Mode-Blogger:Der Stil der Straße

Ski-Anorak und lila Leggins, dazu eine alte Steppdecke: Wenn Kleidung auffällig ist, ist sie ein Fall für Styleblogger. Sie sind auf der Suche nach der Mode der Zukunft.

Ulrike Bretz

Wer sich nur kleidet, um nicht nackt herumzulaufen, hat keine Chance - und wird es wohl nie in einen Modeblog schaffen, schon gar nicht mit Foto. Es sei denn, der schlechte Geschmack ist schon wieder so auffällig, dass er aus dem modischen Einheitsbrei heraussticht. Denn den Stylebloggern geht es nicht um zurückhaltenden Chique - sondern um Mut zum Außergewöhnlichen.

Mode-Blogger: Mut zur Hässlichkeit: Bundfaltenhose in Türkis, lilafarbene Schuhe und dazu ein blaues Hemd. Oder doch lieber die alte Sporthose und das Mitbringsel aus New York?

Mut zur Hässlichkeit: Bundfaltenhose in Türkis, lilafarbene Schuhe und dazu ein blaues Hemd. Oder doch lieber die alte Sporthose und das Mitbringsel aus New York?

(Foto: Foto: Stil in Berlin, Scherpe)

Stylebloggen hat sich zum Trend entwickelt. Die Ersten, die mit ihren Kameras durch die Straßen zogen und wildfremde Menschen ansprachen, waren die Blogger "Facehunter", "Hel-Looks", "The Sartorialist" und "Fruit". Sie suchten als selbsternannte Trendscouts Amateur-Modelle in den Straßen von London, Helsinki, New York und Tokio.

Mittlerweile sind in jeder deutschen Großstadt Menschen auf der Mode-Pirsch, um den Look ihrer Stadt mit der Kamera festzuhalten. Sie bringen Passanten dazu, sich fotografieren zu lassen, die Bilder stellen sie ins Internet. Und die werden von Tausenden, ja Millionen Menschen angesehen.

Mary Scherpe ist Trendjägerin in Berlin. Seit zweieinhalb Jahren betreibt sie den Blog "Stil in Berlin" und macht sich regelmäßig auf die Suche nach dem Außergewöhnlichen. In der Hauptstadt wird sie schnell fündig - dort ist der Mut zur Auffälligkeit besonders hoch, sagt sie.

Die türkisfarbene Bundfaltenhose aus der Altkleidersammlung etwa wird wieder schick: Mutig kombiniert kann man auf den Straßen der Hauptstadt heutzutage eben alles tragen. Auch die ausgeleierte Sporthose wird, ergänzt durch ein altes T-Shirt mit Aufdruck, zum Style - wenn der Träger nur mutig genug ist. "Die Menschen hier haben eine Offenheit und Toleranz", sagt Scherpe. "Sie haben das Gefühl, sie können sich kleiden, wie sie wollen, ohne schräg angeschaut zu werden." Und wenn ein Blogger kommt, lässt man sich auch nicht lange bitten.

Der Stil der Straße

Um zum Straßen-Fotomodell zu werden, braucht man Mut, Kreativität, Offenheit - "und Zeit, um nach ausgefallenen Klamotten zu stöbern", sagt Scherpe. Viele der jungen hippen Berliner, die die 26-Jährige fotografiert, finden ihre Outfits im Secondhandladen, im Kleiderschrank der Oma oder auf dem Flohmarkt.

Mode-Blogger: Auf dem Flohmarkt stöbern muss sein, im Secondhandladen auch. Nirgendwo sonst findet man noch die Mode aus den achtziger Jahren. Hipp wird es aber nur dann, wenn es richtig kombiniert wird - mit Elementen des zeitgenössischen Trends.

Auf dem Flohmarkt stöbern muss sein, im Secondhandladen auch. Nirgendwo sonst findet man noch die Mode aus den achtziger Jahren. Hipp wird es aber nur dann, wenn es richtig kombiniert wird - mit Elementen des zeitgenössischen Trends.

(Foto: Foto: Stil in Berlin, Scherpe)

Das goldene Diadem aus den zwanziger Jahren wird mit der Neon-Schirmmütze aus den Achtzigern kombiniert, andere schminken sich wie Pin-up-Girls und tragen weiße Turnschuhe an den Füßen. Je größer der Stilbruch, umso besser.

Wer sich allerdings zu sehr bemüht, ausgefallen und verrückt daherzukommen, ist für Scherpe uninteressant. "Wenn ich sehe, dass jemand mit seiner Kleidung nicht eins ist, fotografiere ich nicht", sagt sie, "dann ist es nur ein Kostüm - auch wenn es vielleicht lustig anzuschauen ist."

Die Bloggerin sucht Leute, die den Mut haben, etwas zu machen, das nicht der Norm entspricht. Die findet sie nämlich langweilig. "Die Leute schleppen tütenweise Klamotten aus den Geschäften und in den Läden liegen Tausende Modezeitschriften - aber die Menschen sehen fast alle gleich aus", sagt sie. "In Deutschland ist man eben sehr konform."

