Mode aus Schweden:Im Norden was Tolles

Während man sich in ParisLondonNewYork blasiert fragt: Wo sitze ich? Wie sitzt mein Haar?, macht Stockholm Mode pur.

Rebecca Casati

Wer das Licht eines schwedischen Sommertages nicht kennt, der muss sich einfach einen Farbfilm vorstellen, der entwickelt wurde, nachdem er jahrelang in der Sonne gelegen hat. Die Menschen, die Kopfsteinpflaster, die Kupferdächer sind in ein weiches, verblichenes Gelb getaucht. Etwa so, als sei die Gegenwart auf beruhigende Weise längst vergangen.

Mode aus Schweden: Das ist er, der Stockholm-Style, den Nicht-Stockholmer krampfhaft zu kopieren und weiterzudrehen versuchen.

Das ist er, der Stockholm-Style, den Nicht-Stockholmer krampfhaft zu kopieren und weiterzudrehen versuchen.

(Foto: Foto: Filippa K)

Auf einer dieser Stadtansichten: das Hotel Berns. Ein hübscher alter Kasten aus dem 19. Jahrhundert, im Zentrum des Zentrums gelegen und Schauplatz der 5. Stockholmer Modewoche. Die bis vor kurzem unterging neben den Modewochen von Paris, Mailand, New York. Und die seit zwei Jahren immer wichtiger wird; seit die Nachfrage an schwedischem Design steigt, auf dem nicht H&M steht.

Schweden hat eine lange Tradition in der Textilindustrie, aber, anders als in Italien oder Frankreich, existiert hier keine entsprechende Infrastruktur. Das meiste, was designt wird, muss im Ausland produziert werden. Und dann - denn mit seinen rund neun Millionen Einwohnern ist Schweden ein kleiner Absatzmarkt - wiederum ins Ausland exportiert werden.

Die erfolgreichsten schwedischen Labels sind Malene Birger und Filippa K, beide machen klares Design in hochwertiger Qualität und im mittleren Preissegment. Bei jungen Schweden beliebt sind auch die Labels Hope und Whyred. Das Billigjeanslabel Cheap Monday ist nicht einmal acht Jahre alt und wurde soeben von H&M gekauft, der Erfinder, ein bärtiger Schluffie namens Örjan Andersson, ist nun ein paar Millionen reicher. Und H&M hat endlich Jeans mit Street Credibility.

Die Stockholmer Modewoche ist genau so unaufgeregt und reibungslos organisiert wie fast alles in Schweden. Die andernorts festgezurrte Sitzplatz-Hierarchie ist aufgehoben, die Besucher - vor allem skandinavische Einkäufer und Fachpresse, aber auch eine wachsende Zahl internationaler Journalisten - haben in den meisten der rund fünfzehn Schauen freie Platzwahl. Man sieht zahlreiche schwangere Frauen und ein paar gesittete Babys.

Das ist erwähnenswert, weil Babys, anders als beispielsweise kleinkindgroße Handtaschen, in der Welt der Mode ein Kuriosum sind. Snobismus dagegen ist systemimmanent, denn erst Distinktion verleiht dem Ganzen überhaupt erst eine Arithmetik: Nur wer alle sechs Monate das eben noch Geschätzte ablehnt, kann Platz für Neues schaffen.

Während also in ParisLondonNewYork ein blasierter Gesichtsausdruck und Fragen wie: Wo sitze ich? Wie sitzt mein Haar? Wer fotografiert mich für welchen Internetblog? sinnstiftend sind, haben sie für die Schweden kaum Bedeutung. Schweden mögen traditionell keine Hierarchien. Sich selbst hervorzutun war schon in der alten Agrargesellschaft tabu.

