Mode statt Mafia:Hut ab!

Gestern Mafia, heute Glamour: Wie Sizilianerinnen den Paten die Coppola entwendeten und aus der Mütze eine Modemarke machten.

Ulrike Sauer

Ironie, sagt Guido Agnello, ist eine scharfe Waffe. Der Unternehmer, Spross einer sizilianischen Textildynastie, setzt sie gegen die Mafia ein. Mit beachtlichem Erfolg. Immerhin gelang es ihm, das Markenzeichen der Ehrenmänner - die Coppola - in ein Symbol für den wirtschaftlichen und kulturellen Aufbruch Siziliens zu verwandeln.

Mode statt Mafia: Früher Zeichen des Paten, heute Zeichen der Befreiung von der Mafia: Robert De Niro mit einer Coppola in "Der Pate II".

Früher Zeichen des Paten, heute Zeichen der Befreiung von der Mafia: Robert De Niro mit einer Coppola in "Der Pate II".

(Foto: Foto: Getty Images)

Die modische Neuerfindung der schrägen Kappe hat weltweit Liebhaber gefunden: von New York bis Kobe in Japan. 30.000 Stück werden jedes Jahr verkauft. Auf der süditalienischen Insel entstanden Jobs für Frauen, die ihr Leben lang von einer legalen Arbeit nur träumen konnten. "Die Coppola ist ein Mittel zur Befreiung von der Mafia", sagt Agnello.

Mehr als ein Jahrhundert lang war die Schirmmütze Männersache. Und vor 60 Jahren nahm sie die Cosa Nostra in Beschlag. Irgendwann zeigte kein Gangsterepos aus der sizilianischen Unterwelt den Mafioso mehr ohne - Robert De Niro erspielte sich im Kinostreifen "Der Pate II" mit der schwarzen Coppola den ersten Oscar. Heute dagegen tragen auch Frauen die traditionelle Kopfbedeckung gern.

Dafür sorgt eine junge Sizilianerin: Tindara Agnello, 25, entwirft Hunderte ausgefallener Varianten der Coppola. Mal frech, mal elegant, mal kostbar bestickt, mal klassisch schlicht, mal Einzelstück, mal Serienartikel. Mit dem Ergebnis ihrer kreativen Weiterentwicklung ist die Tochter Agnellos zufrieden. "Das negative Image ist weg, wir schöpfen jetzt aus dem positiven Potential der Marke." Sie heißt "Coppola Storta" (schiefe Kappe), was einst ein Synonym für Mafioso war und somit eine Provokation ist.

Eine offene Kampfansage war es auch, die Nähwerkstatt für die trendigen Mützen in das berüchtigte Mafia-Nest San Giuseppe Jato zu legen. Das graue Straßendorf mit 9000 Einwohnern liegt 25 Kilometer südlich von Palermo am Hang des schroffen Monte Jato. Die Gegend gilt als Herzland der Cosa Nostra. Wie das benachbarte Corleone war San Giuseppe Jato eine Hochburg der Bosse.

Hier herrschte Giovanni Brusca, der 1992 auf den Zünder drückte und den Richter Giovanni Falcone vor Palermo zusammen mit 50 Meter Autobahn in die Luft sprengte. Und am Rande des Dorfes erinnert ein Garten an das grauenvollste Mafia-Verbrechen überhaupt: den Mord an dem erst 14-jährigen Giuseppe di Matteo. Der Sohn eines Abtrünnigen war an dieser Stelle vom Brusca-Clan 779 Tage in einem Verlies gefangen gehalten und gefoltert worden. 1996 erwürgte man ihn und löste den Leichnam in Salzsäure auf.

Aus diesem San Giuseppe Jato fuhren vier Frauen an einem Tag im November 1999 hinunter nach Palermo - das war der Beginn der Marke Coppola Storta. Die 31-jährige Enza war eine dieser Frauen, und sie nennt das, was nun begann, ein "Abenteuer". Die Frauen gingen drei Monate beim letzten Kappenschneider der Stadt in die Lehre.

Heute arbeitet Enza mit 14 Frauen in der kleinen Fabrik an der Piazza Giovanni Falcone e Paolo Borsellino, benannt nach den prominentesten Mafia-Opfern, an der Nähmaschine. Sie ist auf das Finale spezialisiert, den achten Fertigungsschritt, wenn der Außenstoff mit dem Futter und der Innenbordüre zusammengenäht wird.

