Mode:Ein Stück vom Glitzerkuchen

Design wird demokratisch: H&M rüstet auf und bringt eine Luxuslabel auf den Markt, die Großen begeben sich mit günstigeren Zweitlinien ein wenig tiefer.

Anne Goebel

Nennen wir sie Lisa. Lisa ist Ende zwanzig, Anfang dreißig, wohnt in einer Großstadt und beschließt, shoppen zu gehen. Wahrscheinlich wird sie die Schaufenstermeilen der Innenstadt abklappern. Sie wird das Sortiment der Discounter durchkämmen, und sehr wahrscheinlich steht sie irgendwann an der Kasse von H&M, wie Millionen anderer Frauen, in diesem Augenblick, überall auf der Welt.

Lisa, die deutsche Durchschnittsshopperin, wird etwas müde sein vom An- und Ausziehen der Klamotten. Um sie herum quellen die Regale über. Der Sommer '07, bunt und erschwinglich. Es könnte sein, dass Lisa ein Bedürfnis nach Klarheit empfindet. Nach Übersicht, Beschränkung.

Und weil es den Entwicklern von Hennes und Mauritz nur recht sein kann, wenn dieses Bedürfnis innerhalb der Firma gestillt wird, haben die Schweden eine neue Modelinie erfunden. Sie ist klar, übersichtlich, reduziert.

Cos heißt das Label, mit dem der Bekleidungskonzern am 30. April auf den deutschen Markt kommt. Cos ist eine eigene Marke mit Sitz in London und steht für "Collection of style".

Der Name deutet an, was die ersten Modelle, die loungeartige Aufmachung der Shops bestätigen: Es geht um Veredelung.

Das dänische Designerduo Rebekka Bay und Michael Kristensen hat eine puristische Damen- und Herrenkollektion entworfen - keine Spur von der atemlosen Trendjagd, die H&M groß gemacht hat. Dezente Streifen für die Herren, klare Silhouetten, matt schimmerndes Textil für klassische Tulpenröcke, Trapezkleider: Es könnte etwas Jil Sander in den zurückgenommen wirkenden Stücken stecken, auch ein bisschen Armani, Helmut Lang - Rebekka Bay möchte sich da nicht festlegen. "Uns geht es um eine eigene Ätshetik", sagt die 37-Jährige. "Um Funktionalität, Minimalismus - das ist sehr skandinavisch."

Michael Kristensen nennt das Konzept "Prêt-à-porter zu erschwinglichen Preisen" - ein kleines Schwarzes kostet bei Cos bis zu 125 Euro, ein Anzug bis 350 Euro. Abgesehen davon, dass der Vergleich mit Pariser Couture für eine Auftaktkollektion ziemlich kokett ist, liegt hier der tiefere Grund für Cos: Edles für alle.

Ein Stück vom Glitzerkuchen

Dass ein erfolgreicher Textilriese die verbreitete Tendenz zum etwas Nobleren nicht ungenutzt vorüberziehen lässt, ist nicht verwunderlich in einer Zeit, in der die Grenze zwischen Design und Kommerz längst aufgehoben ist. Was Einrichtung oder Küchenutensilien anbelangt, so geben ungebrochen erfolgreiche Ausstatter wie Manufactum auch per Internetbestellung Hilfe beim ästhetisch korrekten Aufmöbeln. "Uptrading" heißt im Fachjargon die Hochglanzpolitur für Massenware.

Kosmetikkonzerne, Bekleidungsketten wie Mango oder das Kaufhaus Peek&Cloppenburg werten ihre Werbung auf mit den Gesichtern von Topmodels wie Claudia Schiffer, Milla Jovovich, und die Botschaft an die Konsumentin ist immer gleich: ein Stück vom Glitzerkuchen der Reichen und Schönen ist auch für dich.

H&M hat die Geburt der Edellinie schrittweise eingeleitet: Erst kam Heidi Klum auf die Plakate, dann Karl Lagerfeld als Designer. Zum Finale Cos, "Haute Fashion für alle".

Das ist nicht neu, die echten Couture-Häuser sind seit Jahren damit beschäftigt, ihren Kundenkreis behutsam zu verbreitern - ohne die Marke zu beschädigen. "Demokratische Marktgestaltung" nennt das Heijo Gassenmeier vom Bundesverband Textileinzelhandel. H&M rüstet auf, die Großen begeben sich ein wenig tiefer - man trifft sich in der Mitte.

Verstärkt seit den Neunzigern suchen Firmen wie Armani, Prada, Dolce&Gabbana den Kontakt zum Volk - die plötzlich grassierende Sucht nach Labels und Logos sollte schließlich nicht ungenutzt bleiben. Zumal der Markt für echten Luxus knapp ist, in Deutschland beträgt der Anteil kaum mehr als zwei Prozent.

Die Zweitlinien wurden lanciert, Emporio, D&G oder die zu Prada gehörige Marke Miu Miu. Die Kollektionen kommen jünger, unkomplizierter, trendorientierter her als die virtuose Eleganz der Hauptlinie - und obwohl Stücke von "Boss orange" oder "Missoni Sport" für Durchschnittsverdiener immer noch sündhaft teuer sind, kosten sie meistens weniger als ein Modell des Stammhauses.

Der weniger abgehobene Look, die Alltagspräsenz in Kinospots weckt den Wunsch, wenigstens ein Häppchen Dolce&Gabbana zu ergattern. In Form einer "D&G"-Handtasche zum Beispiel. "Markenverwöhnung zum kleineren Preis", nennt das Gassenmeier.

Doch das Image will gepflegt sein, zu viel Demokratie ist Gift für das Selbstverständnis von Nobelware, die über beschränkte Verfügbarkeit funktioniert. Gerd Strehle, dessen Firma Strenesse 1993 die Linie Strenesse Blue kreierte, hat seine Erfahrungen machen müssen. "Wir wollten mit Lizenzprodukten zu sehr in die Breite gehen. Das hat nicht funktioniert", sagt er. "Das Ganze ist nicht unendlich dehnbar."

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