Während es einer New Yorker Moderedakteurin darum geht, möglichst perfekter manikürt und frisiert zu erscheinen als alle anderen, während die todernste Pariserin einen neuen Trend immer schneller als alle anderen antizipieren, weiterdrehen und mit irgendeinem Chanel-Teil kombinieren will, scheint unter den Schwedinnen in vergleichbarer Position ein Dauerwettbewerb stattzufinden in den Disziplinen: Wer hat am Wochenende die sauberste Luft geatmet? Wer das gesündeste Essen gegessen? Wem fallen die nettesten Worte für die Sitznachbarn rechts und links ein?

Kurt Tucholsky hätten sie gut gefallen, diese freundlichen Ninas, Vendelas und Louises. "Ihre Kellner sagen: ,Danke!' wenn man etwas bestellt!" notierte er 1929 für die Vossische Zeitung, unter dem Eindruck des schwedischen Sommers.

Im Norden was Tolles

Dass Schweden in Deutschland immer noch gerne als frivol gesehen wird, liegt möglicherweise daran, dass viele schwedische Begriffe für uns nach Kraftausdrücken oder eher heiklen Teilen der menschlichen Anatomie klingen.

So wie Aftonbladet, was eine Art schwedische Bild-Zeitung ist. Oder wie das übrigens sehr gute Restaurant "Bakfickan". Die Schwedinnen jedenfalls wirken nicht wie Sex-Göttinnen, eher wie haferflockengesunde Campus-Studentinnen, mit weiten, symmetrischen Gesichtern. Sie sind auf eine unambitionierte Art modebewusst, tragen diesen Sommer kleine Jerseykleidchen, kurze Shorts, hochhackige Sandalen und wahre Kaskaden von blonden Haaren. Den schwedischen Männern scheinen vor allem Ralph Laurens Anzeigenmotive als stilistische Orientierung zu dienen, sprich: der aufgeräumte Popper-Look mit College-Blazer, Chinohose und Loafern.

Wenn es hier so etwas gibt wie eine Mode-Ikone, das It-Girl, das alle Männer mal abschleppen wollen und von der alle Frauen, gerade die Haferflocken-Schönheiten, fasziniert sind, so ist es wohl die 29-jährige Sofi Fahrman: Sie trägt die kürzesten Hotpants, Fake-Teint und eine gelb blondierte Mähne.

Fahrman ist Redakteurin eines vielgeklickten Mode- und Klatsch-Portals der Internetausgabe von Aftonbladet. Die Schweden sind vielleicht die politisch korrekteste Nation der Erde und lästern nicht gern voreinander, aber gegen Klatsch und üble Nachrede haben sie trotzdem nichts einzuwenden - eben so lange das niemand mitkriegt. Und so ist Schweden auch eines der einzigen Länder dieser Erde, in denen Internetmagazine rentabel sind. So hat es Fahrman selber zu einiger Prominenz gebracht, in anderen Blogs wird nunmehr ihr Aufzug erörtert, zum Beispiel die wichtige Frage: "Har Sofi Fahrman Silikonbröst?"

Highlight des Ganzen ist aber das Label mit dem wohl unattraktivsten Namen der Welt: Acne. Gegründet 1998, kam Acne im richtigen Moment, vor drei Jahren, mit genau dem richtigen Jeansschnitt (Wurstpelleneng!) auf den Markt. Und gilt heute als eines der hipsten Jeanslabels der Welt.

Ihre Designs sind aggressiver, weniger gefällig als die der anderen schwedischen Designer. Während die Besucher also die geschnürten, geschlitzten und transparenten Entwürfe beklatschen, umarmt ihr Schöpfer, der Designer Jonny Johansson, gerade in Paris Alber Elbaz, den pinguinhaften Lanvin-Chef. In Paris haben gerade die Haute-Couture-Schauen begonnen. Und zu diesem Anlass präsentieren Acne und Lanvin ihre erste gemeinsame Jeanslinie, für die Schweden ein Riesenschritt in Richtung internationale Oberliga...

Doch bleiben wir die Nacht lieber noch in Stockholm. Es gibt keine Jeans, die Menschen besser stehen könnte als dieses Licht. Um um diese Jahreszeit wird es nur für drei Stunden dunkel.

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