In den fünfziger Jahren gab es noch 40 Betriebe, in denen die sizilianische Coppola hergestellt wurde. Guido Agnello versucht, mit der Stiftung Palazzo Intelligente aussterbende Handwerkstraditionen neu zu beleben. Die reiche Inselkultur soll Jobs hervorbringen. Darum prangt im Logo der Mode-Marke das geflügelte Dreibein mit dem Gorgonenhaupt aus dem sizilianischen Wappen.

Agnello hatte ursprünglich namhafte Mailänder Designer beauftragt, die Kappe zu verändern. Die Modemacher quälten sich mit Entwürfen. "Die Linie der Coppola ist einfach perfekt", resignierte der Couturier Gianfranco Ferré. Später schmiss Tindara, die zwischen den Stoffen der väterlichen Textilfirma aufgewachsen ist, die Mailänder Modeschule und stürzte sich in Palermo in die Arbeit. Rasch stellte sie fest, dass die Coppola sehr wandelbar ist, ohne dabei ihre Identität zu verlieren.

In Prato, Italiens Tuchstadt, besorgt sich die Sizilianerin Tweed, Tüll, Spitze, Seide, Leinen, Brokat. Stickereien, Perlen und Pailletten veredeln die klassische Coppola der Paten. Inzwischen konzentriert sich Tindara auf die Weiterentwicklung der Marke. In Palermo macht bald ein Laden auf, in dem eine Künstlerin die Kappen vor Ort auf Wunsch personalisieren wird. Kunden können neuerdings abgetragene Lieblingsstücke einschicken und als Coppola recyceln lassen.

Wie viele junge Sizilianer setzt Tindara große Hoffnungen in das Aufbegehren ihrer Heimat gegen die Mafia. Ethische Werte rückt die 25-Jährige in den Vordergrund ihres Schaffens. Das Näherinnen-Quartett der ersten Stunde hat inzwischen hundert Frauen angelernt, die in Heimarbeit flexibel eingesetzt werden. Viele ernähren mit ihrem Lohn eine Familie. "Eine hat ihren Mann im Hochsicherheitsknast. Die andere kann dem Sohn ein Mofa kaufen und so davor bewahren, in den Fängen der Clans hängenzubleiben", erzählt Guido Agnello.

Pina Ciulla ist seine Hauptstütze. Die gelernte Schneiderin leitet die Produktion. "Arbeit war für mich eine Fata Morgana", erzählt sie. Ihr Mann jobbt gelegentlich auf Baustellen. "Mit Anständigkeit kann man in San Giuseppe Jato nichts werden", klagt Signora Pina. Sie schneidet die Stoffe zu und bereitet die Arbeit für die anderen vor. Acht Einzelteile fügen sich zum Modell "Pirandello" zusammen, der palermitanischen Coppola-Version. Bei der "Meusa" (Milz) aus Catania besteht schon die Mützenmitte aus acht dreieckigen Schnitzen.

Es gilt, perfekten Sitz und akkurate Musterführung zu garantieren. "Und das bei den verrückten Stoffen, die Tindara aussucht", seufzt sie. Ihr Ehrgeiz ist es, die Abläufe zu perfektionieren. "Ich muss unsere Techniken weiterentwickeln, um den Fertigungsprozess zu vereinfachen", sagt die 47-Jährige. Sie möchte die Grundlage für Wachstum schaffen.

Tindara suchte sich in Palermo Verstärkung durch eine Marketing-Expertin und eine Juristin. Zusammen bereiten die drei Frauen jetzt die Expansion der Coppola Storta ins Ausland vor. "Wir brauchen Läden, damit mehr Frauen hier den Lebensunterhalt ihrer Familien verdienen können", erklärt ihr Vater. Vor kurzem musste er das gut laufende Geschäft im Flughafen von Palermo räumen. Der öffentliche Airport-Betreiber schraubte die Jahresmiete über Nacht auf 100000 Euro hoch. Was die Klagen vieler mutiger Unternehmer bestätigt, nach denen die Politik inzwischen das ärgste Hemmnis einer legalen Wirtschaft auf Sizilien ist.

Außerhalb der Insel verkaufen bisher Exklusiv-Shops in Rom, im New Yorker Soho-Viertel und im japanischen Kobe die Originale aus San Giuseppe. Im Oktober kam ein Laden in der Wiener Neubaugasse hinzu. "Mit der Coppola Storta können wir endlich guten Gewissens sagen, dass wir hundertprozentig hinter unserem Produkt stehen", sagt Monica Mel, eine der beiden Geschäftsinhaberinnen, die es aus der Autobranche in die Modewelt zog. Ihre Verkaufsmeldungen aus Wien lösen in Palermo Entzücken aus.

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