freund, dem heutigen Modedokumentarfilmer Loic Prigent, aus der Bretagne nach Paris gelockt worden, weg von der Uni und dem Sprachenstudium; Prigent hatte ein Ladenlokal für ihn gefunden, zu Loaëcs Kunden gehörten bald Bangalter, de Homem-Christo und ein japanischer Architekturstudent namens Masaya Kuroki, der als Kind mit seinen Eltern nach Paris gekommen war.

Dummerweise gab es außer den Dreien kaum andere Kunden. Loaëc musste nach einem Jahr wieder schließen, pleite, die Steuer, er hatte viel Ahnung von Musik und nicht die geringste vom Geschäft. Daft Punk aber brauchten bald jemanden, der sich für sie um alles kümmerte, von Produktionshilfe bis zur Logistik, das war dann der Job von Gildas Loaëc; und als Daft Punk 2001 für die Manga-Verfilmung ihres zweiten Albums "Discovery" eine Weile nach Japan wollten, brauchten sie einen Übersetzer, das war dann der Job von Masaya Kuroki. Auf der Reise beschlossen Loaëc und Kuroki, ein Mode- und Musiklabel zu gründen. Zur Daft-Punk-Entourage gehörte damals auch Pedro Winter, der ebenfalls 2002 Ed Banger gründete. Eine ziemlich ideale Strandclique war das.

Toyota am Telefon

Fügung, sagt Gildas Loaëc an diesem regnerischen Februarnachmittag und wimmelt den achten Anrufer innerhalb von einer Stunde ab. Alle fragen nach Gästelistenplätzen für die Kitsuné-Party. Am Morgen gab es bloß einen Anrufer, der mal was anderes wollte, Toyota war am Telefon, die wollten Kitsuné ihren kompletten Musikkatalog abkaufen und ihn dann auf eine halbe Million CDs pressen, die auf der ganzen Welt in Autohäusern verteilt werden sollen. Und, verkauft Kitsuné? "Vielleicht, aber man muss in der Musik ja sehr auf seine Credibility achten, das ist auch der große Unterschied zur Mode", sagt Loaëc. "Mit Musik kommt man leicht in die Läden, man muss nur verdammt darauf achten, seinen Ruf als Label nicht zu ruinieren; mit Mode kommt man schwer in die Läden, aber wenn man einmal drin ist, wird man nicht so schnell wieder rausgeworfen."

Um ein Uhr nachts ballt sich eine wilde Menschenmenge vor dem Bataclan auf dem Boulevard Voltaire, die Türsteher haben Mühe, die Leute hinter den Stahlgittern zu halten, es ist ein einziges Geschiebe und Gedränge. Drinnen gehen um halb drei Digitalism auf die Bühne, da dreht der vollgepackte Saal endgültig durch, wildes Getrampel und Gewühle herscht auf der Tanzfläche, irgendwann brüllen Digitalism bloß noch zu den rohen Bässen aus ihren Computern von der Bühne runter, und zwar in fettestem deutschen Akzent: "We have the biggest party in the world!" Die Menge jubelt. Paris ist genommen. Aber wie.

Vorige Woche hat die Boutique Kitsuné in der Rue de Richelieu eröffnet. Neben Kitsuné-Mode gibt es dort nun auch die bislang nur beim Hip-Kaufhaus Colette erhältlichen Kitsuné-Duftkerzen, außerdem eine brandneue Kitsuné-Unterwäscheserie in Zusammenarbeit mit Schiesser, Kitsuné-Möbel soll es auch bald geben. Kitsuné diversifiziert sich langsam ein bisschen arg aus wie all die anderen Labels.

Coolness aber, das müssten gerade Gildas Loaëc und Masaya Kuroki wissen, ist mehr als alles andere gerade eines: Sie ist flüchtig. Man muss sie hüten. Sonst verschwindet sie so schnell, wie sie gekommen ist.

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