Mobile Gesellschaft:Viel reisen, nie ankommen

Aircraft contrails in the skies near Heathrow Airport in west London

Reisen war einst das Privileg weniger, heute ist es meist Pflicht und vielen schon eine Last.

(Foto: REUTERS)

Reisen war einst das Privileg weniger, heute ist es vielen eine Last. Wer dauernd beruflich nach Asien muss, mag nicht mehr zum Schnorcheln ans Rote Meer. Haben wir es übertrieben mit der Mobilität?

Von Sebastian Schoepp

Noch nie konnte der Mensch seine nomadische Seite so ausleben wie heute: Im Jahr 2016 wurden nach Angaben der World Tourism Organization UNWTO mehr als 1,2 Milliarden grenzüberschreitende Reiseankünfte gezählt, doppelt so viele wie 1999. Geschätzte 250 Millionen Menschen leben laut UN außerhalb ihrer Heimatländer, 40 Prozent mehr als zur Jahrtausendwende. Reisen war einst das Privileg weniger, heute ist es meistens eine Pflicht und vielen schon eine Last.

Verkümmert der Nomade in uns in der Schlange vor der Flughafen-Security? Wer dauernd beruflich nach Asien muss, mag nicht mehr zum Schnorcheln ans Rote Meer fliegen, sondern geht vielleicht lieber gemütlich wandern am Gardasee. Haben wir es übertrieben mit der Mobilität?

Die Sehnsucht, endlich einen Platz zu finden, wo man hingehört

Filme wie "Up in the Air" oder "Toni Erdmann" stellen Mobilität als Zwangshandlung ausgebeuteter Maschinen-Menschen dar, einsam in ihrem fremdbestimmten Pseudo-Luxus, die einen bei der Frage nach Glück oder Spaß im Leben nur mit großen Augen ansehen: Glück, das sei ja nun ein hoher Anspruch. Schon klagen junge Menschen in Chats und Foren, sie fühlten sich genötigt, Urlaubsziele nach Nützlichkeit im Lebenslauf auszuwählen. Es scheint so, als wäre nicht mehr der rastlose Bruce Chatwin der 1980er Jahre und seine "Traumpfade" unser Ideal, sondern als gebe Heimatliteratur à la Juli Zeh den Ton an, die die Sehnsucht vieler ausdrückt, endlich einen Platz zu finden, wo man hingehört, ein Zuhause, eine Heimat.

Doch was ist das, Heimat? Ist das etwas, das man sich aussuchen kann? Oder ist es nicht eher etwas, das in uns entsteht, durch Gewöhnung, Geborgenheit, Prägung, gerade auch aus der Kindheit? Die zunehmend schwierige Existenz in den Wunsch-Großstädten, in den Millionärsinseln wie Paris oder London oder touristischen Themenparks wie Madrid oder Barcelona, schränken die Wahlfreiheit ohnehin ein. Glaubt man Juli Zeh, dann ist das Leben in den Metropolen bald uniformer als auf dem Land. Also zurück aufs Dorf oder in die Kleinstadt, wo die meisten Deutschen ja auch herkommen?

Wer sich von seiner Herkunft grundsätzlich distanziert hat, wird mit der Rückkehr Schwierigkeiten haben, denn dafür müsste er sich ja von der Distanzierung distanzieren - mithin von sich selbst. Die Kunst des Sesshaft-Werdens besteht wohl eher darin, aus all den multiplen Identitäten, die sich auf den Wanderungen angesammelt haben, ein funktionierendes Ganzes zusammenzusetzen, in dem man sich selbst wiedererkennt. Wem das gelingt und wer sich an einem Ort verwurzelt fühlt, dem fällt es unter Umständen sogar leichter, wieder aufzubrechen.

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