Auf den Straßen anderer Länder bietet sich da ein bunteres Bild - vor allem in Skandinavien und Großbritannien seien die Menschen experimentierfreudiger, sagt Scherpe. Aber auch in Berlin gebe es einige Hingucker: "Zurzeit sehe ich viele übergroße Sachen", sagt die "Stil in Berlin"-Betreiberin.

Der Stil der Straße

Mode-Blogger: Die weiße Brille ist immer dabei. Und wer hat gesagt, dass man Rot und Pink nicht kombinieren kann?

Die weiße Brille ist immer dabei. Und wer hat gesagt, dass man Rot und Pink nicht kombinieren kann?

(Foto: Foto: Styleclicker, Hämmerle)

Zum Beispiel die Frau, die sich eine riesige Daunenjacke um die Schultern warf und so nach draußen ging. "Sie war auf der ganzen Straße die Einzige, die aussah, als würde sie sich wohlfühlen. Sie hat einfach ihr Bett mitgenommen."

Angesagt ist bei der Berliner Mode-Avantgarde neben Jacken, die man am besten selbst aus alten Steppdecken zusammennäht, auch das Tunikakleid - für Männer. Kurze Hosen, die an den Herren aussehen wie Röcke, findet Scherpe ebenfalls reizvoll. Und einige Elemente findet man doch immer wieder - die weißgerahmte Brille, riesige Schals und türkisfarbene Bundfaltenhosen, dazu eine Jacke vom Designer, eine Kroko-Tasche aus dem Secondhandladen und weiße Turnschuhe.

Sind die Hippen in all ihrer Individualität vielleicht doch alle gleich? Gibt es Konformität der Individualität? "Das liegt eher an meinem Blick", sagt Scherpe, "die Auswahl treffe ja immer ich." Aber es stimme schon, dass es in jedem Jahr einige Elemente gibt, die immer wiederkehren.

Mittlerweile hat sich eine eigene Modeblogger-Szene entwickelt. Was in den Fotogalerien an stilistischen Merkwürdigkeiten zu finden ist, interessiert auch die Modemagazine. Sogar einige Designer sollen sich angeblich vom gebloggten Streetstyle insprieren lassen - zugeben will das aber keiner so richtig.

Gunnar Hämmerle, Betreiber des Münchner Blogs "Styleclicker" ist im Auftrag von Modezeitschriften in ganz Europa unterwegs. Er kann mittlerweile von seinem Hobby leben, und auch Scherpe hat das Bloggen zu einigen Aufträgen, Ausstellungen und einer Stelle bei einem Magazin verholfen.

München, sagt Hämmerle, muss sich hinter Berlin nicht verstecken. "Auch wenn man manchmal schon sehr lange warten muss, bis einem jemand vor die Linse läuft", sagt er. Aber kreative Menschen, die aus der Masse rausstechen, gebe es auch in der konservativen bayerischen Landeshauptstadt.

Wenn der Fotograf für "Styleclicker" durch die Münchner Straßen zieht, zählt für ihn vor allem sein Bauchgefühl. Auch er sucht Menschen, die aus der Masse herausstechen. "Die Kleidung soll die Persönlichkeit nach außen tragen", findet er.

Er hat am deutschen Modegeschmack einiges auszusetzen. "Hier kaufen alle in Einheits-Modeketten ein - in Schweden wird viel mehr Wert auf Individualität gelegt." Stockholm sei ohnehin die "stilsicherste Stadt überhaupt", sagt Hämmerle - ein Paradies für ihn und andere Streetsyle-Blogger. Er ist gerade von einem Trip dorthin zurückgekommen - mit einer taillierten Reiterjacke aus den sechziger Jahren mit stoffbezogenen Knöpfen im Gepäck. "Ein absolutes Einzelstück, das perfekt passt. So was macht mich total glücklich."

Und wie sieht er aus, der Look der Schweden? "Momentan ist bei den Männern Schwarz angesagt", sagt Hämmerle. "Zu engen Jeans werden schwere ungeschnürte Armeestiefel getragen, dazu eine Mütze, die oben auf dem Kopf aufsitzt." Die Stockholmerinnen dagegen kleiden sich weniger einheitlich - "aber auch bei ihnen sind immer Vintage-Stücke mit dabei".

Den Mut der Schweden wünscht sich der Fotograf auch für die Deutschen. Es gehe nicht darum, Tabus zu brechen - "die wurden schon alle gebrochen" -, sondern ums Kombinieren. "Das Sich-Anziehen ist ein Akt der Kreativität", sagt er. Mit seinem Streetstyle-Blog möchte er den Leuten Mut machen. Man könne von anderen einiges lernen - wie man einen Schal mal anders bindet, welche Farbe man gut mit einer anderen kombinieren kann. "Man muss ja nicht gleich ein ganzes Outfit kopieren."

Sonst sähe man ja aus wie all die anderen Individualisten in all den anderen Blogs. Egal ob in New York, Stockholm, Berlin oder München.

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